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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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tel geltend zu machen? Die Erkenntnisse haben keine derartigen un-
gesetzlichen Mittel namhaft gemacht. Sie heben hervor, daß er in einem
Bierhause und in einem Weinkeller gesehen worden, aber sie sagen
nicht, daß er dort etwas Ungesetzliches gethan oder gesprochen
habe. Sie werfen ihm vor, daß er eine vor Jahren mit Censur ge¬
druckte Schrift, in der er die Verfassung Bremens besprochen, gerade
zu der Zeit durch eine Ankündigung wieder in Erinnerung gebracht,
als dieser Gegenstand eine Tagesfrage in Bremen war. Darin
liegt nichts Unerlaubtes und Gesetzwidriges.

Ueber das Erkenntniß zweiter Instanz urtheilt ein geachteter
preußischer Rechtsgelehrter, der Justiz--Commtssarius Weichsel in Mag¬
deburg: "Aus dem Erkenntnisse zweiter Instanz weiß man eigentlich
gar nicht, was man machen soll. Wenn man auch von seinem auf¬
fallenden Satze abstrahiren wollte, daß in zweiter Instanz die Be¬
stätigung wegen ganz anderer Verbrechen statthaft sei, als wofür das
Erkenntniß erster Instanz, über welches Beschwerde geführt, strafte,
so sieht man ihm doch überall deutlich an, daß es sich in Verlegen¬
heit befand, wie es überhaupt eine solche Bestätigung motiviren
wollte. Denn es fehlt ihm alle Concludenz. Dies zeigt sich be¬
sonders, wenn man beachtet, daß daß Obergerichr theils mit seinen
eigenen früheren Ansichten in Widerspruch tritt; ferner wenn man
sieht, wie es sich abmüht, den Protest eines Einzelnen für strafbarer
zu halten, als den vieler Tausende, und auf der einen Seite dem
Rösing keine Absicht der Aufregung beizumessen, auf der andern
aber ihn doch deshalb schuldig finden zu wollen. Ganz gehaltlos
sind die einzigen Gründe, worauf dieses Erkenntniß die Bestrafung
basirt, nämlich zunächst der, daß es "eine ziemlich grobe öffentliche
Injurie" annimmt, während es doch selbst zugestehen muß, daß ohne
ctnimus iiijuriiiiiöi keine Injurie denkbar ist." Die Veranlassung zum
Tumult findet Weichsel ganz richtig darin, daß man die Petitionen
und Proteste nicht annahm und dadurch eine Erbitterung hervorrief,
die sich in ungesetzlichen Handlungen Luft zu machen suchte. Die
Unweisheit der Hochweisen Bremens gab Veranlassung zum Tu¬
mult.

Als Bremen noch unter dem "Joche französischer Herrschaft


tel geltend zu machen? Die Erkenntnisse haben keine derartigen un-
gesetzlichen Mittel namhaft gemacht. Sie heben hervor, daß er in einem
Bierhause und in einem Weinkeller gesehen worden, aber sie sagen
nicht, daß er dort etwas Ungesetzliches gethan oder gesprochen
habe. Sie werfen ihm vor, daß er eine vor Jahren mit Censur ge¬
druckte Schrift, in der er die Verfassung Bremens besprochen, gerade
zu der Zeit durch eine Ankündigung wieder in Erinnerung gebracht,
als dieser Gegenstand eine Tagesfrage in Bremen war. Darin
liegt nichts Unerlaubtes und Gesetzwidriges.

