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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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kürzlich, "nimmt an der neuen Gestaltung unserer protestantischen Kirche
eine rege Theilnahme, welche namentlich zu Magdeburg in der Bür¬
gerschaft einen lebendigen Ausdruck gefunden hat." Hier wurde der
Synode "eine mit zahlreichen Unterschriften von Männern aller Stände
und Bildungsstufen versehene Denkschrift überreicht, in welcher die
Nothwendigkeit einer neuen kirchlichen Organisation dargethan
wird." Von einer Denkschrift "mit zahlreichen Unterschriften von
Männern aller Stände und Bildungsstufen, in welcher die Noth¬
wendigkeit einer neuen politischen Organisation dargethan wird,"
ist Nichts zur öffentlichen Kunde gekommen. Wer für eine religiöse
Confession aus konfessionellen Bewußtsein Partei ergreift, wie das
in der Provinz Sachsen so häusig geschehen, ist noch unfrei, in con-
fessionellen Banden. Am Rhein, an der Weichsel und am Pregel
hat man um Einführung von Reichs ständen, um Ausführung
des Gesetzes von 1815, um "Repräsentativverfassung" pe-
titivnirt. Die Provinzialstände erscheinen nicht nur im Allgemeinen,
sondern auch noch durch die Beschränkung auf das Grundeigenthum
ungenügend. "Das Grundeigenthum schließt nicht blos die Intelli¬
genz aus, sondern auch alle Arten von Vermögen, Handel und In¬
dustrie, oder es vertritt alles andere Vermögen mit, was für sich nicht
gilt. So ist in die provinzialständische Verfassung ein Element aus
dem alten Ständestaat gekommen, dem der Theil mehr gilt, als das
Ganze, und der Grundbesitzer behaupten darf, wie früher der Adel,
alle andern Bürger des Staates zu vertreten, die deshalb keiner Ver¬
tretung bedürften." (Hinrichs politische Vorlesungen II. S. 39.) Die¬
jenigen bürgerlichen Stände, die man vorzugsweise als die gebildeten
bezeichnet, sind nicht wählbar, in den Städten die Justiz-Commissäre,
auf dem Lande die Fabrikbesitzer. Die Provinzialständemitglieder sind
Standesrepräsentanten, sie stimmen als Ritter, Bürger oder Bauern,
nicht als Bürger und Menschen. Sie haben besondere Interessen zu
vertreten, keine allgemeinen. Die aus diesen zur Berathung allgemei¬
ner Landesangelegenheiten gewählten vereinigten Ausschüsse sind nur
provinzialständische Ausschüsse, also keine allgemeine Landesvertretung,
keine "Reichsausschüsse." Dem Gesetze vom 22. Mai 1815, das in
ez. I. bestimmt: "Es soll eine Repräsentation des Volks gebildet wer¬
den," das "Landesrepräsentanten" ankündigt, ist damit nicht entspro¬
chen. Man fühlt sich mündig. Man wünscht diese Mündigkeit a,^


kürzlich, „nimmt an der neuen Gestaltung unserer protestantischen Kirche
eine rege Theilnahme, welche namentlich zu Magdeburg in der Bür¬
gerschaft einen lebendigen Ausdruck gefunden hat." Hier wurde der
Synode „eine mit zahlreichen Unterschriften von Männern aller Stände
und Bildungsstufen versehene Denkschrift überreicht, in welcher die
Nothwendigkeit einer neuen kirchlichen Organisation dargethan
wird." Von einer Denkschrift „mit zahlreichen Unterschriften von
Männern aller Stände und Bildungsstufen, in welcher die Noth¬
wendigkeit einer neuen politischen Organisation dargethan wird,"
ist Nichts zur öffentlichen Kunde gekommen. Wer für eine religiöse
Confession aus konfessionellen Bewußtsein Partei ergreift, wie das
in der Provinz Sachsen so häusig geschehen, ist noch unfrei, in con-
fessionellen Banden. Am Rhein, an der Weichsel und am Pregel
hat man um Einführung von Reichs ständen, um Ausführung
des Gesetzes von 1815, um „Repräsentativverfassung" pe-
titivnirt. Die Provinzialstände erscheinen nicht nur im Allgemeinen,
sondern auch noch durch die Beschränkung auf das Grundeigenthum
ungenügend. „Das Grundeigenthum schließt nicht blos die Intelli¬
genz aus, sondern auch alle Arten von Vermögen, Handel und In¬
