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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Bestimmungen nur auf durch Nachlässigkeit entstandene Verluste be¬
schränken kann, und auf Elementarereignisse keine Anwendung findet,
so würde das Eingehen auf diesen Vorschlag von Seite der Staats¬
regierung das öffentliche Vertrauen erhöhen und es wird blos davon
abhängen, ob die Negierung dieses mit vielen tausend Gulden zu er¬
kaufende Vertrauen hoch genug anschlägt.

Sie haben gewiß von der Wandertruppe der Madame Weiß ge¬
lesen, welche früher im Theater in der Josephstadt ihre Produktionen
gab, wo auch Herr Weiß als beliebter Komiker wirkt. Jetzt, wo sie
mit ihrem tanzenden Kinderkreuzzug von Paris aus weiter strebt, hat
Graf Apponv den Auftrag erhalten, ihr die Reise nach England un¬
möglich zu machen. Der Grund dieser Maßregel dürfte weniger in
der Entdeckung zu suchen sein, daß die Balletmeisterin sich Mißhand¬
lungen gegen ihre ersten Mitglieder erlaubt habe, auch nicht in der
Ansicht von der moralischen Verwerflichkeit dieser Kunstproduktionen,
als vielmehr in der Klagbarwerdung einiger hierorts lebenden Mütter,
die zwar leichtsinnig genug sein mochten, ihre unerwachsenen Madchen
einer cigennützigenHand zu überlassen, aber doch nicht so herzlos sind,
um ihre Kinder gar noch in einen fremden Welttheil ziehen zu lassen,
aus dem vielleicht blos die Wenigsten heimkehren würden. Denn die
Reife der Madame Weiß nach Großbritannien soll Nordamerika zu
ihrem weitern Zielpunkte gehabt haben und dazu wollten sich die be¬
kümmerten Eltern nicht verstehen.

Seltenes Glück macht die Kunstreitergesellschaft von Lejars und
Cuzent aus Paris, welche den Meisterstreich machten, ihre erste Vor¬
stellung zum Besten eines Kinderspitals zu veranstalten. Die Ge¬
wandtheit, die Grazie, der Adel, die Eleganz und wohlberechnete De-
cenz ihrer Erscheinung gewannen ihr bald auch die Gunst des Publi¬
kums, das sich über eine der schönsten Damen derselben mit allerlei
Gerüchten trug, welche, erfunden oder wahr, das öffentliche Interesse
an der Gesellschaft steigerten. Ein Cavalier soll der erwähnten Kunst¬
reiterin einen Liebesantrag gestellt haben, welchen der Ehemann der¬
selben dazu benutzte, um in ähnlicher Weise an dem Grafen Repressa¬
lien zu nehmen. Wie dem auch sei, Pferde und Reiterinnen haben
vermocht, was sonst nicht leicht Jemand vermögen dürste; die hohe
Aristokratie, deren Leidenschaft sich beinahe ausschließlich den Rossen
zugeneigt, hat, um alle Tage um fünf Uhr die üppigen Formen der
Madame Lejars bewundern zu können, die Eßstunde gegen Mittag
verlegt. Auf diese kühne Reform dürfen die Gefeierten stolzer sein,
als auf die Goldstücke, die sie von hier mit fortnehmen werden."

Im Hofburgtheater wird nun dennoch "Moritz von Sachsen zur
Darstellung gelangen und zwar als Benefize der Regie; mein nächster
Brief soll Ihnen bereits den Erfolg berichten, der hier wahrscheinlich
gesichert sein dürste, denn Oesterreich ist bei dem an freisinnige Reden


Bestimmungen nur auf durch Nachlässigkeit entstandene Verluste be¬
schränken kann, und auf Elementarereignisse keine Anwendung findet,
so würde das Eingehen auf diesen Vorschlag von Seite der Staats¬
regierung das öffentliche Vertrauen erhöhen und es wird blos davon
abhängen, ob die Negierung dieses mit vielen tausend Gulden zu er¬
kaufende Vertrauen hoch genug anschlägt.

Sie haben gewiß von der Wandertruppe der Madame Weiß ge¬
lesen, welche früher im Theater in der Josephstadt ihre Produktionen
gab, wo auch Herr Weiß als beliebter Komiker wirkt. Jetzt, wo sie
mit ihrem tanzenden Kinderkreuzzug von Paris aus weiter strebt, hat
Graf Apponv den Auftrag erhalten, ihr die Reise nach England un¬
möglich zu machen. Der Grund dieser Maßregel dürfte weniger in
der Entdeckung zu suchen sein, daß die Balletmeisterin sich Mißhand¬
lungen gegen ihre ersten Mitglieder erlaubt habe, auch nicht in der
Ansicht von der moralischen Verwerflichkeit dieser Kunstproduktionen,
als vielmehr in der Klagbarwerdung einiger hierorts lebenden Mütter,
die zwar leichtsinnig genug sein mochten, ihre unerwachsenen Madchen
einer cigennützigenHand zu überlassen, aber doch nicht so herzlos sind,
um ihre Kinder gar noch in einen fremden Welttheil ziehen zu lassen,
aus dem vielleicht blos die Wenigsten heimkehren würden. Denn die
Reife der Madame Weiß nach Großbritannien soll Nordamerika zu
ihrem weitern Zielpunkte gehabt haben und dazu wollten sich die be¬
kümmerten Eltern nicht verstehen.