Ueber das Erkenntniß zweiter Instanz urtheilt ein geachteter
preußischer Rechtsgelehrter, der Justiz--Commtssarius Weichsel in Mag¬
deburg: „Aus dem Erkenntnisse zweiter Instanz weiß man eigentlich
gar nicht, was man machen soll. Wenn man auch von seinem auf¬
fallenden Satze abstrahiren wollte, daß in zweiter Instanz die Be¬
stätigung wegen ganz anderer Verbrechen statthaft sei, als wofür das
Erkenntniß erster Instanz, über welches Beschwerde geführt, strafte,
so sieht man ihm doch überall deutlich an, daß es sich in Verlegen¬
heit befand, wie es überhaupt eine solche Bestätigung motiviren
wollte. Denn es fehlt ihm alle Concludenz. Dies zeigt sich be¬
sonders, wenn man beachtet, daß daß Obergerichr theils mit seinen
eigenen früheren Ansichten in Widerspruch tritt; ferner wenn man
sieht, wie es sich abmüht, den Protest eines Einzelnen für strafbarer
zu halten, als den vieler Tausende, und auf der einen Seite dem
Rösing keine Absicht der Aufregung beizumessen, auf der andern
aber ihn doch deshalb schuldig finden zu wollen. Ganz gehaltlos
sind die einzigen Gründe, worauf dieses Erkenntniß die Bestrafung
basirt, nämlich zunächst der, daß es „eine ziemlich grobe öffentliche
Injurie" annimmt, während es doch selbst zugestehen muß, daß ohne
ctnimus iiijuriiiiiöi keine Injurie denkbar ist." Die Veranlassung zum
Tumult findet Weichsel ganz richtig darin, daß man die Petitionen
und Proteste nicht annahm und dadurch eine Erbitterung hervorrief,
die sich in ungesetzlichen Handlungen Luft zu machen suchte. Die
Unweisheit der Hochweisen Bremens gab Veranlassung zum Tu¬
mult.

Als Bremen noch unter dem „Joche französischer Herrschaft


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[0510] tel geltend zu machen? Die Erkenntnisse haben keine derartigen un- gesetzlichen Mittel namhaft gemacht. Sie heben hervor, daß er in einem Bierhause und in einem Weinkeller gesehen worden, aber sie sagen nicht, daß er dort etwas Ungesetzliches gethan oder gesprochen habe. Sie werfen ihm vor, daß er eine vor Jahren mit Censur ge¬ druckte Schrift, in der er die Verfassung Bremens besprochen, gerade zu der Zeit durch eine Ankündigung wieder in Erinnerung gebracht, als dieser Gegenstand eine Tagesfrage in Bremen war. Darin liegt nichts Unerlaubtes und Gesetzwidriges. Ueber das Erkenntniß zweiter Instanz urtheilt ein geachteter preußischer Rechtsgelehrter, der Justiz--Commtssarius Weichsel in Mag¬ deburg: „Aus dem Erkenntnisse zweiter Instanz weiß man eigentlich gar nicht, was man machen soll. Wenn man auch von seinem auf¬ fallenden Satze abstrahiren wollte, daß in zweiter Instanz die Be¬ stätigung wegen ganz anderer Verbrechen statthaft sei, als wofür das Erkenntniß erster Instanz, über welches Beschwerde geführt, strafte, so sieht man ihm doch überall deutlich an, daß es sich in Verlegen¬ heit befand, wie es überhaupt eine solche Bestätigung motiviren wollte. Denn es fehlt ihm alle Concludenz. Dies zeigt sich be¬ sonders, wenn man beachtet, daß daß Obergerichr theils mit seinen eigenen früheren Ansichten in Widerspruch tritt; ferner wenn man sieht, wie es sich abmüht, den Protest eines Einzelnen für strafbarer zu halten, als den vieler Tausende, und auf der einen Seite dem Rösing keine Absicht der Aufregung beizumessen, auf der andern aber ihn doch deshalb schuldig finden zu wollen. Ganz gehaltlos sind die einzigen Gründe, worauf dieses Erkenntniß die Bestrafung basirt, nämlich zunächst der, daß es „eine ziemlich grobe öffentliche Injurie" annimmt, während es doch selbst zugestehen muß, daß ohne ctnimus iiijuriiiiiöi keine Injurie denkbar ist." Die Veranlassung zum Tumult findet Weichsel ganz richtig darin, daß man die Petitionen und Proteste nicht annahm und dadurch eine Erbitterung hervorrief, die sich in ungesetzlichen Handlungen Luft zu machen suchte. Die Unweisheit der Hochweisen Bremens gab Veranlassung zum Tu¬ mult. Als Bremen noch unter dem „Joche französischer Herrschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/510>, abgerufen am 22.07.2024.