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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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vielmehr entwickelte er noch auf mannichfache sonstige Weise eine
Thätigkeit, welche ein weiteres Eingehen auf die Untersuchung, ob
Inculpat sich eines sonstigen Vergehens schuldig gemacht habe, er¬
fordert, wobei dann allerdings sein Protestiren und der Inhalt seines
Protestes wieder berücksichtigt werden muß."

Nach allen in den Akten vorkommenden Umständen lasse sich
durchaus nicht anders annehmen, als daß die untersten Klassen von
Höherstehenden auf jegliche Weise bearbeitet worden, äußern die
Entscheidungsgründe, ohne Beweise für diese Annahme beizubringen.
"Wie sollte auch," fahren sie fort, "der den Inculpaten größtentheils
nicht einmal kennende Pöbel dazu gekommen sein, ihm die vielen
brüllenden Vivats im Weinkeller zu bringen, wenn nicht sein
Benehmen mächtig auf das Volk eingewirkt hätte? Weshalb brachte
man ihm später Nachtmusik und errichtete eine Ehrenpforte
vor seinem Hause, wenn seine Handlungen keinen Eindruck hervor¬
gebracht hätten? Der Erfolg des ganzen Benehmens des Incul¬
paten, daß er nämlich die Aufregung und die dadurch erzeugten Ercesse
beförderte, läßt sich durchaus nicht bezweifeln, und allen Umständen
nach kann man auch nicht anders annehmen, als daß er diesen
Erfolg beabsichtigte." Aber die Beweise? Sie fehlen.

Welches sind nun die strafwürdiger "Handlungen?" fragen
wir begierig. Er ist zufällig einige Augenblicke in einem "Bierhause"
gewesen, in einer Versammlung von "Personen des Mittelstandes,
worin über die Verhinderung der Ausführung der Wehrpflicht bera¬
then wurde," er hat seine Schrift "konstitutionelle Verhandlungen"
am 19. April für zwei Grote durch censirte Blätter zum Verkauf
aufbieten lassen. Aus dieser Schrift ist im Weinkeller vorgelesen
worden. Er hat eine Abschrift seines Protestes Andern mitgetheilt
und diese ist ebenfalls im Weinkeller vorgelesen worden. Er selbst
ist an den beiden unruhigen Tagen auf einen Augenblick in dem
Weinkeller gesehen worden. "Hier sind," sagen die Entscheidungs¬
gründe, "aller Wahrscheinlichkeit nach (wird man in Bremen
auch aus Wahrscheinlichkeitögründen verurtheilt), sein Protest und
Stellen aus seiner Broschüre vorgelesen, ihm auch Hurrahs und
Vivats gebracht worden, ohne daß er irgend einen ostensiblen Schritt
that, dem zu steuern."--"AberNiemand steuerte dem Unwesen, obgleich
manche Leute aus den bessern Ständen sich im Weinkeller einfanden,"


vielmehr entwickelte er noch auf mannichfache sonstige Weise eine
Thätigkeit, welche ein weiteres Eingehen auf die Untersuchung, ob
Inculpat sich eines sonstigen Vergehens schuldig gemacht habe, er¬
fordert, wobei dann allerdings sein Protestiren und der Inhalt seines
Protestes wieder berücksichtigt werden muß."

Nach allen in den Akten vorkommenden Umständen lasse sich
durchaus nicht anders annehmen, als daß die untersten Klassen von
Höherstehenden auf jegliche Weise bearbeitet worden, äußern die
Entscheidungsgründe, ohne Beweise für diese Annahme beizubringen.
„Wie sollte auch," fahren sie fort, „der den Inculpaten größtentheils
nicht einmal kennende Pöbel dazu gekommen sein, ihm die vielen
brüllenden Vivats im Weinkeller zu bringen, wenn nicht sein
Benehmen mächtig auf das Volk eingewirkt hätte? Weshalb brachte
man ihm später Nachtmusik und errichtete eine Ehrenpforte
vor seinem Hause, wenn seine Handlungen keinen Eindruck hervor¬
gebracht hätten? Der Erfolg des ganzen Benehmens des Incul¬
paten, daß er nämlich die Aufregung und die dadurch erzeugten Ercesse
beförderte, läßt sich durchaus nicht bezweifeln, und allen Umständen
nach kann man auch nicht anders annehmen, als daß er diesen
Erfolg beabsichtigte." Aber die Beweise? Sie fehlen.

