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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Wald, Elenthiere und Raubvögel, da leuchtete plötzlich die Sonne in
das Gründunkel herein, da ward es lichter vor dem Blick, da ende¬
ten urplötzlich die Bäume. Und vor uns lag ein stundenweites Sand-
und Wiesenthal, aber auch dieses wieder bis an den Horizont vom
Wald umstanden und auf seiner ganzen Fläche ohne ein Zeichen
menschlicher Nähe. --

Wären wir zwei Jahre früher desselben Weges geritten, so hätte
die Spiegelfläche eines Sees vor uns geglänzt. Denn das ganze
Thal war dessen ehemaliges Bett. Einsam, wie jetzt das Thal, lag
auch er inmitten des Waldes. Kein Nachen schwamm auf seinen
Wetten und keine Hütte stand an seinem Ufer. Nur die Seevögel
kreischten darüber hin und nur das Elenthier, der Wolf, der Luchs,
wohl auch mitunter ein Bär trat aus dem Walddunkel, hier den
Durst zu löschen. Die Deutschen hießen das Wasser Willenscc. Den
Letten aber galt er heilig und vevvmx-M-e, Gottessee, hatten sie
ihn genannt. In alter Heidenzeit mochten die Mysterien ihrer Prie"
ster hier gefeiert worden sein und die alte Heiligkeit war auch in's Chri¬
stenthum übergegangen. Was aber damals Verehrung, das ward
jetzt Scheu. Seltsame Sagen von abgeschiedenen Geistern schlichen
um dies seltsame Wasser und dunkle Mythen von einem wunderbaren
Zusammenhange desselben mit Ostsee und Meerbusen liefen ostwärts
und westwärts zum Strande. Darum nahte Niemand dem Wasser
und wer es mußte, sprach dort ein geisterbannendes Gebet. Aber
der letzte Besitzer Dondangens, ein kräftiger, praktischer Mann, ritt
herüber aus seinem Schlosse nach dem Gewässer, das ihm unnütz da¬
lag und dessen Grund, von faulendem, sandigem Schlamm bedeckt,
ihm mehr denn eine Quadratmeile fruchtbaren Ackerlandes versprach.
Dann maß er die Entfernung desselben vom Meerbusen und er fand
sie nur anderthalb Werste lang; drauf verglich er dessen Oberfläche
mit der des Meeres und er fand, daß das Wasser dorthin 35 Fuß
Fall habe. Drum ließ er noch im Herbste die Leute seines Gebietes
zusammenkommen, damit sie mitten durch den Wald einen Graben
nach dem Meer hin abstachen, auf daß durch diesen langsam das
Wasser deS Sees abfließen könne. Allein eh' noch ein rechter An¬
fang deS Werkes gemacht war, stürmte urplötzlich der Winter in'S
Land und unterbrach alle Fortsetzung des Beginnens. Der See über¬
zog sich mit dichter Eisdecke und wie ehemals fuhren die Letten den


Wald, Elenthiere und Raubvögel, da leuchtete plötzlich die Sonne in
das Gründunkel herein, da ward es lichter vor dem Blick, da ende¬
ten urplötzlich die Bäume. Und vor uns lag ein stundenweites Sand-
und Wiesenthal, aber auch dieses wieder bis an den Horizont vom
Wald umstanden und auf seiner ganzen Fläche ohne ein Zeichen
menschlicher Nähe. —

