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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ist, einige Stockwerke der Nachbarhäuser im Nothfalle für die Zeit
der Ausstellung zu miethen.

Unter den interessanten Fremden, die in den letzten Tagen hier
einsprachen, befindet sich auch Dr. Ennemoser aus München, eine
merkwürdige Erscheinung in jeder Beziehung. Als Sohn eines Bauern
in Tyrol machte er dieselben Kampfe der Armuth durch, welche so
viele seiner Landsleute bestehen müssen, die sich den Wissenschaften
widmen. Allein nicht blos mit den geistigen Kämpfen wurde er be¬
kannt, auch jene blutigen, die mit den Waffen ausgefochten wurden,
blieben ihm nicht fremd. Kaum erscholl der Kriegsruf durch die Thä¬
ler seiner Heimath, so ergriff auch ihn die Gewalt des Augenblicks,
und er folgte der Fahne der Empörung gegen die fcanzösifche Zwing-
herrschaft. Ennemoser ward Hofer's Geheimschreiber und harrte stand¬
haft aus bei der verlorenen Sache. Später, zur Zeit des Befreiungs¬
krieges sammelte der ungebeugte Held eine tapfere Schaar von Berg¬
söhnen und schloß sich dem Lützow'schen Freicorps um, in welchem
Körner diente, den Ennemoser persönlich kannte und schätzte. Man
kennt den traurigen Schluß der stolzen Epopöe, auch Ennemoser hat
unter dem Gewicht des Mißtrauens gelitten, das die Kämpfer der
Freiheit in den Tagen des errungenen Friedens verfolgte. Ennemo-
ser's Forschungen an der Nachtseite der Natur erregten das Mißver¬
gnügen der Frommen und es blieb dem Vielgeprüften nichts Anderes
übrig, als seinem undankbaren Vaterlande den Rücken zu kehren und
sich nach Baiern zu wenden, wo trotz der katholischen Reaction noch
Raum für wissenschaftliche Fragen ist. Seltsam oder nicht seltsam,
von den drei berühmtesten Tyrolcrn unserer Zeit verweilt Keiner in der
Heimath. Jordan ist in Kassel, freilich im Kerker, Hormayr und
Ennemoser leben in Baiern, das lange Zeit der Feind war, gegen
welchen sie die Waffen trugen. Wenn in solchen Beispielen keine
Moral liegt, so gibt es gar keine.

Diese Blätter brachten unlängst die Kunde von der Ausweisung
des Baron Fenneberg aus den österreichischen Staaten Es ist Ihnen
vielleicht nicht ohne Interesse, etwas Näheres über die Verhältnisse
dieses jungen Mannes zu erfahren, der zwar kein berühmter Tyroler,
aber durch sein Schicksal ein Gegenstand der Journalistik geworden
ist. Baron Fenneberg, welcher jetzt als Sprachlehrer und Literat in
Stuttgart lebt, ist der Sohn eines äußerst tapferen Offiziers, der in
den Zeiten des Kampfes eine Freiwilligenfchaar aus Tyroler Schützen
gebildet hatte und später zum Oberst dieses als Tyroler Jägerregiment
formirter Freicorps befördert wurde. Fenneberg erhielt den Theresien-
orden und den Freiherrntitcl und starb als Feldmarschalllieutenant und
Landstand in Polen. Sein Sohn trat 1838 als Offizier aus der
Militärakademie in das erwähnte Jägerregiment, mußte indeß in Mai¬
land wegen Ungehorsam den Dienst verlassen und lebte bis


ist, einige Stockwerke der Nachbarhäuser im Nothfalle für die Zeit
der Ausstellung zu miethen.

Unter den interessanten Fremden, die in den letzten Tagen hier
einsprachen, befindet sich auch Dr. Ennemoser aus München, eine
merkwürdige Erscheinung in jeder Beziehung. Als Sohn eines Bauern
in Tyrol machte er dieselben Kampfe der Armuth durch, welche so
viele seiner Landsleute bestehen müssen, die sich den Wissenschaften
widmen. Allein nicht blos mit den geistigen Kämpfen wurde er be¬
kannt, auch jene blutigen, die mit den Waffen ausgefochten wurden,
blieben ihm nicht fremd. Kaum erscholl der Kriegsruf durch die Thä¬
ler seiner Heimath, so ergriff auch ihn die Gewalt des Augenblicks,
und er folgte der Fahne der Empörung gegen die fcanzösifche Zwing-
herrschaft. Ennemoser ward Hofer's Geheimschreiber und harrte stand¬
haft aus bei der verlorenen Sache. Später, zur Zeit des Befreiungs¬
krieges sammelte der ungebeugte Held eine tapfere Schaar von Berg¬
söhnen und schloß sich dem Lützow'schen Freicorps um, in welchem
Körner diente, den Ennemoser persönlich kannte und schätzte. Man
kennt den traurigen Schluß der stolzen Epopöe, auch Ennemoser hat
unter dem Gewicht des Mißtrauens gelitten, das die Kämpfer der
Freiheit in den Tagen des errungenen Friedens verfolgte. Ennemo-
ser's Forschungen an der Nachtseite der Natur erregten das Mißver¬
gnügen der Frommen und es blieb dem Vielgeprüften nichts Anderes
übrig, als seinem undankbaren Vaterlande den Rücken zu kehren und
sich nach Baiern zu wenden, wo trotz der katholischen Reaction noch
Raum für wissenschaftliche Fragen ist. Seltsam oder nicht seltsam,
von den drei berühmtesten Tyrolcrn unserer Zeit verweilt Keiner in der
Heimath. Jordan ist in Kassel, freilich im Kerker, Hormayr und
Ennemoser leben in Baiern, das lange Zeit der Feind war, gegen
welchen sie die Waffen trugen. Wenn in solchen Beispielen keine
Moral liegt, so gibt es gar keine.

Diese Blätter brachten unlängst die Kunde von der Ausweisung
des Baron Fenneberg aus den österreichischen Staaten Es ist Ihnen
vielleicht nicht ohne Interesse, etwas Näheres über die Verhältnisse
dieses jungen Mannes zu erfahren, der zwar kein berühmter Tyroler,
aber durch sein Schicksal ein Gegenstand der Journalistik geworden
ist. Baron Fenneberg, welcher jetzt als Sprachlehrer und Literat in
Stuttgart lebt, ist der Sohn eines äußerst tapferen Offiziers, der in
den Zeiten des Kampfes eine Freiwilligenfchaar aus Tyroler Schützen
gebildet hatte und später zum Oberst dieses als Tyroler Jägerregiment
formirter Freicorps befördert wurde. Fenneberg erhielt den Theresien-
orden und den Freiherrntitcl und starb als Feldmarschalllieutenant und
Landstand in Polen. Sein Sohn trat 1838 als Offizier aus der
Militärakademie in das erwähnte Jägerregiment, mußte indeß in Mai¬
land wegen Ungehorsam den Dienst verlassen und lebte bis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/53>, abgerufen am 22.07.2024.