Seltenes Glück macht die Kunstreitergesellschaft von Lejars und
Cuzent aus Paris, welche den Meisterstreich machten, ihre erste Vor¬
stellung zum Besten eines Kinderspitals zu veranstalten. Die Ge¬
wandtheit, die Grazie, der Adel, die Eleganz und wohlberechnete De-
cenz ihrer Erscheinung gewannen ihr bald auch die Gunst des Publi¬
kums, das sich über eine der schönsten Damen derselben mit allerlei
Gerüchten trug, welche, erfunden oder wahr, das öffentliche Interesse
an der Gesellschaft steigerten. Ein Cavalier soll der erwähnten Kunst¬
reiterin einen Liebesantrag gestellt haben, welchen der Ehemann der¬
selben dazu benutzte, um in ähnlicher Weise an dem Grafen Repressa¬
lien zu nehmen. Wie dem auch sei, Pferde und Reiterinnen haben
vermocht, was sonst nicht leicht Jemand vermögen dürste; die hohe
Aristokratie, deren Leidenschaft sich beinahe ausschließlich den Rossen
zugeneigt, hat, um alle Tage um fünf Uhr die üppigen Formen der
Madame Lejars bewundern zu können, die Eßstunde gegen Mittag
verlegt. Auf diese kühne Reform dürfen die Gefeierten stolzer sein,
als auf die Goldstücke, die sie von hier mit fortnehmen werden."

Im Hofburgtheater wird nun dennoch „Moritz von Sachsen zur
Darstellung gelangen und zwar als Benefize der Regie; mein nächster
Brief soll Ihnen bereits den Erfolg berichten, der hier wahrscheinlich
gesichert sein dürste, denn Oesterreich ist bei dem an freisinnige Reden


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[0489] Bestimmungen nur auf durch Nachlässigkeit entstandene Verluste be¬ schränken kann, und auf Elementarereignisse keine Anwendung findet, so würde das Eingehen auf diesen Vorschlag von Seite der Staats¬ regierung das öffentliche Vertrauen erhöhen und es wird blos davon abhängen, ob die Negierung dieses mit vielen tausend Gulden zu er¬ kaufende Vertrauen hoch genug anschlägt. Sie haben gewiß von der Wandertruppe der Madame Weiß ge¬ lesen, welche früher im Theater in der Josephstadt ihre Produktionen gab, wo auch Herr Weiß als beliebter Komiker wirkt. Jetzt, wo sie mit ihrem tanzenden Kinderkreuzzug von Paris aus weiter strebt, hat Graf Apponv den Auftrag erhalten, ihr die Reise nach England un¬ möglich zu machen. Der Grund dieser Maßregel dürfte weniger in der Entdeckung zu suchen sein, daß die Balletmeisterin sich Mißhand¬ lungen gegen ihre ersten Mitglieder erlaubt habe, auch nicht in der Ansicht von der moralischen Verwerflichkeit dieser Kunstproduktionen, als vielmehr in der Klagbarwerdung einiger hierorts lebenden Mütter, die zwar leichtsinnig genug sein mochten, ihre unerwachsenen Madchen einer cigennützigenHand zu überlassen, aber doch nicht so herzlos sind, um ihre Kinder gar noch in einen fremden Welttheil ziehen zu lassen, aus dem vielleicht blos die Wenigsten heimkehren würden. Denn die Reife der Madame Weiß nach Großbritannien soll Nordamerika zu ihrem weitern Zielpunkte gehabt haben und dazu wollten sich die be¬ kümmerten Eltern nicht verstehen. Seltenes Glück macht die Kunstreitergesellschaft von Lejars und Cuzent aus Paris, welche den Meisterstreich machten, ihre erste Vor¬ stellung zum Besten eines Kinderspitals zu veranstalten. Die Ge¬ wandtheit, die Grazie, der Adel, die Eleganz und wohlberechnete De- cenz ihrer Erscheinung gewannen ihr bald auch die Gunst des Publi¬ kums, das sich über eine der schönsten Damen derselben mit allerlei Gerüchten trug, welche, erfunden oder wahr, das öffentliche Interesse an der Gesellschaft steigerten. Ein Cavalier soll der erwähnten Kunst¬ reiterin einen Liebesantrag gestellt haben, welchen der Ehemann der¬ selben dazu benutzte, um in ähnlicher Weise an dem Grafen Repressa¬ lien zu nehmen. Wie dem auch sei, Pferde und Reiterinnen haben vermocht, was sonst nicht leicht Jemand vermögen dürste; die hohe Aristokratie, deren Leidenschaft sich beinahe ausschließlich den Rossen zugeneigt, hat, um alle Tage um fünf Uhr die üppigen Formen der Madame Lejars bewundern zu können, die Eßstunde gegen Mittag verlegt. Auf diese kühne Reform dürfen die Gefeierten stolzer sein, als auf die Goldstücke, die sie von hier mit fortnehmen werden." Im Hofburgtheater wird nun dennoch „Moritz von Sachsen zur Darstellung gelangen und zwar als Benefize der Regie; mein nächster Brief soll Ihnen bereits den Erfolg berichten, der hier wahrscheinlich gesichert sein dürste, denn Oesterreich ist bei dem an freisinnige Reden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/489>, abgerufen am 25.08.2024.