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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zu seiner Ausweisung in Innsbruck bei seiner Mutter, einer geborenen
Gräfin Wolkenstein. Bei Jenni in Bern sollen jetzt Zeitgedichte von
ihm erscheinen, die Herwegh dedicirt sind, auch liegen: Memoiren ei¬
nes österreichischen Offiziers zur Herausgabe bereit, welche ein pikan¬
tes Seitenstück zu den in den Grenzboten enthaltenen Mittheilungen
eines österreichischen Militärs bilden dürsten.

Die seit längerer Zeit schwebende Theatcrfrage in Betreff des
Directionswechsels am kaiserlich königlichen Hofopcrntheater ist nun¬
mehr definitiv erledigt. Der in vielen Beziehungen wohlverdiente Di¬
rektor der Josephstädter Bühne, welcher selbst die gründlichsten musika¬
lischen Kenntnisse besitzt und als Kapellmeister bei verschiedenen Büh¬
nen fungirte, hat nun, nachdem er die Zusage der meisten Glieder des
kaiserlichen Hoff erhalten und bereits den Revers unterzeichnet hatte,
im Falle der Verleihung sein Vorstadttheater in Pacht zu geben, ei¬
nen abschlägigen Bescheid erhalten und der welsche Schneidermeister
Ballochini nebst Consorten verbleibt abermals auf zwei Jahre im Be¬
sitze dieses für die deutschen Kunstzustände hochwichtigen Instituts, um.
es nach wie vor der deutschen Tonmuse beharrlich zu verschließen und
mit Donizettischen Firlefanz anzupfropfen. Die nationale Vorliebe
einer Dame des höchsten Ranges hat alle Anstrengungen der deutschen
Kunstfreunde, worunter namentlich die erlauchte Schwester des Königs
von Baiern glänzt, zunichte gemacht und es laßt sich vermuthen,
daß bei diesem Vorgange, auch politische Gründe mitgespielt haben.
Unsere Künstler in allen Fächern empfinden nur zu sehr die vom äst¬
hetischen Standpunkt oft unbillige Bevorzugung der italienischen Na¬
tion, welcher man in ihren Kunstcelebritäten zu schmeicheln sucht, um
sie für ihre politische Abhängigkeit zu entschädigen.

So lange das ganze Jahr hindurch ohne Unterbrechung die deut¬
sche Oper im Gange war, mochte es nicht anders als billig sein,
wenn häufige Vorführungen italienischer Opernwerke stattfanden, damit
der Geschmack des Publicums sich nicht einseitig verhärte und den
vielen hier lebenden Italienern eine ganz gut motivirte Aufmerksam¬
keit geschenkt werde. Seitdem aber drei Monate lang italienische Sän¬
ger diesen deutschen Kunsttempcl inne haben und wieder drei Monate
hindurch französische Vaudevilles auf denselben Brettern mittelmäßig
abgespielt werden, seitdem ist es nur eine Forderung der strengsten
Gerechtigkeit, wenn man wünscht, die übrigen sechs Monde möchten
nicht ausschließlich, nein blos vorzugsweise den deutschen Tonwerken
gewidmet werden, so aber vergehen Wochen oder Monate, ohne daß
eine Hervorbringung des deutschen Genius durch diese Hallen zieht.
Dieselben Machwerke, welche während der italienischen Saison durch
den Zauber südlicher Kehlen oft kaum genießbar werden, müssen auch
die Abonnenten der deutschen Saison verdauen und die lautesten Wün¬
sche des Publicums bleiben unberücksichtigt. Dieser welsche Schneider


zu seiner Ausweisung in Innsbruck bei seiner Mutter, einer geborenen
Gräfin Wolkenstein. Bei Jenni in Bern sollen jetzt Zeitgedichte von
ihm erscheinen, die Herwegh dedicirt sind, auch liegen: Memoiren ei¬
nes österreichischen Offiziers zur Herausgabe bereit, welche ein pikan¬
tes Seitenstück zu den in den Grenzboten enthaltenen Mittheilungen
eines österreichischen Militärs bilden dürsten.

Die seit längerer Zeit schwebende Theatcrfrage in Betreff des
Directionswechsels am kaiserlich königlichen Hofopcrntheater ist nun¬
mehr definitiv erledigt. Der in vielen Beziehungen wohlverdiente Di¬
rektor der Josephstädter Bühne, welcher selbst die gründlichsten musika¬
lischen Kenntnisse besitzt und als Kapellmeister bei verschiedenen Büh¬
nen fungirte, hat nun, nachdem er die Zusage der meisten Glieder des
kaiserlichen Hoff erhalten und bereits den Revers unterzeichnet hatte,
im Falle der Verleihung sein Vorstadttheater in Pacht zu geben, ei¬
nen abschlägigen Bescheid erhalten und der welsche Schneidermeister
Ballochini nebst Consorten verbleibt abermals auf zwei Jahre im Be¬
sitze dieses für die deutschen Kunstzustände hochwichtigen Instituts, um.
es nach wie vor der deutschen Tonmuse beharrlich zu verschließen und
mit Donizettischen Firlefanz anzupfropfen. Die nationale Vorliebe
einer Dame des höchsten Ranges hat alle Anstrengungen der deutschen
Kunstfreunde, worunter namentlich die erlauchte Schwester des Königs
von Baiern glänzt, zunichte gemacht und es laßt sich vermuthen,
daß bei diesem Vorgange, auch politische Gründe mitgespielt haben.
Unsere Künstler in allen Fächern empfinden nur zu sehr die vom äst¬
hetischen Standpunkt oft unbillige Bevorzugung der italienischen Na¬
tion, welcher man in ihren Kunstcelebritäten zu schmeicheln sucht, um
sie für ihre politische Abhängigkeit zu entschädigen.

So lange das ganze Jahr hindurch ohne Unterbrechung die deut¬
sche Oper im Gange war, mochte es nicht anders als billig sein,
wenn häufige Vorführungen italienischer Opernwerke stattfanden, damit
der Geschmack des Publicums sich nicht einseitig verhärte und den
vielen hier lebenden Italienern eine ganz gut motivirte Aufmerksam¬
keit geschenkt werde. Seitdem aber drei Monate lang italienische Sän¬
ger diesen deutschen Kunsttempcl inne haben und wieder drei Monate
hindurch französische Vaudevilles auf denselben Brettern mittelmäßig
abgespielt werden, seitdem ist es nur eine Forderung der strengsten
Gerechtigkeit, wenn man wünscht, die übrigen sechs Monde möchten
nicht ausschließlich, nein blos vorzugsweise den deutschen Tonwerken
gewidmet werden, so aber vergehen Wochen oder Monate, ohne daß
eine Hervorbringung des deutschen Genius durch diese Hallen zieht.
Dieselben Machwerke, welche während der italienischen Saison durch
den Zauber südlicher Kehlen oft kaum genießbar werden, müssen auch
die Abonnenten der deutschen Saison verdauen und die lautesten Wün¬
sche des Publicums bleiben unberücksichtigt. Dieser welsche Schneider


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/54>, abgerufen am 22.07.2024.