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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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des Jägers Eheweib und entbrannte zu ihr in sündlicher Begier. Und
da das Weib dem Mann treu blieb und die Anträge des Herrn
verwarf, ließ er sie in sein Schloß entführen. Dort hielt er sie ge¬
fangen. Lange hatte der Jäger nach ihr gesucht und keine Spur ent¬
deckt. Da offenbart ihm ein Zufall die Unthat seines Herrn. Und
er trat vor ihn und bat ihn um Rückgabe des Weibes. Aber der
wilde Herr spottete seiner Klagen und ließ ihn aus dem Schlosse
hinausführen. Und als er zum zweiten Male zurückkehrte, ließ er
die Hunde des Hofes auf den Unseligen Hetzen. Und wie dieser
verzweifelnd aus der Pforte floh, lachte er ihm höhnisch aus dem
Fenster seines Zimmers nach. Da wandte sich der Jäger und sein
Auge irrte wahnwitzig an den steilen Mauern des Hauses umher,
ob er nicht daran hinaufklettern könne, Rache zu nehmen an seinem
Herrn. Aber nirgends erschaute er einen Vorsprung; nur wie hohn¬
weise nickte ein kleines Birkenreischen vom sicheren Standpunkt in
der Heiligennische herab. Und da fluchte der Unselige einen furcht¬
baren Fluch. -- So wahr Du mein Weib geraubt und entehrt hast,
rief er, so wahr soll nicht eher ein Schloßherr Dondangens Majo¬
rat an einen eignen Sohn vererben können, als bis dieses Reis zur
Birke emporgewachsen, so dick und so stark, daß man aus ihrem
Stamm eine Wiege schneiden könne. -- Seltsamer Weise hat es der
Zufall gewollt, daß seit jener Zeit noch niemals der Sohn dem Vater
im Besitze des Majorates folgen konnte. Aus einem Zweige derer
von Sacken in den andern ging das Besitzthum über, und der jetzige
Herr ist der erste, welchem zwei Söhne gegeben wurden. Aber die
Birke ist noch heute nur ein ganz dünnes Stämmchen und aus ihrem
Holze könnte man kaum die Füße einer Wiege gewinnen.

Derartige Schloßmärchen und Familiensagen sind im Ganzen
ziemlich selten in den Ostseeprovinzen; so selten wie die steinernen
Ruinen früherer Feudalpracht des Adels. Aber wohl gepflegt und
erhalten zieht sich alles feudalistische Wesen und Unwesen noch in die
Gegenwart herein. Und in der Begünstigung dieser aristokratischen
Vorrechte von Seiten Rußlands liegt die größte Gefahr für alles
deutschbaltische Leben. Geblendet von den Ehrenzeichen und Orden,
die eine heuchelnde Politik dem deutschen Adel gewährte, übersieht
dieser, wie eine deutsche Institution nach der andern russischer Ein¬
richtung weicht. Ueberdies hat aus frühern Zeiten sich auf den Adel


des Jägers Eheweib und entbrannte zu ihr in sündlicher Begier. Und
da das Weib dem Mann treu blieb und die Anträge des Herrn
verwarf, ließ er sie in sein Schloß entführen. Dort hielt er sie ge¬
fangen. Lange hatte der Jäger nach ihr gesucht und keine Spur ent¬
deckt. Da offenbart ihm ein Zufall die Unthat seines Herrn. Und
er trat vor ihn und bat ihn um Rückgabe des Weibes. Aber der
wilde Herr spottete seiner Klagen und ließ ihn aus dem Schlosse
hinausführen. Und als er zum zweiten Male zurückkehrte, ließ er
die Hunde des Hofes auf den Unseligen Hetzen. Und wie dieser
verzweifelnd aus der Pforte floh, lachte er ihm höhnisch aus dem
Fenster seines Zimmers nach. Da wandte sich der Jäger und sein
Auge irrte wahnwitzig an den steilen Mauern des Hauses umher,
ob er nicht daran hinaufklettern könne, Rache zu nehmen an seinem
Herrn. Aber nirgends erschaute er einen Vorsprung; nur wie hohn¬
weise nickte ein kleines Birkenreischen vom sicheren Standpunkt in
der Heiligennische herab. Und da fluchte der Unselige einen furcht¬
baren Fluch. — So wahr Du mein Weib geraubt und entehrt hast,
rief er, so wahr soll nicht eher ein Schloßherr Dondangens Majo¬
rat an einen eignen Sohn vererben können, als bis dieses Reis zur
Birke emporgewachsen, so dick und so stark, daß man aus ihrem
Stamm eine Wiege schneiden könne. — Seltsamer Weise hat es der
Zufall gewollt, daß seit jener Zeit noch niemals der Sohn dem Vater
im Besitze des Majorates folgen konnte. Aus einem Zweige derer
von Sacken in den andern ging das Besitzthum über, und der jetzige
Herr ist der erste, welchem zwei Söhne gegeben wurden. Aber die
Birke ist noch heute nur ein ganz dünnes Stämmchen und aus ihrem
Holze könnte man kaum die Füße einer Wiege gewinnen.

