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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nicht günstig zu sein, der Tod drängt sich in ihre Reihen. Kaum
hat man den phantastischen Sohn des Nordlands, Herrin Steffen",
dahin getragen, wo Berlin seine großen Todten begräbt, so ist auch
schon eine zweite Notabilität, ganz anderer Art, verblichen, der Kri¬
minalist Dambach, das Schrecken aller Verbrecher und Politisch-
Verdachtigen, der Beherrscher der Hausvoigtei. Er ist ruhiger, als
der bekannte Tzschoppe gestorben. Abgesehen von der Stellung, welche
dieser Mann als das Werkzeug einer Gerechtigkeit einnahm, die im
Stillen urtheilt und richtet, können ihm kriminalistische Verdienste
nicht leicht abgesprochen werden. Er war ein großes Witterungstalent
auf dem Anger des Elends, des Unglücks und des Verbrechens Man¬
cher junge Mann, den eine politische Extravaganz auf die Hausvogtci
gebracht, wird von Dambach zu erzählen wissen. Dambach'S Name
war in Berlin eben so populär, wie der des Polizeiraths Dunker ist,
aber es war ein Name des Schreckens und, wie die Kinder den Knecht
Ruprecht fürchten, so machte der Name Dambach manchen Erwach¬
senen zittern. Nun fürchtet ihn Niemand weiter und das Volk, wel¬
ches selbst in dem protestantisch-nüchternen Berlin seine Lust an ge¬
spensterhaften Sagen nicht verlieren kann, hat bereits seinen Tod mit
dem Tode Thebens'S in Verbindung gebracht und versichert, Thebens
habe in seinen letzten Momenten Dambach zugerufen, daß er ihm
bald folgen solle.

Gegen unsere Theaterintendanz ist ein heftiger Sturm wegen
des Billetverkauses im Opernhause losgebrochen. Die Forderungen des
Publicums gehen über das Vermögen des Herrn Küstncr hinaus,
Das Opernhaus ist zu klein, wenigstens sür einen Andrang, wie er
bis jetzt immer stattfand. Wenn aber jeder, der kein Billet erhalten,
sogleich mit einem "Eingesandt" der Vossischen Zeitung gegen die
Intendanz losfährt, so wird uns dadurch eben nur der Beweis ge¬
liefert, daß in Berlin, trotz feiner beinahe 4W,VV" Einw. und seiner
großstädtischen Anlage, noch immer einige großstädtische Elemente
fehlen. Denn es ist kleinstädtisch, über das Ausbleiben eines Opern-
bausbillets einen solchen Lärm zu machen, wie es täglich in unseren
Zeitungen geschieht. Ueber die neue Constitution könnte ja gar nicht
mehr geschrien und geschrieben werden, als über den Verkauf der
Opernhausbillette! -- Die Ursache, daß Gutzkow's "Urbild des Tar-
tüffe" noch immer nicht aufgeführt wird, ist einzig und allein die Er¬
krankung des Schauspielers Hendrichs. Leider sind aber auch in die¬
sem Lustspiel einige der schönsten und piquantesten Stellen gestrichen.
-- Für Morgen ist der "Faust" von Göthe angekündigt, Hopp,'
wird als Mephistopheles einen sehr schweren Stand haben, da die
Leistung Seidclmann'S in dieser Rolle von dem hiesigen Publicum
und der Kritik noch nicht vergessen ist. Um so größer aber kann auch
h. sein Triumph sein. --


nicht günstig zu sein, der Tod drängt sich in ihre Reihen. Kaum
hat man den phantastischen Sohn des Nordlands, Herrin Steffen«,
dahin getragen, wo Berlin seine großen Todten begräbt, so ist auch
schon eine zweite Notabilität, ganz anderer Art, verblichen, der Kri¬
minalist Dambach, das Schrecken aller Verbrecher und Politisch-
Verdachtigen, der Beherrscher der Hausvoigtei. Er ist ruhiger, als
der bekannte Tzschoppe gestorben. Abgesehen von der Stellung, welche
dieser Mann als das Werkzeug einer Gerechtigkeit einnahm, die im
Stillen urtheilt und richtet, können ihm kriminalistische Verdienste
nicht leicht abgesprochen werden. Er war ein großes Witterungstalent
auf dem Anger des Elends, des Unglücks und des Verbrechens Man¬
cher junge Mann, den eine politische Extravaganz auf die Hausvogtci
gebracht, wird von Dambach zu erzählen wissen. Dambach'S Name
war in Berlin eben so populär, wie der des Polizeiraths Dunker ist,
aber es war ein Name des Schreckens und, wie die Kinder den Knecht
Ruprecht fürchten, so machte der Name Dambach manchen Erwach¬
senen zittern. Nun fürchtet ihn Niemand weiter und das Volk, wel¬
ches selbst in dem protestantisch-nüchternen Berlin seine Lust an ge¬
spensterhaften Sagen nicht verlieren kann, hat bereits seinen Tod mit
dem Tode Thebens'S in Verbindung gebracht und versichert, Thebens
habe in seinen letzten Momenten Dambach zugerufen, daß er ihm
bald folgen solle.

