Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.herübergcschleppt. Armuth und die Lasten der Freiheit, aber nicht ihre -- Wer seid Ihr? frug auf deutsch unser Begleiter. -- Männer von Rums, Herr -- scholl die deutsche Antwort. Das also waren die Runen, von denen wir oft schon gehört. Unsere Pferde standen gesattelt; ein herzlicher Dank, ein herzli¬ herübergcschleppt. Armuth und die Lasten der Freiheit, aber nicht ihre — Wer seid Ihr? frug auf deutsch unser Begleiter. — Männer von Rums, Herr — scholl die deutsche Antwort. Das also waren die Runen, von denen wir oft schon gehört. Unsere Pferde standen gesattelt; ein herzlicher Dank, ein herzli¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269928"/> <p xml:id="ID_1405" prev="#ID_1404"> herübergcschleppt. Armuth und die Lasten der Freiheit, aber nicht ihre<lb/> Freuden lernten diese baltischen Ureinwohner bis zur Gegenwart la«<lb/> nen. — Erst als wir heraustraten und alles in tiefem Verneigen<lb/> den sklavischen Gruß murmelte, sahen wir nahe dem Kirchthor eine<lb/> fremdländische Gruppe von Männern, Frauen und Kindern. Es<lb/> war eine schone Menschengruppe, vielleicht noch schöner in dieser Um¬<lb/> gebung erscheinend. Die Männer, hochgewachsen, starkknochig und<lb/> blond, mit offnen, festen Gesichtern und großen tiefblauen Augen, tru¬<lb/> gen fast schwedische einfache Bauerntracht. Die Frauen, großen Schla¬<lb/> ges, mit langen goldblonden Flechten und schönem ovalem Antlitz,<lb/> auch voll ruhiger Kraft, kleideten sich in blaue halblange Röcke, un¬<lb/> ter denen ein schöngeformtes Bein, bis zur halben Wade sichtbar, in<lb/> weißen Strümpfen mit bunten Zwickeln prangte. Den Oberkörper<lb/> umschloß knapp ein anliegendes Mieder, dessen lang auslaufende<lb/> Taille in etwa halbfußbreite, vielfältige Schöffe sich breitete.<lb/> Aus dem nur einen kleinen Theil deö Oberarmes knapp umschlie¬<lb/> ßenden Aermel fiel reiches weißes Linnenzeug wallend bis etwas<lb/> über den Ellenbogen herab und ein eben solches Schürzchen, kurz<lb/> und schmal, in tausend Falten gelegt, kam am Vordertheile der Taille<lb/> aus den hier klaffenden Schössen des Mieders hervor; ein eben sol¬<lb/> ches Busentl'.es umschloß den Hals und ein breiter haubenartiger<lb/> schwarzer Aufsatz saß auf dem blonden Haar. — Wir traten näher<lb/> heran und ein Alter aus der Gruppe, den breiten Hut ziehend, trat<lb/> freundlich uns entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1406"> — Wer seid Ihr? frug auf deutsch unser Begleiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1407"> — Männer von Rums, Herr — scholl die deutsche Antwort.</p><lb/> <p xml:id="ID_1408"> Das also waren die Runen, von denen wir oft schon gehört.<lb/> Und wir sprachen noch lange mit ihnen und viel. Sie erzählten<lb/> gern und freundlich. Freilich wich unser beiderseitig Deutsch so viel¬<lb/> fach von einander ab, daß Manches auch beiderseits unverständlich<lb/> blieb. Später lernten wir sie besser verstehen und später besuchten<lb/> wir sie auf ihrer Insel. — Jetzt läutete die Glocke zum zweiten Male<lb/> und herzlich grüßend gingen die Runen, knechtisch sich verneigend die<lb/> Letten und Liven zur Kirche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1409" next="#ID_1410"> Unsere Pferde standen gesattelt; ein herzlicher Dank, ein herzli¬<lb/> cher Gruß — und der Leuchtthurminspector trat in sein einsames<lb/> Haus zurück, nur trabten hinaus nach dem sonnigen Strandweg-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0513]
herübergcschleppt. Armuth und die Lasten der Freiheit, aber nicht ihre
Freuden lernten diese baltischen Ureinwohner bis zur Gegenwart la«
nen. — Erst als wir heraustraten und alles in tiefem Verneigen
den sklavischen Gruß murmelte, sahen wir nahe dem Kirchthor eine
fremdländische Gruppe von Männern, Frauen und Kindern. Es
war eine schone Menschengruppe, vielleicht noch schöner in dieser Um¬
gebung erscheinend. Die Männer, hochgewachsen, starkknochig und
blond, mit offnen, festen Gesichtern und großen tiefblauen Augen, tru¬
gen fast schwedische einfache Bauerntracht. Die Frauen, großen Schla¬
ges, mit langen goldblonden Flechten und schönem ovalem Antlitz,
auch voll ruhiger Kraft, kleideten sich in blaue halblange Röcke, un¬
ter denen ein schöngeformtes Bein, bis zur halben Wade sichtbar, in
weißen Strümpfen mit bunten Zwickeln prangte. Den Oberkörper
umschloß knapp ein anliegendes Mieder, dessen lang auslaufende
Taille in etwa halbfußbreite, vielfältige Schöffe sich breitete.
Aus dem nur einen kleinen Theil deö Oberarmes knapp umschlie¬
ßenden Aermel fiel reiches weißes Linnenzeug wallend bis etwas
über den Ellenbogen herab und ein eben solches Schürzchen, kurz
und schmal, in tausend Falten gelegt, kam am Vordertheile der Taille
aus den hier klaffenden Schössen des Mieders hervor; ein eben sol¬
ches Busentl'.es umschloß den Hals und ein breiter haubenartiger
schwarzer Aufsatz saß auf dem blonden Haar. — Wir traten näher
heran und ein Alter aus der Gruppe, den breiten Hut ziehend, trat
freundlich uns entgegen.
— Wer seid Ihr? frug auf deutsch unser Begleiter.
— Männer von Rums, Herr — scholl die deutsche Antwort.
Das also waren die Runen, von denen wir oft schon gehört.
Und wir sprachen noch lange mit ihnen und viel. Sie erzählten
gern und freundlich. Freilich wich unser beiderseitig Deutsch so viel¬
fach von einander ab, daß Manches auch beiderseits unverständlich
blieb. Später lernten wir sie besser verstehen und später besuchten
wir sie auf ihrer Insel. — Jetzt läutete die Glocke zum zweiten Male
und herzlich grüßend gingen die Runen, knechtisch sich verneigend die
Letten und Liven zur Kirche.
Unsere Pferde standen gesattelt; ein herzlicher Dank, ein herzli¬
cher Gruß — und der Leuchtthurminspector trat in sein einsames
Haus zurück, nur trabten hinaus nach dem sonnigen Strandweg-
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