Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.ziemlich von der Leber und sogar von der Galle weg. Die Figuren Laube's Struensee hat dem Publicum und hat auch mir äußerst Grciijbole" I8/.S. I. hg
ziemlich von der Leber und sogar von der Galle weg. Die Figuren Laube's Struensee hat dem Publicum und hat auch mir äußerst Grciijbole» I8/.S. I. hg
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269938"/> <p xml:id="ID_1425" prev="#ID_1424"> ziemlich von der Leber und sogar von der Galle weg. Die Figuren<lb/> in beiden Stücken unterscheiden sich, wie sich etwa in Marmor ge¬<lb/> hauene Göttergestalten, zu denen man jedoch nicht beten kann, weil<lb/> sie eben moderne Arbeit und in einer Kunstsammlung aufgestellt sind,<lb/> von Porträtfiguren unterscheiden, die eine Sinn- und kunstreiche Hand<lb/> in Elfenbein schnitzte. Daher ist es auch dem Publicum vergönnt,<lb/> mit Laube's Struensee leichter und vertraulicher zu verkehren, man<lb/> braucht nicht, wie bei Beer's Struensee, aus seiner Haut zu fahren,<lb/> man bleibt in ihr behaglich stecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1426" next="#ID_1427"> Laube's Struensee hat dem Publicum und hat auch mir äußerst<lb/> wohl gefallen; ich mochte das Trauerspiel recht von Herzen loben;<lb/> wie kommt es nun, daß ich eS nicht in dem Maße vermag, wie ich<lb/> selbst wünschte? Wenn wir modernen Kritiker etwas tadeln, so fließt<lb/> uns die Rede wie Wasser oder wie Essig vom Munde; sollen und<lb/> wollen wir loben, so ist uns die Zunge wie gelähmt, wir stocken, wir<lb/> sind fast um den rechten Ausdruck verlegen; eS ist, als ginge uns<lb/> das Organ dafür ab, als fürchteten wir uns vor den vielen Ueber-<lb/> klugcn, die hinter uns mit der Zuchtruthe stehen und zu uns gries¬<lb/> grämig sprechen: Liebster! Dir läuft auch das Herz mit dem Verstand<lb/> davon; Du nimmst Rücksichten, Du willst es mit dem Verfasser nicht<lb/> verderben, Du wäschst ihm die Hand, damit er Dir bei Gelegenheit<lb/> die Hand wieder wasche. Kurz, wir wollen uns nicht blamiren, wir<lb/> wollen nicht wie die naiv empfängliche Menge fühlen, wir wollen<lb/> zeigen, daß wir auch weise Leute sind und Scharfsinn genug haben,<lb/> um die Fehler und die Mängel eines Werkes zu erkennen. Und<lb/> die Vorzüge? Ach, von denen spricht ein gebildeter Mensch gar nicht;<lb/> es ist Alles schon dagewesen; alle Tugenden, Vorzüge, Schönheiten<lb/> sind veraltet, lächerlich; nur die Laster und Mängel haben noch den<lb/> Reiz der Neuheit. Dieser gastrische Fieberzustand der höhern Bildung<lb/> entspringt aus Uebersättigung, aus zu reichlichem Genuß allzusalziger,<lb/> allzusüßer oder allzugewürzter Speisen, wodurch die Werdauungskrast<lb/> gestört, das Gehirn mit schweren Dünsten überfüllt, das Blut der<lb/> Gesellschaft hypochondrisch verdickt und gallig gefärbt ist. Wer will<lb/> da den Einzelnen verantwortlich machen? Zudem — und dies kann<lb/> Niemand läugnen — haben sich fast alle Producirenden zu sehr in<lb/> dle journalistischen Umtriebe eingelassen, zu sehr am Zeitproeeß be¬<lb/> theiligt, zu oft durch Einseitigkeit, Reizbarkeit die Sympathien Anderer</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grciijbole» I8/.S. I. hg</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0523]
ziemlich von der Leber und sogar von der Galle weg. Die Figuren
in beiden Stücken unterscheiden sich, wie sich etwa in Marmor ge¬
hauene Göttergestalten, zu denen man jedoch nicht beten kann, weil
sie eben moderne Arbeit und in einer Kunstsammlung aufgestellt sind,
von Porträtfiguren unterscheiden, die eine Sinn- und kunstreiche Hand
in Elfenbein schnitzte. Daher ist es auch dem Publicum vergönnt,
mit Laube's Struensee leichter und vertraulicher zu verkehren, man
braucht nicht, wie bei Beer's Struensee, aus seiner Haut zu fahren,
man bleibt in ihr behaglich stecken.
Laube's Struensee hat dem Publicum und hat auch mir äußerst
wohl gefallen; ich mochte das Trauerspiel recht von Herzen loben;
wie kommt es nun, daß ich eS nicht in dem Maße vermag, wie ich
selbst wünschte? Wenn wir modernen Kritiker etwas tadeln, so fließt
uns die Rede wie Wasser oder wie Essig vom Munde; sollen und
wollen wir loben, so ist uns die Zunge wie gelähmt, wir stocken, wir
sind fast um den rechten Ausdruck verlegen; eS ist, als ginge uns
das Organ dafür ab, als fürchteten wir uns vor den vielen Ueber-
klugcn, die hinter uns mit der Zuchtruthe stehen und zu uns gries¬
grämig sprechen: Liebster! Dir läuft auch das Herz mit dem Verstand
davon; Du nimmst Rücksichten, Du willst es mit dem Verfasser nicht
verderben, Du wäschst ihm die Hand, damit er Dir bei Gelegenheit
die Hand wieder wasche. Kurz, wir wollen uns nicht blamiren, wir
wollen nicht wie die naiv empfängliche Menge fühlen, wir wollen
zeigen, daß wir auch weise Leute sind und Scharfsinn genug haben,
um die Fehler und die Mängel eines Werkes zu erkennen. Und
die Vorzüge? Ach, von denen spricht ein gebildeter Mensch gar nicht;
es ist Alles schon dagewesen; alle Tugenden, Vorzüge, Schönheiten
sind veraltet, lächerlich; nur die Laster und Mängel haben noch den
Reiz der Neuheit. Dieser gastrische Fieberzustand der höhern Bildung
entspringt aus Uebersättigung, aus zu reichlichem Genuß allzusalziger,
allzusüßer oder allzugewürzter Speisen, wodurch die Werdauungskrast
gestört, das Gehirn mit schweren Dünsten überfüllt, das Blut der
Gesellschaft hypochondrisch verdickt und gallig gefärbt ist. Wer will
da den Einzelnen verantwortlich machen? Zudem — und dies kann
Niemand läugnen — haben sich fast alle Producirenden zu sehr in
dle journalistischen Umtriebe eingelassen, zu sehr am Zeitproeeß be¬
theiligt, zu oft durch Einseitigkeit, Reizbarkeit die Sympathien Anderer
Grciijbole» I8/.S. I. hg
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