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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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übt eine Tyrannei hier aus, gegen welche die weiland eines Spontini
in Berlin noch eine Republik zu nennen; er besitzt eine classische Un¬
wissenheit in Dingen deutscher Musik und verachtet außer Mozart und
Beethoven alle deutschen Componisten. Hoven und Netzer bedurften
der Gönnerschaft des Staatskanzlers, um ihre Opern zur Aufführung
zu bringen, von auswärtigen Compositems gelangt nun vollends gar
Nichts zur Darstellung und dies geschieht im Herzen Deutschlands,
am uralten Kaisersitz, der in dem Burgtheater eine Musteranstalt für
das Schauspiel besitzt, so zu sagen mit Genehmigung des Staates,
der dieses ekelhafte Treiben schweigend duldet. Hoffentlich wird die
abermalige Fristverlängerung an Bedingungen geknüpft worden sein,
welche den Anforderungen deutscher Kunst angemessen sind und ohne
welche bei der weltbekannten Ignoranz und dem eingefleischter Deut¬
schenhaß des Directors nur früher die herrlichen Künste des Instituts
nutzlos vergeudet und Wien in den Augen der Welt mit dem Stem¬
pel der Lächerlichkeit gebrandmarkt bliebe.

Dr. Friedrich List, ist von Ungarn, zurückkommend wieder hier an¬
gelangt. Er ist für einen und denselben Mittag beim Fürsten Met-
ternich, beim Grafen Kolowrat und beim Baron Kübeck zu Tische
geladen gewesen. Dies ist selbst für einen Zollvereinsmagen zu stark;
so viel Einfuhr auf ein Mal ist gegen alle Staats- und Gesundheits-
vkonomie. Der juridisch-politische Verein hat beschlossen, Dr. Lißt ein
Festessen von 4W Gedecken zu geben. In Ermanglung eines passen¬
den großen Locals hat man es einstweilen auf 15V Gedecke reducirt.
Was an Bildung und echtem Patriotismus in Wien ist, brennt von
dem Wunsche einer Vereinigung mit dem theuren, großen deutschen
Vaterlande.

O.L.B. Wolff hat im Burgtheater als Jmprovisator viel Glück
gemacht. Mehr im heitern Genre, als im ernsten, wo seine Art des
Vertrags ihm einigen Eintrag thut. Eins der witzigsten Themata,
das ihm vom Parterre aufgegeben wurde, hieß: Morgengedankcn
beim Erwachen des Holofernes, als er keinen Kopf mehr hatte. --
'

Im Laufe dieser Woche kommt Bauernfelds Drama: "Ein deut¬
scher Krieger" zur Aufführung.


-- Von der Freiung.
IV.
Ans Paris.

Deutsche und französische Sittlichkeit. -- Der Cultusminister und die öffent¬
liche Gerichtsbarkeit. -- Revue de Paris. -- Heine. -- Schlesinger. -- Mon-
tholon und Napoleon. -- Rothschild. -- A. Weilt.

Die heutige Nummer der Kölnischen Zeitung meldet aus Mün¬
chen in einer und derselben Correspondenz gegen ein halbes Dutzend


Grenzboten I8is. I. 7

übt eine Tyrannei hier aus, gegen welche die weiland eines Spontini
in Berlin noch eine Republik zu nennen; er besitzt eine classische Un¬
wissenheit in Dingen deutscher Musik und verachtet außer Mozart und
Beethoven alle deutschen Componisten. Hoven und Netzer bedurften
der Gönnerschaft des Staatskanzlers, um ihre Opern zur Aufführung
zu bringen, von auswärtigen Compositems gelangt nun vollends gar
Nichts zur Darstellung und dies geschieht im Herzen Deutschlands,
am uralten Kaisersitz, der in dem Burgtheater eine Musteranstalt für
das Schauspiel besitzt, so zu sagen mit Genehmigung des Staates,
der dieses ekelhafte Treiben schweigend duldet. Hoffentlich wird die
abermalige Fristverlängerung an Bedingungen geknüpft worden sein,
welche den Anforderungen deutscher Kunst angemessen sind und ohne
welche bei der weltbekannten Ignoranz und dem eingefleischter Deut¬
schenhaß des Directors nur früher die herrlichen Künste des Instituts
nutzlos vergeudet und Wien in den Augen der Welt mit dem Stem¬
pel der Lächerlichkeit gebrandmarkt bliebe.

