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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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und ein Verlangen Berlins nach einer stärkeren Vertretung im Land¬
tage, ist geradewegg durchgefallen, denn bekanntlich stehen sich auf
dem Landtage die verschiedenen ständischen Interessen gegenüber und
das ritterfchaftlichc wird sich also niemals darauf einlassen, das städtische
zu verstärken. So ist Berlin mit seinen politischen Interessen jetzt
namentlich auf die ständischen Ereignisse im Rheinland hingewiesen
und, ob auch die Staatszeitung es verschmäht, die Schayer'sehe Er¬
öffnungsrede und den bekannten, in einer charakteristischen Debatte
angenommenen Aoresientwurf mitzutheilen, die Berliner sehen doch
recht gut, was in den Rheinlanden vorgeht und haben dadurch, wenn's
weiter nichts wäre, wenigstens einen Stoff für die Condiloreiunrer-
Haltung gefunden.'

Die polizeiliche Auflösung der Versammlungen im IIü"I ,,1Kuros"-
hat der Bewegung, welche durch den Localverein hervorgerufen wor¬
den, so ziemlich ein Ende gemacht. Zwar beschäftigt sich das provi¬
sorische Comite noch mit der Eingabe der Vereinsstatuten an die Ne¬
gierung, aber die ganze Frage hat ihren populären Grund und Bo¬
den verloren und Ili Mann berittener Gensdarmen haben hingereicht,
den 8eilen-i c>un zu erhalten. Im Grund ist auch wenig daran ge¬
legen, ob der Localverein sich constituirt, oder ob er sich nicht con-
stituirt. Der Zweck, von dem er soviel Redens gemacht hat, würde
ihm immer ein unerreichbarer bleiben, und zu den vielen bureaukra-
tischen Formen, welche unser Leben überwachen und bevormunden,
wäre nur noch eine neue, eben so unleidliche Bureaukratie hinzugekom¬
men. Man will dem Armen nicht einmal mehr gestatten, daß er auf
seine Faust hungere. Es sollte dies nur unter gehöriger Aufsicht ge-
schehen. Mag er also sterben, der Localverein, da ihm kein Raum
gestattet worden zu nützen. Das Gute, was er gebracht hat, war
durchaus theoretisch. Wahrend die Männer einsehen, daß eine Um¬
gestaltung unserer socialen Zustände innerhalb des preußischen Staa¬
tes nicht möglich sei, scheinen unsere Frauen sich auf diesem Gebiete
versuchen zu wollen. Die geistreichen Berlinerinnen hatten früher
einmal den Plan, das Weib im Orient sittlich zu heben und zu
diesem Zweck Emissäre in die Harems abzusenden, aber es wurde
Nichts daraus; später beschäftigten sich diejenigen, welche kühn genug
waren, in der Behandlung eines solchen Stoffes noch keinen Fleck
für ihre Sittlichkeit zu sehen, mit einem projectirten Transport der
Berliner Freudenmädchen nach Vandiemensland., Da nun aber die
Staatsbehörde die hiesigen Bordelle doch fortbestehen lassen will, so
wird auch aus diesem eifrig verfolgten Plane Nichts, und um unseren
Frauen, die sich nun einmal für das allgemeine Beste aufopfern
wollen, doch wenigstens einen Kreis für ihr edelmüthigcs Wirken zu
gewinnen, haben sich die Gemahlinnen dreier hiesiger Minister an
die Spitze eines Vereines gestellt, welcher beabsichtigt, armen Wöch-


und ein Verlangen Berlins nach einer stärkeren Vertretung im Land¬
tage, ist geradewegg durchgefallen, denn bekanntlich stehen sich auf
dem Landtage die verschiedenen ständischen Interessen gegenüber und
das ritterfchaftlichc wird sich also niemals darauf einlassen, das städtische
zu verstärken. So ist Berlin mit seinen politischen Interessen jetzt
namentlich auf die ständischen Ereignisse im Rheinland hingewiesen
und, ob auch die Staatszeitung es verschmäht, die Schayer'sehe Er¬
öffnungsrede und den bekannten, in einer charakteristischen Debatte
angenommenen Aoresientwurf mitzutheilen, die Berliner sehen doch
recht gut, was in den Rheinlanden vorgeht und haben dadurch, wenn's
weiter nichts wäre, wenigstens einen Stoff für die Condiloreiunrer-
Haltung gefunden.'

Die polizeiliche Auflösung der Versammlungen im IIü»I ,,1Kuros»-
hat der Bewegung, welche durch den Localverein hervorgerufen wor¬
den, so ziemlich ein Ende gemacht. Zwar beschäftigt sich das provi¬
sorische Comite noch mit der Eingabe der Vereinsstatuten an die Ne¬
gierung, aber die ganze Frage hat ihren populären Grund und Bo¬
den verloren und Ili Mann berittener Gensdarmen haben hingereicht,
den 8eilen-i c>un zu erhalten. Im Grund ist auch wenig daran ge¬
legen, ob der Localverein sich constituirt, oder ob er sich nicht con-
stituirt. Der Zweck, von dem er soviel Redens gemacht hat, würde
ihm immer ein unerreichbarer bleiben, und zu den vielen bureaukra-
tischen Formen, welche unser Leben überwachen und bevormunden,
wäre nur noch eine neue, eben so unleidliche Bureaukratie hinzugekom¬
men. Man will dem Armen nicht einmal mehr gestatten, daß er auf
seine Faust hungere. Es sollte dies nur unter gehöriger Aufsicht ge-
schehen. Mag er also sterben, der Localverein, da ihm kein Raum
gestattet worden zu nützen. Das Gute, was er gebracht hat, war
durchaus theoretisch. Wahrend die Männer einsehen, daß eine Um¬
gestaltung unserer socialen Zustände innerhalb des preußischen Staa¬
tes nicht möglich sei, scheinen unsere Frauen sich auf diesem Gebiete
versuchen zu wollen. Die geistreichen Berlinerinnen hatten früher
einmal den Plan, das Weib im Orient sittlich zu heben und zu
diesem Zweck Emissäre in die Harems abzusenden, aber es wurde
Nichts daraus; später beschäftigten sich diejenigen, welche kühn genug
waren, in der Behandlung eines solchen Stoffes noch keinen Fleck
für ihre Sittlichkeit zu sehen, mit einem projectirten Transport der
Berliner Freudenmädchen nach Vandiemensland., Da nun aber die
Staatsbehörde die hiesigen Bordelle doch fortbestehen lassen will, so
wird auch aus diesem eifrig verfolgten Plane Nichts, und um unseren
Frauen, die sich nun einmal für das allgemeine Beste aufopfern
wollen, doch wenigstens einen Kreis für ihr edelmüthigcs Wirken zu
gewinnen, haben sich die Gemahlinnen dreier hiesiger Minister an
die Spitze eines Vereines gestellt, welcher beabsichtigt, armen Wöch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/540>, abgerufen am 22.07.2024.