Derartige Schloßmärchen und Familiensagen sind im Ganzen
ziemlich selten in den Ostseeprovinzen; so selten wie die steinernen
Ruinen früherer Feudalpracht des Adels. Aber wohl gepflegt und
erhalten zieht sich alles feudalistische Wesen und Unwesen noch in die
Gegenwart herein. Und in der Begünstigung dieser aristokratischen
Vorrechte von Seiten Rußlands liegt die größte Gefahr für alles
deutschbaltische Leben. Geblendet von den Ehrenzeichen und Orden,
die eine heuchelnde Politik dem deutschen Adel gewährte, übersieht
dieser, wie eine deutsche Institution nach der andern russischer Ein¬
richtung weicht. Ueberdies hat aus frühern Zeiten sich auf den Adel


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[0520] des Jägers Eheweib und entbrannte zu ihr in sündlicher Begier. Und da das Weib dem Mann treu blieb und die Anträge des Herrn verwarf, ließ er sie in sein Schloß entführen. Dort hielt er sie ge¬ fangen. Lange hatte der Jäger nach ihr gesucht und keine Spur ent¬ deckt. Da offenbart ihm ein Zufall die Unthat seines Herrn. Und er trat vor ihn und bat ihn um Rückgabe des Weibes. Aber der wilde Herr spottete seiner Klagen und ließ ihn aus dem Schlosse hinausführen. Und als er zum zweiten Male zurückkehrte, ließ er die Hunde des Hofes auf den Unseligen Hetzen. Und wie dieser verzweifelnd aus der Pforte floh, lachte er ihm höhnisch aus dem Fenster seines Zimmers nach. Da wandte sich der Jäger und sein Auge irrte wahnwitzig an den steilen Mauern des Hauses umher, ob er nicht daran hinaufklettern könne, Rache zu nehmen an seinem Herrn. Aber nirgends erschaute er einen Vorsprung; nur wie hohn¬ weise nickte ein kleines Birkenreischen vom sicheren Standpunkt in der Heiligennische herab. Und da fluchte der Unselige einen furcht¬ baren Fluch. — So wahr Du mein Weib geraubt und entehrt hast, rief er, so wahr soll nicht eher ein Schloßherr Dondangens Majo¬ rat an einen eignen Sohn vererben können, als bis dieses Reis zur Birke emporgewachsen, so dick und so stark, daß man aus ihrem Stamm eine Wiege schneiden könne. — Seltsamer Weise hat es der Zufall gewollt, daß seit jener Zeit noch niemals der Sohn dem Vater im Besitze des Majorates folgen konnte. Aus einem Zweige derer von Sacken in den andern ging das Besitzthum über, und der jetzige Herr ist der erste, welchem zwei Söhne gegeben wurden. Aber die Birke ist noch heute nur ein ganz dünnes Stämmchen und aus ihrem Holze könnte man kaum die Füße einer Wiege gewinnen. Derartige Schloßmärchen und Familiensagen sind im Ganzen ziemlich selten in den Ostseeprovinzen; so selten wie die steinernen Ruinen früherer Feudalpracht des Adels. Aber wohl gepflegt und erhalten zieht sich alles feudalistische Wesen und Unwesen noch in die Gegenwart herein. Und in der Begünstigung dieser aristokratischen Vorrechte von Seiten Rußlands liegt die größte Gefahr für alles deutschbaltische Leben. Geblendet von den Ehrenzeichen und Orden, die eine heuchelnde Politik dem deutschen Adel gewährte, übersieht dieser, wie eine deutsche Institution nach der andern russischer Ein¬ richtung weicht. Ueberdies hat aus frühern Zeiten sich auf den Adel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/520>, abgerufen am 22.07.2024.