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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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verhüten, die große Spannung zwischen Rath und Bürgerschaft aus¬
zugleichen. Damals nannten ihn die Bürger einen inconsequenten,
vom Senate gewonnenen Mann. Er stimmte im Sinne des Se¬
nats. Er zeigte sich so sehr als ein Mann der gerechten Mitte, daß
er damals mit einigen Andern die Ehre genoß, eines Morgens an
der Weserbrücke sich in odei^le am Galgen zu sehen!

Die "vorhandene Gluth" erzeugte sich also aus den Zuständen
und Verhältnissen Bremens. Ist Ussing zufällig Veranlassung ge¬
worden, daß diese Gluth in lichte Flammen aufschlug, so ist nicht
er, wenn er gesetzlich handelte, dasür verantwortlich, sondern die Er¬
zeuger der "vorhandenen Gluth." Die Hauptfrage ist die: Befand
sich Ussing, dieser "geachtete Kaufmann," bei dem,
was er that, in seinem Rechte? Der Hauptvorwurf, der
Ussing in den Erkenntnissen gemacht wird, reducirt sich darauf, daß
er bemüht gewesen, die Mangelhaftigkeit der Vertretung der Bür¬
gerschaft darzuthun, daß die auf willkürlich zusammengesetzten Bür-
gcrconvcnten gefaßten Beschlüsse nicht als Gesetz betrachtet werden
könnten. Dadurch habe er die Aufregung vermehrt, weil "der gegen
die Wehrpflicht aufsässige Mittelstand einen Vorwand für seinen Wi¬
derstand in nichts Anderem, als eben in einer mangelhaften Vertre¬
tung der Bürgerschaft, insbesondere deö Mittelstandes, auf dem Con-
vente fand/' Ussing habe Nichts anders bezweckt, "als sich die Be¬
griffsverwirrung des großen Haufens, wegen etwanigcr Mängel in
der Vertretung, zu Nutzen zu machen." Die "Begriffsverwirrung"
zeigt sich indeß auf Seiten der Hochweisen, bei den regierenden
Herrn, wenn sie einige durch den Senat willkürlich zu einem Bür-
gerconvent berufene Bürger M "Bürgerschaft," als "gemeine Bür¬
gerschaft" betrachten. Der Nath ist nur der Bevollmächtigte
der Bürger, der "vollmächtigtc Nath," der im Namen der Bürger
handelt. Die gesetzgebende Gewalt ist nicht in den Händen des
Senats, sondern bei "Nath und Bürgerschaft," bei der ganzen
Bürgerschaft, bet der Gemeinheit der Bürger, wie denn der
Bürgereid nur so lange zur Entrichtung der Steuern verpflichtet,
als solche "mit Beliebung der Bürgerschaft im Gebrauche blei¬
ben."

Suchte nun Ussing seine Behauptungen durch gesetzwidrige Mit-


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verhüten, die große Spannung zwischen Rath und Bürgerschaft aus¬
zugleichen. Damals nannten ihn die Bürger einen inconsequenten,
vom Senate gewonnenen Mann. Er stimmte im Sinne des Se¬
nats. Er zeigte sich so sehr als ein Mann der gerechten Mitte, daß
er damals mit einigen Andern die Ehre genoß, eines Morgens an
der Weserbrücke sich in odei^le am Galgen zu sehen!

