Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

verletzt, sie fochten zu leidenschaftlich in ihrem oder doch in dem ihnen
naheliegenden Interesse, als daß sie die Ansprüche auf Schonung, die
sie in Bezug auf Andere so häusig verletzten, für sich selbst geltend
machen könnten. Wenn man sich wieder einmal mit unsern Klassi¬
kern eine Zeitlang beschäftigt und ihren Bildungsgang, ihre Tenden¬
zen, ihr Verhalten zu einander zu seinem Studium gemacht hat, so
empfindet man eS in der That schmerzlich, daß es unsern jetzigen
Dichtern im Allgemeinen an der maßvollen Ruhe, an der Würde,
an der Stätigkeit literarischer Sympathien, an der gemessenen Conse-
quenz des Strebens fehlt, wodurch die Früheren eben in der litera¬
rischen Taufe den geweihten Namen der Klassiker verdient und er¬
halten haben.

Man kann mit einem Freunde sehr gern umgehen, man kann
ihn sehr liebenswürdig finden und seine Vorzüge zu schätzen wissen;
man kann in seiner persönlichen Nähe seine Mängel sehr wohl ver¬
gessen, aber fern von ihm und ruhiger Prüfung überlassen, wird man
sich doch gestehen müssen, daß man dies oder das an ihm anders
wünsche, daß ihm Dies oder Das zur vollkommenen Abrundung
seines Wesens mangele; mein muß Denen in der Stille Recht geben,
welche sich bemühten, uns über diesen oder jenen Fehler unsers Freun¬
des die Augen zu öffnen. Aehnlich ergeht es mir mit Laube's Struen-
see. Bei der Darstellung riß mich das Stück zwar nicht hin, aber
es spannte, es interessirte, es fesselte mich, namentlich im zweiten und
dritten Akte, welche mit großem theatralischen Geschick, tüchtigem dra¬
matischen Verstand und mit vieler Feinheit und Sicherheit bis zu
ihren wirkungsreichen Schlüssen durchgearbeitet sind. Keine blitzende
Abgänge, keine markerschütternde Phrasen, keine schimmernde poetische
LM.r -- und doch fühlt man sich in Mitleidenschaft versetzt, im
Einzelnen sogar überrascht. Hierzu kommt die tüchtige Tendenz, welche
das deutsche Volk vor seinen Hauptschwächen, als da sind:
kleinlicher Neid, politische Taktlosigkeit und Bewußtlosigkeit, auf der
einen Seite Ueberschwänglichkcit und idealistische Schwärmerei, in
Struensee selbst, auf der andern Seite Engherzigkeit und Mißgunst
in seinen Neidern und Hassern, warnen will. An diesem Beispiel zeigt
der Dichter, wie Deutschland im Auslande durch eigene Schuld über¬
all an Achtung und Terrain verloren hat. Auch gegen die Standes¬
und namentlich die Adelsvorurtheile hat der Verfasser manche beherzt-


verletzt, sie fochten zu leidenschaftlich in ihrem oder doch in dem ihnen
naheliegenden Interesse, als daß sie die Ansprüche auf Schonung, die
sie in Bezug auf Andere so häusig verletzten, für sich selbst geltend
machen könnten. Wenn man sich wieder einmal mit unsern Klassi¬
kern eine Zeitlang beschäftigt und ihren Bildungsgang, ihre Tenden¬
zen, ihr Verhalten zu einander zu seinem Studium gemacht hat, so
empfindet man eS in der That schmerzlich, daß es unsern jetzigen
Dichtern im Allgemeinen an der maßvollen Ruhe, an der Würde,
an der Stätigkeit literarischer Sympathien, an der gemessenen Conse-
quenz des Strebens fehlt, wodurch die Früheren eben in der litera¬
rischen Taufe den geweihten Namen der Klassiker verdient und er¬
halten haben.

