Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.Baltische Schildereien. Von Äo. Bö, 2. Schloß Dondangen. Am andern Morgen war ein echter Festtag, Auf die heitere Baltische Schildereien. Von Äo. Bö, 2. Schloß Dondangen. Am andern Morgen war ein echter Festtag, Auf die heitere <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269927"/> </div> <div n="1"> <head> Baltische Schildereien.<lb/><note type="byline"> Von Äo. Bö,</note></head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> 2.<lb/> Schloß Dondangen.</head><lb/> <p xml:id="ID_1404" next="#ID_1405"> Am andern Morgen war ein echter Festtag, Auf die heitere<lb/> Mondnacht folgte ein sonnenheller Tag. Es war, als habe sich bin¬<lb/> nen zwölf Stunden alle hiesige nordische Natur in ein südlicheres Leben<lb/> verwandelt. Die Sonne glänzte so warm und heiter, wie sie's nur<lb/> irgend in Süddeutschland vermag, die Vögel des Waldes jubilirten<lb/> hier oben in den Föhren, aber die häßlichen Möven schrien nicht ihr<lb/> melancholisches Einerlei in die Sommerfreude herein. Und von drü¬<lb/> ben aus dem hölzernen Kirchlein klang eifrig die zum Gebete rufende<lb/> Glocke. Da kamen sie denn herangeritten, die Letten des Strandes<lb/> — Männer wie Weiber zu Roß. Und die Liven kamen auf dem<lb/> Arbeitswagen der Wochentage zur Festkirche herangerollt. Alle aber<lb/> stellten ihr Gefahr und die Pferde im Hofe des Inspektors ein, der<lb/> urplötzlich einem Jahrmarktsplatze glich. I->al> älvu, Isa mair,<lb/> lion und so allerlei Lettisch und Livisch, seltner ein deutscher Laut,<lb/> klangen bunt durcheinander. Auch swrov-U, der russische Soldaten¬<lb/> gruß, scholl dazwischen. Denn die Strandreiter hatten ebenfalls ihr<lb/> Sonntagskleid angezogen, um auf dem Kirchplatze die lettischen und<lb/> livischen Schönheiten zu sehen. Aber merkwürdig, unter dem ganzen<lb/> Menschenknäuel sah man kein einzig schönes Frauen- oder Manns-<lb/> gestcht. Bald echtlettische Schwachheit, bald finnische Stumpfheit,<lb/> bald russische Rohheit erkannte man in den Zügen; und allen Ge¬<lb/> sichtern war der Ausdruck des jochbewußten Sklaven aufgeprägt.<lb/> Denn diesen haben Letten und Liven in ihre junge Halbfreiheit mit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0512]
Baltische Schildereien.
Von Äo. Bö,
2.
Schloß Dondangen.
Am andern Morgen war ein echter Festtag, Auf die heitere
Mondnacht folgte ein sonnenheller Tag. Es war, als habe sich bin¬
nen zwölf Stunden alle hiesige nordische Natur in ein südlicheres Leben
verwandelt. Die Sonne glänzte so warm und heiter, wie sie's nur
irgend in Süddeutschland vermag, die Vögel des Waldes jubilirten
hier oben in den Föhren, aber die häßlichen Möven schrien nicht ihr
melancholisches Einerlei in die Sommerfreude herein. Und von drü¬
ben aus dem hölzernen Kirchlein klang eifrig die zum Gebete rufende
Glocke. Da kamen sie denn herangeritten, die Letten des Strandes
— Männer wie Weiber zu Roß. Und die Liven kamen auf dem
Arbeitswagen der Wochentage zur Festkirche herangerollt. Alle aber
stellten ihr Gefahr und die Pferde im Hofe des Inspektors ein, der
urplötzlich einem Jahrmarktsplatze glich. I->al> älvu, Isa mair,
lion und so allerlei Lettisch und Livisch, seltner ein deutscher Laut,
klangen bunt durcheinander. Auch swrov-U, der russische Soldaten¬
gruß, scholl dazwischen. Denn die Strandreiter hatten ebenfalls ihr
Sonntagskleid angezogen, um auf dem Kirchplatze die lettischen und
livischen Schönheiten zu sehen. Aber merkwürdig, unter dem ganzen
Menschenknäuel sah man kein einzig schönes Frauen- oder Manns-
gestcht. Bald echtlettische Schwachheit, bald finnische Stumpfheit,
bald russische Rohheit erkannte man in den Zügen; und allen Ge¬
sichtern war der Ausdruck des jochbewußten Sklaven aufgeprägt.
Denn diesen haben Letten und Liven in ihre junge Halbfreiheit mit
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