Die „vorhandene Gluth" erzeugte sich also aus den Zuständen
und Verhältnissen Bremens. Ist Ussing zufällig Veranlassung ge¬
worden, daß diese Gluth in lichte Flammen aufschlug, so ist nicht
er, wenn er gesetzlich handelte, dasür verantwortlich, sondern die Er¬
zeuger der „vorhandenen Gluth." Die Hauptfrage ist die: Befand
sich Ussing, dieser „geachtete Kaufmann," bei dem,
was er that, in seinem Rechte? Der Hauptvorwurf, der
Ussing in den Erkenntnissen gemacht wird, reducirt sich darauf, daß
er bemüht gewesen, die Mangelhaftigkeit der Vertretung der Bür¬
gerschaft darzuthun, daß die auf willkürlich zusammengesetzten Bür-
gcrconvcnten gefaßten Beschlüsse nicht als Gesetz betrachtet werden
könnten. Dadurch habe er die Aufregung vermehrt, weil „der gegen
die Wehrpflicht aufsässige Mittelstand einen Vorwand für seinen Wi¬
derstand in nichts Anderem, als eben in einer mangelhaften Vertre¬
tung der Bürgerschaft, insbesondere deö Mittelstandes, auf dem Con-
vente fand/' Ussing habe Nichts anders bezweckt, „als sich die Be¬
griffsverwirrung des großen Haufens, wegen etwanigcr Mängel in
der Vertretung, zu Nutzen zu machen." Die „Begriffsverwirrung"
zeigt sich indeß auf Seiten der Hochweisen, bei den regierenden
Herrn, wenn sie einige durch den Senat willkürlich zu einem Bür-
gerconvent berufene Bürger M „Bürgerschaft," als „gemeine Bür¬
gerschaft" betrachten. Der Nath ist nur der Bevollmächtigte
der Bürger, der „vollmächtigtc Nath," der im Namen der Bürger
handelt. Die gesetzgebende Gewalt ist nicht in den Händen des
Senats, sondern bei „Nath und Bürgerschaft," bei der ganzen
Bürgerschaft, bet der Gemeinheit der Bürger, wie denn der
Bürgereid nur so lange zur Entrichtung der Steuern verpflichtet,
als solche „mit Beliebung der Bürgerschaft im Gebrauche blei¬
ben."

Suchte nun Ussing seine Behauptungen durch gesetzwidrige Mit-


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[0509] verhüten, die große Spannung zwischen Rath und Bürgerschaft aus¬ zugleichen. Damals nannten ihn die Bürger einen inconsequenten, vom Senate gewonnenen Mann. Er stimmte im Sinne des Se¬ nats. Er zeigte sich so sehr als ein Mann der gerechten Mitte, daß er damals mit einigen Andern die Ehre genoß, eines Morgens an der Weserbrücke sich in odei^le am Galgen zu sehen! Die „vorhandene Gluth" erzeugte sich also aus den Zuständen und Verhältnissen Bremens. Ist Ussing zufällig Veranlassung ge¬ worden, daß diese Gluth in lichte Flammen aufschlug, so ist nicht er, wenn er gesetzlich handelte, dasür verantwortlich, sondern die Er¬ zeuger der „vorhandenen Gluth." Die Hauptfrage ist die: Befand sich Ussing, dieser „geachtete Kaufmann," bei dem, was er that, in seinem Rechte? Der Hauptvorwurf, der Ussing in den Erkenntnissen gemacht wird, reducirt sich darauf, daß er bemüht gewesen, die Mangelhaftigkeit der Vertretung der Bür¬ gerschaft darzuthun, daß die auf willkürlich zusammengesetzten Bür- gcrconvcnten gefaßten Beschlüsse nicht als Gesetz betrachtet werden könnten. Dadurch habe er die Aufregung vermehrt, weil „der gegen die Wehrpflicht aufsässige Mittelstand einen Vorwand für seinen Wi¬ derstand in nichts Anderem, als eben in einer mangelhaften Vertre¬ tung der Bürgerschaft, insbesondere deö Mittelstandes, auf dem Con- vente fand/' Ussing habe Nichts anders bezweckt, „als sich die Be¬ griffsverwirrung des großen Haufens, wegen etwanigcr Mängel in der Vertretung, zu Nutzen zu machen." Die „Begriffsverwirrung" zeigt sich indeß auf Seiten der Hochweisen, bei den regierenden Herrn, wenn sie einige durch den Senat willkürlich zu einem Bür- gerconvent berufene Bürger M „Bürgerschaft," als „gemeine Bür¬ gerschaft" betrachten. Der Nath ist nur der Bevollmächtigte der Bürger, der „vollmächtigtc Nath," der im Namen der Bürger handelt. Die gesetzgebende Gewalt ist nicht in den Händen des Senats, sondern bei „Nath und Bürgerschaft," bei der ganzen Bürgerschaft, bet der Gemeinheit der Bürger, wie denn der Bürgereid nur so lange zur Entrichtung der Steuern verpflichtet, als solche „mit Beliebung der Bürgerschaft im Gebrauche blei¬ ben." Suchte nun Ussing seine Behauptungen durch gesetzwidrige Mit- 64 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/509>, abgerufen am 23.07.2024.