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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Dort ritten wir desselben Pfades, den wir gestern gekommen, wohl
eine Stunde weil, dann aber rechtsab, über die Dünen hinweg, in
den Wald hinein -- gen Dondangen. Je mehr man sich aber vom
Meer entfernt, desto dichter wachsen die Bäume zusammen, desto mehr
verschwindet der Sand des Bodens. Eine Moosdecke breitet sich
zuerst unter den Bäumen, dann kommen Heidelbeersträuchlein und
dazu wuchert allüberall beinahe mannshoch das wunderschöne Far-
renkraut. Endlich verliert sich sogar der Weg, Sumpf und Moor
müssen wir durchwaten, nur hie und da taucht die Spur eines Pfades
auf; immer düstrer, immer wilder wird der Wald. Nicht, wie in
den deutschen Wäldern, blickt man mehr denn hundert Schritte zwi¬
schen den Stämmen, auf dem reingeputzen Erdboden hin. Nein, der
Tannenzapfen, der vom Baume fiel, wuchs wieder als kleine Tanne
empor und so jeder Same jedes Baumes, jedes Strauches zum
neuen Baum, zum neuen Strauch. Auf solche Weise ist ein fast
undurchdringliches Unterholz zwischen den Stämmen und Stämmchen
emporgeschossen und dazwischen wogt das Farrenkraut, wie die Wellen
eines grünen Meeres. Oft auch stürzte einer der großen Baum-?,
gebrochen vom Sturm, und während er daliegt, die volle Wurzel mit
der daranhängeuden Erde gleich einer Mauer vor sich herschiebcnd,
wuchs aus diesem Erdwall bereits ein neuer Baum, den abermals
der Wind brach und auf dessen Bruchende eine junge Birke balanci-
rend ihre zarten Blätter flimmern läßt. Oder es brachen auch vier
und fünf solcher Waldriesen übereinander hinweg und aus dem Hü¬
gel ihrer faulenden Stämme schießt eine üppige Waldnatur, Farren-
kraut, Vogelbeerbäume, Wacholdergebüsch und Heidelbeerstauden, alle
Verwüstung mit vielfarbigem Grün überdeckend. Unsere deutschen
Pferde des Flachlandes vermöchten'S nicht, hier vorwärts zu schreiten;
die kleinen kurischen Rößlein tappten hindurch. Es ist wahrhaft wun¬
dersam anzuschauen, wie sie tasten und nachfühlen mit dem Hufe und
wie sie vorsichtig den Fuß erst leis einsinken lassen im Sumpf, um
dessen Tiefe zu ergründen, ehe sie fürderfchrciten; wie sie dann aus
dem Geschling der Wacholderbüsche und Waldkräuter sich herauslösen
und sowie der Weg etwas ebener wird, doch gleich wieder in lustigen
Trab fallen, so daß der Reiter Kopf und Füße schützen muß, damit
ihn die überhängenden Aeste nicht abstreifen. Zügel- und Schenkel-
Hülfe sind unnütze Dinge in solchem kurischen Wald auf kurischen


Dort ritten wir desselben Pfades, den wir gestern gekommen, wohl
eine Stunde weil, dann aber rechtsab, über die Dünen hinweg, in
den Wald hinein — gen Dondangen. Je mehr man sich aber vom
Meer entfernt, desto dichter wachsen die Bäume zusammen, desto mehr
verschwindet der Sand des Bodens. Eine Moosdecke breitet sich
zuerst unter den Bäumen, dann kommen Heidelbeersträuchlein und
dazu wuchert allüberall beinahe mannshoch das wunderschöne Far-
renkraut. Endlich verliert sich sogar der Weg, Sumpf und Moor
müssen wir durchwaten, nur hie und da taucht die Spur eines Pfades
auf; immer düstrer, immer wilder wird der Wald. Nicht, wie in
den deutschen Wäldern, blickt man mehr denn hundert Schritte zwi¬
schen den Stämmen, auf dem reingeputzen Erdboden hin. Nein, der
Tannenzapfen, der vom Baume fiel, wuchs wieder als kleine Tanne
empor und so jeder Same jedes Baumes, jedes Strauches zum
neuen Baum, zum neuen Strauch. Auf solche Weise ist ein fast
undurchdringliches Unterholz zwischen den Stämmen und Stämmchen
emporgeschossen und dazwischen wogt das Farrenkraut, wie die Wellen
eines grünen Meeres. Oft auch stürzte einer der großen Baum-?,
gebrochen vom Sturm, und während er daliegt, die volle Wurzel mit