Wären wir zwei Jahre früher desselben Weges geritten, so hätte
die Spiegelfläche eines Sees vor uns geglänzt. Denn das ganze
Thal war dessen ehemaliges Bett. Einsam, wie jetzt das Thal, lag
auch er inmitten des Waldes. Kein Nachen schwamm auf seinen
Wetten und keine Hütte stand an seinem Ufer. Nur die Seevögel
kreischten darüber hin und nur das Elenthier, der Wolf, der Luchs,
wohl auch mitunter ein Bär trat aus dem Walddunkel, hier den
Durst zu löschen. Die Deutschen hießen das Wasser Willenscc. Den
Letten aber galt er heilig und vevvmx-M-e, Gottessee, hatten sie
ihn genannt. In alter Heidenzeit mochten die Mysterien ihrer Prie«
ster hier gefeiert worden sein und die alte Heiligkeit war auch in's Chri¬
stenthum übergegangen. Was aber damals Verehrung, das ward
jetzt Scheu. Seltsame Sagen von abgeschiedenen Geistern schlichen
um dies seltsame Wasser und dunkle Mythen von einem wunderbaren
Zusammenhange desselben mit Ostsee und Meerbusen liefen ostwärts
und westwärts zum Strande. Darum nahte Niemand dem Wasser
und wer es mußte, sprach dort ein geisterbannendes Gebet. Aber
der letzte Besitzer Dondangens, ein kräftiger, praktischer Mann, ritt
herüber aus seinem Schlosse nach dem Gewässer, das ihm unnütz da¬
lag und dessen Grund, von faulendem, sandigem Schlamm bedeckt,
ihm mehr denn eine Quadratmeile fruchtbaren Ackerlandes versprach.
Dann maß er die Entfernung desselben vom Meerbusen und er fand
sie nur anderthalb Werste lang; drauf verglich er dessen Oberfläche
mit der des Meeres und er fand, daß das Wasser dorthin 35 Fuß
Fall habe. Drum ließ er noch im Herbste die Leute seines Gebietes
zusammenkommen, damit sie mitten durch den Wald einen Graben
nach dem Meer hin abstachen, auf daß durch diesen langsam das
Wasser deS Sees abfließen könne. Allein eh' noch ein rechter An¬
fang deS Werkes gemacht war, stürmte urplötzlich der Winter in'S
Land und unterbrach alle Fortsetzung des Beginnens. Der See über¬
zog sich mit dichter Eisdecke und wie ehemals fuhren die Letten den


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[0516] Wald, Elenthiere und Raubvögel, da leuchtete plötzlich die Sonne in das Gründunkel herein, da ward es lichter vor dem Blick, da ende¬ ten urplötzlich die Bäume. Und vor uns lag ein stundenweites Sand- und Wiesenthal, aber auch dieses wieder bis an den Horizont vom Wald umstanden und auf seiner ganzen Fläche ohne ein Zeichen menschlicher Nähe. — Wären wir zwei Jahre früher desselben Weges geritten, so hätte die Spiegelfläche eines Sees vor uns geglänzt. Denn das ganze Thal war dessen ehemaliges Bett. Einsam, wie jetzt das Thal, lag auch er inmitten des Waldes. Kein Nachen schwamm auf seinen Wetten und keine Hütte stand an seinem Ufer. Nur die Seevögel kreischten darüber hin und nur das Elenthier, der Wolf, der Luchs, wohl auch mitunter ein Bär trat aus dem Walddunkel, hier den Durst zu löschen. Die Deutschen hießen das Wasser Willenscc. Den Letten aber galt er heilig und vevvmx-M-e, Gottessee, hatten sie ihn genannt. In alter Heidenzeit mochten die Mysterien ihrer Prie« ster hier gefeiert worden sein und die alte Heiligkeit war auch in's Chri¬ stenthum übergegangen. Was aber damals Verehrung, das ward jetzt Scheu. Seltsame Sagen von abgeschiedenen Geistern schlichen um dies seltsame Wasser und dunkle Mythen von einem wunderbaren Zusammenhange desselben mit Ostsee und Meerbusen liefen ostwärts und westwärts zum Strande. Darum nahte Niemand dem Wasser und wer es mußte, sprach dort ein geisterbannendes Gebet. Aber der letzte Besitzer Dondangens, ein kräftiger, praktischer Mann, ritt herüber aus seinem Schlosse nach dem Gewässer, das ihm unnütz da¬ lag und dessen Grund, von faulendem, sandigem Schlamm bedeckt, ihm mehr denn eine Quadratmeile fruchtbaren Ackerlandes versprach. Dann maß er die Entfernung desselben vom Meerbusen und er fand sie nur anderthalb Werste lang; drauf verglich er dessen Oberfläche mit der des Meeres und er fand, daß das Wasser dorthin 35 Fuß Fall habe. Drum ließ er noch im Herbste die Leute seines Gebietes zusammenkommen, damit sie mitten durch den Wald einen Graben nach dem Meer hin abstachen, auf daß durch diesen langsam das Wasser deS Sees abfließen könne. Allein eh' noch ein rechter An¬ fang deS Werkes gemacht war, stürmte urplötzlich der Winter in'S Land und unterbrach alle Fortsetzung des Beginnens. Der See über¬ zog sich mit dichter Eisdecke und wie ehemals fuhren die Letten den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/516>, abgerufen am 23.07.2024.