Gegen unsere Theaterintendanz ist ein heftiger Sturm wegen
des Billetverkauses im Opernhause losgebrochen. Die Forderungen des
Publicums gehen über das Vermögen des Herrn Küstncr hinaus,
Das Opernhaus ist zu klein, wenigstens sür einen Andrang, wie er
bis jetzt immer stattfand. Wenn aber jeder, der kein Billet erhalten,
sogleich mit einem „Eingesandt" der Vossischen Zeitung gegen die
Intendanz losfährt, so wird uns dadurch eben nur der Beweis ge¬
liefert, daß in Berlin, trotz feiner beinahe 4W,VV» Einw. und seiner
großstädtischen Anlage, noch immer einige großstädtische Elemente
fehlen. Denn es ist kleinstädtisch, über das Ausbleiben eines Opern-
bausbillets einen solchen Lärm zu machen, wie es täglich in unseren
Zeitungen geschieht. Ueber die neue Constitution könnte ja gar nicht
mehr geschrien und geschrieben werden, als über den Verkauf der
Opernhausbillette! — Die Ursache, daß Gutzkow's „Urbild des Tar-
tüffe" noch immer nicht aufgeführt wird, ist einzig und allein die Er¬
krankung des Schauspielers Hendrichs. Leider sind aber auch in die¬
sem Lustspiel einige der schönsten und piquantesten Stellen gestrichen.
— Für Morgen ist der „Faust" von Göthe angekündigt, Hopp,'
wird als Mephistopheles einen sehr schweren Stand haben, da die
Leistung Seidclmann'S in dieser Rolle von dem hiesigen Publicum
und der Kritik noch nicht vergessen ist. Um so größer aber kann auch
h. sein Triumph sein. —


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[0542] nicht günstig zu sein, der Tod drängt sich in ihre Reihen. Kaum hat man den phantastischen Sohn des Nordlands, Herrin Steffen«, dahin getragen, wo Berlin seine großen Todten begräbt, so ist auch schon eine zweite Notabilität, ganz anderer Art, verblichen, der Kri¬ minalist Dambach, das Schrecken aller Verbrecher und Politisch- Verdachtigen, der Beherrscher der Hausvoigtei. Er ist ruhiger, als der bekannte Tzschoppe gestorben. Abgesehen von der Stellung, welche dieser Mann als das Werkzeug einer Gerechtigkeit einnahm, die im Stillen urtheilt und richtet, können ihm kriminalistische Verdienste nicht leicht abgesprochen werden. Er war ein großes Witterungstalent auf dem Anger des Elends, des Unglücks und des Verbrechens Man¬ cher junge Mann, den eine politische Extravaganz auf die Hausvogtci gebracht, wird von Dambach zu erzählen wissen. Dambach'S Name war in Berlin eben so populär, wie der des Polizeiraths Dunker ist, aber es war ein Name des Schreckens und, wie die Kinder den Knecht Ruprecht fürchten, so machte der Name Dambach manchen Erwach¬ senen zittern. Nun fürchtet ihn Niemand weiter und das Volk, wel¬ ches selbst in dem protestantisch-nüchternen Berlin seine Lust an ge¬ spensterhaften Sagen nicht verlieren kann, hat bereits seinen Tod mit dem Tode Thebens'S in Verbindung gebracht und versichert, Thebens habe in seinen letzten Momenten Dambach zugerufen, daß er ihm bald folgen solle. Gegen unsere Theaterintendanz ist ein heftiger Sturm wegen des Billetverkauses im Opernhause losgebrochen. Die Forderungen des Publicums gehen über das Vermögen des Herrn Küstncr hinaus, Das Opernhaus ist zu klein, wenigstens sür einen Andrang, wie er bis jetzt immer stattfand. Wenn aber jeder, der kein Billet erhalten, sogleich mit einem „Eingesandt" der Vossischen Zeitung gegen die Intendanz losfährt, so wird uns dadurch eben nur der Beweis ge¬ liefert, daß in Berlin, trotz feiner beinahe 4W,VV» Einw. und seiner großstädtischen Anlage, noch immer einige großstädtische Elemente fehlen. Denn es ist kleinstädtisch, über das Ausbleiben eines Opern- bausbillets einen solchen Lärm zu machen, wie es täglich in unseren Zeitungen geschieht. Ueber die neue Constitution könnte ja gar nicht mehr geschrien und geschrieben werden, als über den Verkauf der Opernhausbillette! — Die Ursache, daß Gutzkow's „Urbild des Tar- tüffe" noch immer nicht aufgeführt wird, ist einzig und allein die Er¬ krankung des Schauspielers Hendrichs. Leider sind aber auch in die¬ sem Lustspiel einige der schönsten und piquantesten Stellen gestrichen. — Für Morgen ist der „Faust" von Göthe angekündigt, Hopp,' wird als Mephistopheles einen sehr schweren Stand haben, da die Leistung Seidclmann'S in dieser Rolle von dem hiesigen Publicum und der Kritik noch nicht vergessen ist. Um so größer aber kann auch h. sein Triumph sein. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/542>, abgerufen am 22.07.2024.