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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Pferd. Getrost und vollkommen muß man sich ihm anheimgeben,
wie dem Maulthier auf den Alpenstcigen -- und hier wie dort kommt
man immer glücklich durch, so lang man das Thier sich selbst über¬
läßt. Freilich muthet'ö uns seltsam an, wenn gleiche Vorsicht --
nach des Neulings Meinung: Unvorsicht -- uns bei der kurischen
fliegenden Jagd anempfohlen wird, wo'ö meistens in sausendem Ga¬
lopp eben so durch den Wald geht, wie diesmal im Schritt. Aber
freilich bläst solche Jagd auch selten durch solche Wälder. Und nie¬
mals durch jene des Dondangen'schen Gebietes. Denn während je¬
dem kurisch-adeligen Grundbesitzer die fliegende Jagd im ganzen Lande
freisteht, darf er Dondangens Grenze nicht überschreiten. Dies ist cinVor-
recht dieses Gebietes. Darum zog sich auch der Elephant des Nordens
das Elenthier, vor Allem in diesen Landstrich, in diese Urwälder zu¬
rück. Und häufig kamen sie bei jenem Ritt an uns vorbei, aufge¬
schreckt vom ungewohnten Geräusch. -- Das Elenthier ist plump
und häßlich, durch seine Größe beim ersten Anblick erschreckend. So
hoch wie ein Pferd und länger gestreckt als dieses, hängt ihm ein
ungestalter großer Kopf wie zu schwer am langgestreckten mähnigen
Hals. Der Kopf gehört im obern Theile dem Rind, im untern
dem Pferde zu. Ein Schaufel- oder gabelförmig Geweih hängt dar¬
auf und klappt rechts und klappt links an die Baumstämme, während
außerdem die Ohren laut klatschend daran schlagen, indem das Thier
in scheinbar schwerfälligem Trabe davoneilt. Denn das Elenthier
hetzt nie in fliegender Flucht wie der Hirsch; es trabt nur und ga-
loppirt höchstens ein Paar Schritte, wenn hart gedrängt oder ver¬
wundet. Aber während es dahintrabt, schnauft es laut mit den Nü¬
stern und durchbricht es das krachende Untergehölz. Es ist derselbe
Ton, den wir bei seinem Nahen hören, wie ihn der Jäger beim
angeschossenen Eber gewohnt ist: nur breiter und lauter, weil von
einem größern und kräftigern Thier ausgehend. Die Pferde stutzen
immer, sobald sie's gewahren. Aber sie vergessen auch dann ihre
Vorsicht nicht und prallen nicht seitwärts oder zurück, sondern stehen,
wenn schon zitternd. -- Auch diesmal stutzten sie nur, aber sie stürz¬
ten nicht und trugen uns weiter durch den Sumpf, über die gefalle¬
nen Bnumriesen hinweg, aus dem Gewirr der Schlingpflanzen und
Wacholdersträuchc. So mochten wir etwa fünf Stunden mühselig
vorwärts geritten sein, ohne etwas Anderes erblickt zu haben als Ur-


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Pferd. Getrost und vollkommen muß man sich ihm anheimgeben,
wie dem Maulthier auf den Alpenstcigen — und hier wie dort kommt
man immer glücklich durch, so lang man das Thier sich selbst über¬
läßt. Freilich muthet'ö uns seltsam an, wenn gleiche Vorsicht —
nach des Neulings Meinung: Unvorsicht — uns bei der kurischen
fliegenden Jagd anempfohlen wird, wo'ö meistens in sausendem Ga¬
lopp eben so durch den Wald geht, wie diesmal im Schritt. Aber
freilich bläst solche Jagd auch selten durch solche Wälder. Und nie¬
mals durch jene des Dondangen'schen Gebietes. Denn während je¬
dem kurisch-adeligen Grundbesitzer die fliegende Jagd im ganzen Lande
freisteht, darf er Dondangens Grenze nicht überschreiten. Dies ist cinVor-
recht dieses Gebietes. Darum zog sich auch der Elephant des Nordens
das Elenthier, vor Allem in diesen Landstrich, in diese Urwälder zu¬
rück. Und häufig kamen sie bei jenem Ritt an uns vorbei, aufge¬
schreckt vom ungewohnten Geräusch. — Das Elenthier ist plump
und häßlich, durch seine Größe beim ersten Anblick erschreckend. So
hoch wie ein Pferd und länger gestreckt als dieses, hängt ihm ein
ungestalter großer Kopf wie zu schwer am langgestreckten mähnigen
Hals. Der Kopf gehört im obern Theile dem Rind, im untern
dem Pferde zu. Ein Schaufel- oder gabelförmig Geweih hängt dar¬
auf und klappt rechts und klappt links an die Baumstämme, während
außerdem die Ohren laut klatschend daran schlagen, indem das Thier
in scheinbar schwerfälligem Trabe davoneilt. Denn das Elenthier
hetzt nie in fliegender Flucht wie der Hirsch; es trabt nur und ga-
loppirt höchstens ein Paar Schritte, wenn hart gedrängt oder ver¬
wundet. Aber während es dahintrabt, schnauft es laut mit den Nü¬
stern und durchbricht es das krachende Untergehölz. Es ist derselbe
Ton, den wir bei seinem Nahen hören, wie ihn der Jäger beim
angeschossenen Eber gewohnt ist: nur breiter und lauter, weil von
einem größern und kräftigern Thier ausgehend. Die Pferde stutzen
immer, sobald sie's gewahren. Aber sie vergessen auch dann ihre
Vorsicht nicht und prallen nicht seitwärts oder zurück, sondern stehen,
wenn schon zitternd. — Auch diesmal stutzten sie nur, aber sie stürz¬
ten nicht und trugen uns weiter durch den Sumpf, über die gefalle¬
nen Bnumriesen hinweg, aus dem Gewirr der Schlingpflanzen und
Wacholdersträuchc. So mochten wir etwa fünf Stunden mühselig
vorwärts geritten sein, ohne etwas Anderes erblickt zu haben als Ur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/515>, abgerufen am 23.07.2024.