der daranhängeuden Erde gleich einer Mauer vor sich herschiebcnd,
wuchs aus diesem Erdwall bereits ein neuer Baum, den abermals
der Wind brach und auf dessen Bruchende eine junge Birke balanci-
rend ihre zarten Blätter flimmern läßt. Oder es brachen auch vier
und fünf solcher Waldriesen übereinander hinweg und aus dem Hü¬
gel ihrer faulenden Stämme schießt eine üppige Waldnatur, Farren-
kraut, Vogelbeerbäume, Wacholdergebüsch und Heidelbeerstauden, alle
Verwüstung mit vielfarbigem Grün überdeckend. Unsere deutschen
Pferde des Flachlandes vermöchten'S nicht, hier vorwärts zu schreiten;
die kleinen kurischen Rößlein tappten hindurch. Es ist wahrhaft wun¬
dersam anzuschauen, wie sie tasten und nachfühlen mit dem Hufe und
wie sie vorsichtig den Fuß erst leis einsinken lassen im Sumpf, um
dessen Tiefe zu ergründen, ehe sie fürderfchrciten; wie sie dann aus
dem Geschling der Wacholderbüsche und Waldkräuter sich herauslösen
und sowie der Weg etwas ebener wird, doch gleich wieder in lustigen
Trab fallen, so daß der Reiter Kopf und Füße schützen muß, damit
ihn die überhängenden Aeste nicht abstreifen. Zügel- und Schenkel-
Hülfe sind unnütze Dinge in solchem kurischen Wald auf kurischen


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[0514] Dort ritten wir desselben Pfades, den wir gestern gekommen, wohl eine Stunde weil, dann aber rechtsab, über die Dünen hinweg, in den Wald hinein — gen Dondangen. Je mehr man sich aber vom Meer entfernt, desto dichter wachsen die Bäume zusammen, desto mehr verschwindet der Sand des Bodens. Eine Moosdecke breitet sich zuerst unter den Bäumen, dann kommen Heidelbeersträuchlein und dazu wuchert allüberall beinahe mannshoch das wunderschöne Far- renkraut. Endlich verliert sich sogar der Weg, Sumpf und Moor müssen wir durchwaten, nur hie und da taucht die Spur eines Pfades auf; immer düstrer, immer wilder wird der Wald. Nicht, wie in den deutschen Wäldern, blickt man mehr denn hundert Schritte zwi¬ schen den Stämmen, auf dem reingeputzen Erdboden hin. Nein, der Tannenzapfen, der vom Baume fiel, wuchs wieder als kleine Tanne empor und so jeder Same jedes Baumes, jedes Strauches zum neuen Baum, zum neuen Strauch. Auf solche Weise ist ein fast undurchdringliches Unterholz zwischen den Stämmen und Stämmchen emporgeschossen und dazwischen wogt das Farrenkraut, wie die Wellen eines grünen Meeres. Oft auch stürzte einer der großen Baum-?, gebrochen vom Sturm, und während er daliegt, die volle Wurzel mit der daranhängeuden Erde gleich einer Mauer vor sich herschiebcnd, wuchs aus diesem Erdwall bereits ein neuer Baum, den abermals der Wind brach und auf dessen Bruchende eine junge Birke balanci- rend ihre zarten Blätter flimmern läßt. Oder es brachen auch vier und fünf solcher Waldriesen übereinander hinweg und aus dem Hü¬ gel ihrer faulenden Stämme schießt eine üppige Waldnatur, Farren- kraut, Vogelbeerbäume, Wacholdergebüsch und Heidelbeerstauden, alle Verwüstung mit vielfarbigem Grün überdeckend. Unsere deutschen Pferde des Flachlandes vermöchten'S nicht, hier vorwärts zu schreiten; die kleinen kurischen Rößlein tappten hindurch. Es ist wahrhaft wun¬ dersam anzuschauen, wie sie tasten und nachfühlen mit dem Hufe und wie sie vorsichtig den Fuß erst leis einsinken lassen im Sumpf, um dessen Tiefe zu ergründen, ehe sie fürderfchrciten; wie sie dann aus dem Geschling der Wacholderbüsche und Waldkräuter sich herauslösen und sowie der Weg etwas ebener wird, doch gleich wieder in lustigen Trab fallen, so daß der Reiter Kopf und Füße schützen muß, damit ihn die überhängenden Aeste nicht abstreifen. Zügel- und Schenkel- Hülfe sind unnütze Dinge in solchem kurischen Wald auf kurischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/514>, abgerufen am 22.07.2024.