Man kann mit einem Freunde sehr gern umgehen, man kann
ihn sehr liebenswürdig finden und seine Vorzüge zu schätzen wissen;
man kann in seiner persönlichen Nähe seine Mängel sehr wohl ver¬
gessen, aber fern von ihm und ruhiger Prüfung überlassen, wird man
sich doch gestehen müssen, daß man dies oder das an ihm anders
wünsche, daß ihm Dies oder Das zur vollkommenen Abrundung
seines Wesens mangele; mein muß Denen in der Stille Recht geben,
welche sich bemühten, uns über diesen oder jenen Fehler unsers Freun¬
des die Augen zu öffnen. Aehnlich ergeht es mir mit Laube's Struen-
see. Bei der Darstellung riß mich das Stück zwar nicht hin, aber
es spannte, es interessirte, es fesselte mich, namentlich im zweiten und
dritten Akte, welche mit großem theatralischen Geschick, tüchtigem dra¬
matischen Verstand und mit vieler Feinheit und Sicherheit bis zu
ihren wirkungsreichen Schlüssen durchgearbeitet sind. Keine blitzende
Abgänge, keine markerschütternde Phrasen, keine schimmernde poetische
LM.r — und doch fühlt man sich in Mitleidenschaft versetzt, im
Einzelnen sogar überrascht. Hierzu kommt die tüchtige Tendenz, welche
das deutsche Volk vor seinen Hauptschwächen, als da sind:
kleinlicher Neid, politische Taktlosigkeit und Bewußtlosigkeit, auf der
einen Seite Ueberschwänglichkcit und idealistische Schwärmerei, in
Struensee selbst, auf der andern Seite Engherzigkeit und Mißgunst
in seinen Neidern und Hassern, warnen will. An diesem Beispiel zeigt
der Dichter, wie Deutschland im Auslande durch eigene Schuld über¬
all an Achtung und Terrain verloren hat. Auch gegen die Standes¬
und namentlich die Adelsvorurtheile hat der Verfasser manche beherzt-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269939"/>
            <p xml:id="ID_1427" prev="#ID_1426"> verletzt, sie fochten zu leidenschaftlich in ihrem oder doch in dem ihnen<lb/>
naheliegenden Interesse, als daß sie die Ansprüche auf Schonung, die<lb/>
sie in Bezug auf Andere so häusig verletzten, für sich selbst geltend<lb/>
machen könnten. Wenn man sich wieder einmal mit unsern Klassi¬<lb/>
kern eine Zeitlang beschäftigt und ihren Bildungsgang, ihre Tenden¬<lb/>
zen, ihr Verhalten zu einander zu seinem Studium gemacht hat, so<lb/>
empfindet man eS in der That schmerzlich, daß es unsern jetzigen<lb/>
Dichtern im Allgemeinen an der maßvollen Ruhe, an der Würde,<lb/>
an der Stätigkeit literarischer Sympathien, an der gemessenen Conse-<lb/>
quenz des Strebens fehlt, wodurch die Früheren eben in der litera¬<lb/>
rischen Taufe den geweihten Namen der Klassiker verdient und er¬<lb/>
halten haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1428" next="#ID_1429"> Man kann mit einem Freunde sehr gern umgehen, man kann<lb/>
ihn sehr liebenswürdig finden und seine Vorzüge zu schätzen wissen;<lb/>
man kann in seiner persönlichen Nähe seine Mängel sehr wohl ver¬<lb/>
gessen, aber fern von ihm und ruhiger Prüfung überlassen, wird man<lb/>
sich doch gestehen müssen, daß man dies oder das an ihm anders<lb/>
wünsche, daß ihm Dies oder Das zur vollkommenen Abrundung<lb/>
seines Wesens mangele; mein muß Denen in der Stille Recht geben,<lb/>
welche sich bemühten, uns über diesen oder jenen Fehler unsers Freun¬<lb/>
des die Augen zu öffnen. Aehnlich ergeht es mir mit Laube's Struen-<lb/>
see. Bei der Darstellung riß mich das Stück zwar nicht hin, aber<lb/>
es spannte, es interessirte, es fesselte mich, namentlich im zweiten und<lb/>
dritten Akte, welche mit großem theatralischen Geschick, tüchtigem dra¬<lb/>
