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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Sitzungen und kauft immer neue Güter an. -- Der Schriftsteller A.
Weilt, der bekanntlich eine Broschüre gegen Rothschild geschrieben hat,
publicirte vor Kurzem in der liovuo inclependimte eine glänzend ge¬
schriebene Abhandlung: juii'" en I^uro^e, die viel Aufsehen erregt.
Er stellt darin die deutschen Juden viel höher als die französischen,
die zwar einige brillante politische Persönlichkeiten auszuweisen haben,
aber in Masse an den Bewegungen der Ideen bei weitem nicht den
Antheil nehmen, wie ihre Confessionsgenossen jenseits des Rheins,
welche der Druck und die Leiden spornen. Weilt hat sich übrigens
von der deutschen Presse ganz abgewendet und ist ein thätiger Mit¬
Z. arbeiter fast aller hiesigen Oppositionsblatter geworden.


V.
Notizen.

Winterpclze. -- Reventlow verboten. -- Eine Wette. -- Polen aus
dem Kaukasus.

-- Wie viel glücklicher sind doch die Vögel als die Menschen.
Die Schwalben ziehen von Deutschland fort, sobald es ihnen zu kalt
wird; wir müssen bleiben und wäre bie Luft sibirisch angehaucht.
Ein so strenger Winter ist seit Jahren nicht gewesen. In Italien
sogar erinnert man sich einer so nordischen Kälte seit einem Jahrhun¬
dert nicht, und in Florenz sind -- wie Reisende melden -- mehrere
alte Leute der Kalte erlegen, die dort unerhörter Weise vierzehn Grade
erreicht hat. Diese Harmonie des Klimas wird vielleicht Se. Peters
Stuhl und Se, Petersburg am Ende doch vereinigen; oder ist Polen
noch nicht eingefroren und sprossen Blüthen dort unter der Schneedecke,
welche die römische und die russische Kirche noch des Kampfes werth
halten?--Was nun den deutschen Winter betrifft, so haben die
Forstverstandigen ihn schon im Sommer prophezeiht, weil das Wild
mit stärkerem Pelz als gewöhnlich sich zeigte. Also auch das Thier
ist besser daran, als der Mensch, den die Natur mit keiner Wildschur
und keinem Bournuß ausgestattet. Die armen Weber in Schlesien,
was müssen sie diesen Winter leiden! Sie haben alle zusammen nur
Einen Pelz und auch diesen hat man ihnen eine Zeitlang eingesperrt.

^- Reventlow, der Mnemotechniker, ist jetzt Held des Tages in Leip¬
zig. Er gibt nicht nur öffentliche Vorstellungen, worin er die wun¬
derbarsten Proben von seiner riesenhaften Gedächtnißkraft ablegt, er
lehrt auch in zwölf Stunden Jedermann die Kunst, Nichts zu ver¬
gessen, jede beliebige Masse von Zahlen, Namen, Worten, Daten,
u> f. w. sich mit Leichtigkeit ins Gedächtniß, wie in eherne Tafeln
für ewige Zeiten zu graben. Uns kommt die Kunst unheimlich vor
und wir sehen von ihrer Verbreitung die schrecklichsten Folgen voraus.


Sitzungen und kauft immer neue Güter an. — Der Schriftsteller A.
Weilt, der bekanntlich eine Broschüre gegen Rothschild geschrieben hat,
publicirte vor Kurzem in der liovuo inclependimte eine glänzend ge¬
schriebene Abhandlung: juii'« en I^uro^e, die viel Aufsehen erregt.
Er stellt darin die deutschen Juden viel höher als die französischen,
die zwar einige brillante politische Persönlichkeiten auszuweisen haben,
aber in Masse an den Bewegungen der Ideen bei weitem nicht den
Antheil nehmen, wie ihre Confessionsgenossen jenseits des Rheins,
welche der Druck und die Leiden spornen. Weilt hat sich übrigens
von der deutschen Presse ganz abgewendet und ist ein thätiger Mit¬
Z. arbeiter fast aller hiesigen Oppositionsblatter geworden.


V.
Notizen.

Winterpclze. — Reventlow verboten. — Eine Wette. — Polen aus
dem Kaukasus.

— Wie viel glücklicher sind doch die Vögel als die Menschen.
Die Schwalben ziehen von Deutschland fort, sobald es ihnen zu kalt
wird; wir müssen bleiben und wäre bie Luft sibirisch angehaucht.
Ein so strenger Winter ist seit Jahren nicht gewesen. In Italien
sogar erinnert man sich einer so nordischen Kälte seit einem Jahrhun¬
dert nicht, und in Florenz sind — wie Reisende melden — mehrere
alte Leute der Kalte erlegen, die dort unerhörter Weise vierzehn Grade
erreicht hat. Diese Harmonie des Klimas wird vielleicht Se. Peters
Stuhl und Se, Petersburg am Ende doch vereinigen; oder ist Polen
noch nicht eingefroren und sprossen Blüthen dort unter der Schneedecke,
welche die römische und die russische Kirche noch des Kampfes werth
halten?--Was nun den deutschen Winter betrifft, so haben die
Forstverstandigen ihn schon im Sommer prophezeiht, weil das Wild
mit stärkerem Pelz als gewöhnlich sich zeigte. Also auch das Thier
ist besser daran, als der Mensch, den die Natur mit keiner Wildschur
und keinem Bournuß ausgestattet. Die armen Weber in Schlesien,
was müssen sie diesen Winter leiden! Sie haben alle zusammen nur
Einen Pelz und auch diesen hat man ihnen eine Zeitlang eingesperrt.

^- Reventlow, der Mnemotechniker, ist jetzt Held des Tages in Leip¬
zig. Er gibt nicht nur öffentliche Vorstellungen, worin er die wun¬
derbarsten Proben von seiner riesenhaften Gedächtnißkraft ablegt, er
lehrt auch in zwölf Stunden Jedermann die Kunst, Nichts zu ver¬
gessen, jede beliebige Masse von Zahlen, Namen, Worten, Daten,
u> f. w. sich mit Leichtigkeit ins Gedächtniß, wie in eherne Tafeln
für ewige Zeiten zu graben. Uns kommt die Kunst unheimlich vor
und wir sehen von ihrer Verbreitung die schrecklichsten Folgen voraus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/57>, abgerufen am 22.07.2024.