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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nerinncn Hilft und Unterstützung zu gewähren, Dieser neue Verein
ist aber von einer so strengen Sittlichkeit, daß es beschlossen worden,
unverheiratheten Schwangeren durchaus keine Wohlthat des Vereins
zukommen zu lassen. Wenn wir einen solchen ernsten Charakter in
unserer Frauenwelt wahrnehmen, so darf es uns durchaus nicht
Wunder nehmen, wenn Hebbel's geniales bürgerliches Trauerspiel
"Marie Magdalena" auf unserer Bühne nicht zur Darstellung ge¬
bracht wird, denn die Heldin dieses Stückes befindet sich, obwohl
unverheirathet, in jenem interessanten Zustande, den unsere Damen
außerhalb der Ehe für ein Verbrechen ansehen, welches weder deS
wirklichen noch dramatischen Mitleids werth ist. Ehret die Frauen!

Die Königliche Seehandlung, schon seit langer Zeit den hef¬
tigsten Angrissen von Seiten des gewerbetreibenden Publicums ausge¬
setzt, hat endlich ihre Vertheidigungsschrift erscheinen lassen. Obgleich
in der Kabinettsordre, welche derselben vorangeht, gesagt wird, daß
Se. Majestät sich durch die bei einem Theile der Gewerbetreibenden
mehrfach laut gewordene Mißstimmung gegen die Seehandlung, durch
diese "hauptsachlich auf Unkenntniß der Verhältnisse beruhenden
Anfeindungen" zu einer Hemmung der wohlthätigen Wirksamkeit des
Instituts nicht bewogen finde, so wird schließlich dock) versichert und
zwar "im eignen Interesse der Seehandlung," daß in Zukunft keine
neuen Fabrikanlagen weiter von derselben unternommen werden sollen.
Auf diese Art werden in Preußen der öffentlichen Meinung einige
kleine Concessionen gemacht! Man verwahrt vor allen Dingen das
büreaukratische Vesscrwisscn, gibt der öffentlichen Meinung eine Ohr¬
feige, indem man ihr Unkenntniß der Verhältnisse vorwirft, macht
ihr schließlich aber doch eine Concession, zwar, wird gesagt, nicht
weil sie dieselbe verlangt, sondern weil irgend ein Moment innerhalb
der Bureaukratie eine solche Abänderung wünschenswert!) mache. Mag
auch bedauert werden, daß man so wenig geneigt ist, der öffentlichen
Meinung ein offenes, ehrliches Zugeständnis; zu machen, so ist es
doch sehr ermuthigend und hervorzuheben, daß schon unmöglich ge¬
worden, sie ganzlich zu umgehen. Auf dieser Thatsache beruhen alle
Hoffnungen, welche man auf die Zukunft Preußens setzen darf,
"ut sie mag einigermaßen über die verstimmenden Erfahrungen der
Gegenwart trösten. Was die erwähnte Staatsschrift selbst betrifft, so
gibt sie zwar sehr viele interessante Specialicn und liefert namentlich
in ihrer Beilage den Beweis, mit welchem großartigen und scharfen
Blicke Friedrich der Große die Landeszustände seines Volkes auffaßte,
im Ganzen jedoch kann sie den Grundsatz durchaus nicht umstoßen,
daß es dem Staate, als solchem, nicht zukommt, zu seinen Bürgern
in ein gewerbliches, industrielles Concurrcnzverhältniß zu treten, wie
es durch die Seehandlung nach allen Seiten hin geschehen ist.'

Das neue Jahr scheint den alternden Notabilitäten Berlins


08"

nerinncn Hilft und Unterstützung zu gewähren, Dieser neue Verein
ist aber von einer so strengen Sittlichkeit, daß es beschlossen worden,
unverheiratheten Schwangeren durchaus keine Wohlthat des Vereins
zukommen zu lassen. Wenn wir einen solchen ernsten Charakter in
unserer Frauenwelt wahrnehmen, so darf es uns durchaus nicht
Wunder nehmen, wenn Hebbel's geniales bürgerliches Trauerspiel
„Marie Magdalena" auf unserer Bühne nicht zur Darstellung ge¬
bracht wird, denn die Heldin dieses Stückes befindet sich, obwohl
unverheirathet, in jenem interessanten Zustande, den unsere Damen
außerhalb der Ehe für ein Verbrechen ansehen, welches weder deS
wirklichen noch dramatischen Mitleids werth ist. Ehret die Frauen!

Die Königliche Seehandlung, schon seit langer Zeit den hef¬
tigsten Angrissen von Seiten des gewerbetreibenden Publicums ausge¬
setzt, hat endlich ihre Vertheidigungsschrift erscheinen lassen. Obgleich
in der Kabinettsordre, welche derselben vorangeht, gesagt wird, daß
Se. Majestät sich durch die bei einem Theile der Gewerbetreibenden
mehrfach laut gewordene Mißstimmung gegen die Seehandlung, durch
diese „hauptsachlich auf Unkenntniß der Verhältnisse beruhenden
Anfeindungen" zu einer Hemmung der wohlthätigen Wirksamkeit des
Instituts nicht bewogen finde, so wird schließlich dock) versichert und
zwar „im eignen Interesse der Seehandlung," daß in Zukunft keine
neuen Fabrikanlagen weiter von derselben unternommen werden sollen.
Auf diese Art werden in Preußen der öffentlichen Meinung einige
kleine Concessionen gemacht! Man verwahrt vor allen Dingen das
büreaukratische Vesscrwisscn, gibt der öffentlichen Meinung eine Ohr¬
feige, indem man ihr Unkenntniß der Verhältnisse vorwirft, macht
ihr schließlich aber doch eine Concession, zwar, wird gesagt, nicht
weil sie dieselbe verlangt, sondern weil irgend ein Moment innerhalb
der Bureaukratie eine solche Abänderung wünschenswert!) mache. Mag
auch bedauert werden, daß man so wenig geneigt ist, der öffentlichen
Meinung ein offenes, ehrliches Zugeständnis; zu machen, so ist es
doch sehr ermuthigend und hervorzuheben, daß schon unmöglich ge¬
worden, sie ganzlich zu umgehen. Auf dieser Thatsache beruhen alle
Hoffnungen, welche man auf die Zukunft Preußens setzen darf,
»ut sie mag einigermaßen über die verstimmenden Erfahrungen der
Gegenwart trösten. Was die erwähnte Staatsschrift selbst betrifft, so
gibt sie zwar sehr viele interessante Specialicn und liefert namentlich
in ihrer Beilage den Beweis, mit welchem großartigen und scharfen
Blicke Friedrich der Große die Landeszustände seines Volkes auffaßte,
im Ganzen jedoch kann sie den Grundsatz durchaus nicht umstoßen,
daß es dem Staate, als solchem, nicht zukommt, zu seinen Bürgern
in ein gewerbliches, industrielles Concurrcnzverhältniß zu treten, wie
es durch die Seehandlung nach allen Seiten hin geschehen ist.'

Das neue Jahr scheint den alternden Notabilitäten Berlins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/541>, abgerufen am 22.07.2024.