Dr. Friedrich List, ist von Ungarn, zurückkommend wieder hier an¬
gelangt. Er ist für einen und denselben Mittag beim Fürsten Met-
ternich, beim Grafen Kolowrat und beim Baron Kübeck zu Tische
geladen gewesen. Dies ist selbst für einen Zollvereinsmagen zu stark;
so viel Einfuhr auf ein Mal ist gegen alle Staats- und Gesundheits-
vkonomie. Der juridisch-politische Verein hat beschlossen, Dr. Lißt ein
Festessen von 4W Gedecken zu geben. In Ermanglung eines passen¬
den großen Locals hat man es einstweilen auf 15V Gedecke reducirt.
Was an Bildung und echtem Patriotismus in Wien ist, brennt von
dem Wunsche einer Vereinigung mit dem theuren, großen deutschen
Vaterlande.

O.L.B. Wolff hat im Burgtheater als Jmprovisator viel Glück
gemacht. Mehr im heitern Genre, als im ernsten, wo seine Art des
Vertrags ihm einigen Eintrag thut. Eins der witzigsten Themata,
das ihm vom Parterre aufgegeben wurde, hieß: Morgengedankcn
beim Erwachen des Holofernes, als er keinen Kopf mehr hatte. —
'

Im Laufe dieser Woche kommt Bauernfelds Drama: „Ein deut¬
scher Krieger" zur Aufführung.


— Von der Freiung.
IV.
Ans Paris.

Deutsche und französische Sittlichkeit. — Der Cultusminister und die öffent¬
liche Gerichtsbarkeit. — Revue de Paris. — Heine. — Schlesinger. — Mon-
tholon und Napoleon. — Rothschild. — A. Weilt.

Die heutige Nummer der Kölnischen Zeitung meldet aus Mün¬
chen in einer und derselben Correspondenz gegen ein halbes Dutzend


Grenzboten I8is. I. 7
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[0055] übt eine Tyrannei hier aus, gegen welche die weiland eines Spontini in Berlin noch eine Republik zu nennen; er besitzt eine classische Un¬ wissenheit in Dingen deutscher Musik und verachtet außer Mozart und Beethoven alle deutschen Componisten. Hoven und Netzer bedurften der Gönnerschaft des Staatskanzlers, um ihre Opern zur Aufführung zu bringen, von auswärtigen Compositems gelangt nun vollends gar Nichts zur Darstellung und dies geschieht im Herzen Deutschlands, am uralten Kaisersitz, der in dem Burgtheater eine Musteranstalt für das Schauspiel besitzt, so zu sagen mit Genehmigung des Staates, der dieses ekelhafte Treiben schweigend duldet. Hoffentlich wird die abermalige Fristverlängerung an Bedingungen geknüpft worden sein, welche den Anforderungen deutscher Kunst angemessen sind und ohne welche bei der weltbekannten Ignoranz und dem eingefleischter Deut¬ schenhaß des Directors nur früher die herrlichen Künste des Instituts nutzlos vergeudet und Wien in den Augen der Welt mit dem Stem¬ pel der Lächerlichkeit gebrandmarkt bliebe. Dr. Friedrich List, ist von Ungarn, zurückkommend wieder hier an¬ gelangt. Er ist für einen und denselben Mittag beim Fürsten Met- ternich, beim Grafen Kolowrat und beim Baron Kübeck zu Tische geladen gewesen. Dies ist selbst für einen Zollvereinsmagen zu stark; so viel Einfuhr auf ein Mal ist gegen alle Staats- und Gesundheits- vkonomie. Der juridisch-politische Verein hat beschlossen, Dr. Lißt ein Festessen von 4W Gedecken zu geben. In Ermanglung eines passen¬ den großen Locals hat man es einstweilen auf 15V Gedecke reducirt. Was an Bildung und echtem Patriotismus in Wien ist, brennt von dem Wunsche einer Vereinigung mit dem theuren, großen deutschen Vaterlande. O.L.B. Wolff hat im Burgtheater als Jmprovisator viel Glück gemacht. Mehr im heitern Genre, als im ernsten, wo seine Art des Vertrags ihm einigen Eintrag thut. Eins der witzigsten Themata, das ihm vom Parterre aufgegeben wurde, hieß: Morgengedankcn beim Erwachen des Holofernes, als er keinen Kopf mehr hatte. — ' Im Laufe dieser Woche kommt Bauernfelds Drama: „Ein deut¬ scher Krieger" zur Aufführung. — Von der Freiung. IV. Ans Paris. Deutsche und französische Sittlichkeit. — Der Cultusminister und die öffent¬ liche Gerichtsbarkeit. — Revue de Paris. — Heine. — Schlesinger. — Mon- tholon und Napoleon. — Rothschild. — A. Weilt. Die heutige Nummer der Kölnischen Zeitung meldet aus Mün¬ chen in einer und derselben Correspondenz gegen ein halbes Dutzend Grenzboten I8is. I. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/55>, abgerufen am 22.07.2024.