dustrie, oder es vertritt alles andere Vermögen mit, was für sich nicht
gilt. So ist in die provinzialständische Verfassung ein Element aus
dem alten Ständestaat gekommen, dem der Theil mehr gilt, als das
Ganze, und der Grundbesitzer behaupten darf, wie früher der Adel,
alle andern Bürger des Staates zu vertreten, die deshalb keiner Ver¬
tretung bedürften." (Hinrichs politische Vorlesungen II. S. 39.) Die¬
jenigen bürgerlichen Stände, die man vorzugsweise als die gebildeten
bezeichnet, sind nicht wählbar, in den Städten die Justiz-Commissäre,
auf dem Lande die Fabrikbesitzer. Die Provinzialständemitglieder sind
Standesrepräsentanten, sie stimmen als Ritter, Bürger oder Bauern,
nicht als Bürger und Menschen. Sie haben besondere Interessen zu
vertreten, keine allgemeinen. Die aus diesen zur Berathung allgemei¬
ner Landesangelegenheiten gewählten vereinigten Ausschüsse sind nur
provinzialständische Ausschüsse, also keine allgemeine Landesvertretung,
keine „Reichsausschüsse." Dem Gesetze vom 22. Mai 1815, das in
ez. I. bestimmt: „Es soll eine Repräsentation des Volks gebildet wer¬
den," das „Landesrepräsentanten" ankündigt, ist damit nicht entspro¬
chen. Man fühlt sich mündig. Man wünscht diese Mündigkeit a,^


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[0458] kürzlich, „nimmt an der neuen Gestaltung unserer protestantischen Kirche eine rege Theilnahme, welche namentlich zu Magdeburg in der Bür¬ gerschaft einen lebendigen Ausdruck gefunden hat." Hier wurde der Synode „eine mit zahlreichen Unterschriften von Männern aller Stände und Bildungsstufen versehene Denkschrift überreicht, in welcher die Nothwendigkeit einer neuen kirchlichen Organisation dargethan wird." Von einer Denkschrift „mit zahlreichen Unterschriften von Männern aller Stände und Bildungsstufen, in welcher die Noth¬ wendigkeit einer neuen politischen Organisation dargethan wird," ist Nichts zur öffentlichen Kunde gekommen. Wer für eine religiöse Confession aus konfessionellen Bewußtsein Partei ergreift, wie das in der Provinz Sachsen so häusig geschehen, ist noch unfrei, in con- fessionellen Banden. Am Rhein, an der Weichsel und am Pregel hat man um Einführung von Reichs ständen, um Ausführung des Gesetzes von 1815, um „Repräsentativverfassung" pe- titivnirt. Die Provinzialstände erscheinen nicht nur im Allgemeinen, sondern auch noch durch die Beschränkung auf das Grundeigenthum ungenügend. „Das Grundeigenthum schließt nicht blos die Intelli¬ genz aus, sondern auch alle Arten von Vermögen, Handel und In¬ dustrie, oder es vertritt alles andere Vermögen mit, was für sich nicht gilt. So ist in die provinzialständische Verfassung ein Element aus dem alten Ständestaat gekommen, dem der Theil mehr gilt, als das Ganze, und der Grundbesitzer behaupten darf, wie früher der Adel, alle andern Bürger des Staates zu vertreten, die deshalb keiner Ver¬ tretung bedürften." (Hinrichs politische Vorlesungen II. S. 39.) Die¬ jenigen bürgerlichen Stände, die man vorzugsweise als die gebildeten bezeichnet, sind nicht wählbar, in den Städten die Justiz-Commissäre, auf dem Lande die Fabrikbesitzer. Die Provinzialständemitglieder sind Standesrepräsentanten, sie stimmen als Ritter, Bürger oder Bauern, nicht als Bürger und Menschen. Sie haben besondere Interessen zu vertreten, keine allgemeinen. Die aus diesen zur Berathung allgemei¬ ner Landesangelegenheiten gewählten vereinigten Ausschüsse sind nur provinzialständische Ausschüsse, also keine allgemeine Landesvertretung, keine „Reichsausschüsse." Dem Gesetze vom 22. Mai 1815, das in ez. I. bestimmt: „Es soll eine Repräsentation des Volks gebildet wer¬ den," das „Landesrepräsentanten" ankündigt, ist damit nicht entspro¬ chen. Man fühlt sich mündig. Man wünscht diese Mündigkeit a,^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/458>, abgerufen am 29.06.2024.