Welches sind nun die strafwürdiger „Handlungen?" fragen
wir begierig. Er ist zufällig einige Augenblicke in einem „Bierhause"
gewesen, in einer Versammlung von „Personen des Mittelstandes,
worin über die Verhinderung der Ausführung der Wehrpflicht bera¬
then wurde," er hat seine Schrift „konstitutionelle Verhandlungen"
am 19. April für zwei Grote durch censirte Blätter zum Verkauf
aufbieten lassen. Aus dieser Schrift ist im Weinkeller vorgelesen
worden. Er hat eine Abschrift seines Protestes Andern mitgetheilt
und diese ist ebenfalls im Weinkeller vorgelesen worden. Er selbst
ist an den beiden unruhigen Tagen auf einen Augenblick in dem
Weinkeller gesehen worden. „Hier sind," sagen die Entscheidungs¬
gründe, „aller Wahrscheinlichkeit nach (wird man in Bremen
auch aus Wahrscheinlichkeitögründen verurtheilt), sein Protest und
Stellen aus seiner Broschüre vorgelesen, ihm auch Hurrahs und
Vivats gebracht worden, ohne daß er irgend einen ostensiblen Schritt
that, dem zu steuern."—„AberNiemand steuerte dem Unwesen, obgleich
manche Leute aus den bessern Ständen sich im Weinkeller einfanden,"


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[0506] vielmehr entwickelte er noch auf mannichfache sonstige Weise eine Thätigkeit, welche ein weiteres Eingehen auf die Untersuchung, ob Inculpat sich eines sonstigen Vergehens schuldig gemacht habe, er¬ fordert, wobei dann allerdings sein Protestiren und der Inhalt seines Protestes wieder berücksichtigt werden muß." Nach allen in den Akten vorkommenden Umständen lasse sich durchaus nicht anders annehmen, als daß die untersten Klassen von Höherstehenden auf jegliche Weise bearbeitet worden, äußern die Entscheidungsgründe, ohne Beweise für diese Annahme beizubringen. „Wie sollte auch," fahren sie fort, „der den Inculpaten größtentheils nicht einmal kennende Pöbel dazu gekommen sein, ihm die vielen brüllenden Vivats im Weinkeller zu bringen, wenn nicht sein Benehmen mächtig auf das Volk eingewirkt hätte? Weshalb brachte man ihm später Nachtmusik und errichtete eine Ehrenpforte vor seinem Hause, wenn seine Handlungen keinen Eindruck hervor¬ gebracht hätten? Der Erfolg des ganzen Benehmens des Incul¬ paten, daß er nämlich die Aufregung und die dadurch erzeugten Ercesse beförderte, läßt sich durchaus nicht bezweifeln, und allen Umständen nach kann man auch nicht anders annehmen, als daß er diesen Erfolg beabsichtigte." Aber die Beweise? Sie fehlen. Welches sind nun die strafwürdiger „Handlungen?" fragen wir begierig. Er ist zufällig einige Augenblicke in einem „Bierhause" gewesen, in einer Versammlung von „Personen des Mittelstandes, worin über die Verhinderung der Ausführung der Wehrpflicht bera¬ then wurde," er hat seine Schrift „konstitutionelle Verhandlungen" am 19. April für zwei Grote durch censirte Blätter zum Verkauf aufbieten lassen. Aus dieser Schrift ist im Weinkeller vorgelesen worden. Er hat eine Abschrift seines Protestes Andern mitgetheilt und diese ist ebenfalls im Weinkeller vorgelesen worden. Er selbst ist an den beiden unruhigen Tagen auf einen Augenblick in dem Weinkeller gesehen worden. „Hier sind," sagen die Entscheidungs¬ gründe, „aller Wahrscheinlichkeit nach (wird man in Bremen auch aus Wahrscheinlichkeitögründen verurtheilt), sein Protest und Stellen aus seiner Broschüre vorgelesen, ihm auch Hurrahs und Vivats gebracht worden, ohne daß er irgend einen ostensiblen Schritt that, dem zu steuern."—„AberNiemand steuerte dem Unwesen, obgleich manche Leute aus den bessern Ständen sich im Weinkeller einfanden,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/506>, abgerufen am 23.07.2024.