matischen Verstand und mit vieler Feinheit und Sicherheit bis zu<lb/>
ihren wirkungsreichen Schlüssen durchgearbeitet sind. Keine blitzende<lb/>
Abgänge, keine markerschütternde Phrasen, keine schimmernde poetische<lb/>
LM.r &#x2014; und doch fühlt man sich in Mitleidenschaft versetzt, im<lb/>
Einzelnen sogar überrascht. Hierzu kommt die tüchtige Tendenz, welche<lb/>
das deutsche Volk vor seinen Hauptschwächen, als da sind:<lb/>
kleinlicher Neid, politische Taktlosigkeit und Bewußtlosigkeit, auf der<lb/>
einen Seite Ueberschwänglichkcit und idealistische Schwärmerei, in<lb/>
Struensee selbst, auf der andern Seite Engherzigkeit und Mißgunst<lb/>
in seinen Neidern und Hassern, warnen will. An diesem Beispiel zeigt<lb/>
der Dichter, wie Deutschland im Auslande durch eigene Schuld über¬<lb/>
all an Achtung und Terrain verloren hat. Auch gegen die Standes¬<lb/>
und namentlich die Adelsvorurtheile hat der Verfasser manche beherzt-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] verletzt, sie fochten zu leidenschaftlich in ihrem oder doch in dem ihnen naheliegenden Interesse, als daß sie die Ansprüche auf Schonung, die sie in Bezug auf Andere so häusig verletzten, für sich selbst geltend machen könnten. Wenn man sich wieder einmal mit unsern Klassi¬ kern eine Zeitlang beschäftigt und ihren Bildungsgang, ihre Tenden¬ zen, ihr Verhalten zu einander zu seinem Studium gemacht hat, so empfindet man eS in der That schmerzlich, daß es unsern jetzigen Dichtern im Allgemeinen an der maßvollen Ruhe, an der Würde, an der Stätigkeit literarischer Sympathien, an der gemessenen Conse- quenz des Strebens fehlt, wodurch die Früheren eben in der litera¬ rischen Taufe den geweihten Namen der Klassiker verdient und er¬ halten haben. Man kann mit einem Freunde sehr gern umgehen, man kann ihn sehr liebenswürdig finden und seine Vorzüge zu schätzen wissen; man kann in seiner persönlichen Nähe seine Mängel sehr wohl ver¬ gessen, aber fern von ihm und ruhiger Prüfung überlassen, wird man sich doch gestehen müssen, daß man dies oder das an ihm anders wünsche, daß ihm Dies oder Das zur vollkommenen Abrundung seines Wesens mangele; mein muß Denen in der Stille Recht geben, welche sich bemühten, uns über diesen oder jenen Fehler unsers Freun¬ des die Augen zu öffnen. Aehnlich ergeht es mir mit Laube's Struen- see. Bei der Darstellung riß mich das Stück zwar nicht hin, aber es spannte, es interessirte, es fesselte mich, namentlich im zweiten und dritten Akte, welche mit großem theatralischen Geschick, tüchtigem dra¬ matischen Verstand und mit vieler Feinheit und Sicherheit bis zu ihren wirkungsreichen Schlüssen durchgearbeitet sind. Keine blitzende Abgänge, keine markerschütternde Phrasen, keine schimmernde poetische LM.r — und doch fühlt man sich in Mitleidenschaft versetzt, im Einzelnen sogar überrascht. Hierzu kommt die tüchtige Tendenz, welche das deutsche Volk vor seinen Hauptschwächen, als da sind: kleinlicher Neid, politische Taktlosigkeit und Bewußtlosigkeit, auf der einen Seite Ueberschwänglichkcit und idealistische Schwärmerei, in Struensee selbst, auf der andern Seite Engherzigkeit und Mißgunst in seinen Neidern und Hassern, warnen will. An diesem Beispiel zeigt der Dichter, wie Deutschland im Auslande durch eigene Schuld über¬ all an Achtung und Terrain verloren hat. Auch gegen die Standes¬ und namentlich die Adelsvorurtheile hat der Verfasser manche beherzt-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/524>, abgerufen am 22.07.2024.