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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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erkannt und ausgesprochen und der Bevormundung der Beamten-
Hierarchie überhoben. Man sieht mit größter Sehnsucht einer Volks¬
repräsentation entgegen, an der, wie Preußen auf dem Wiener
Kongresse beantragte, alle Klassen der Staatsbürger Theil nehmen.

Preßfreiheit ist von vielen Seiten beantragt worden. Die
Presse, d. h. die freie Presse, denn eine unfreie, censirte Presse ist ein
Unding, ist die Grundbedingung eines freien Staatslebens. Unab¬
lässig und unermüdet muß der Kampf für sie geführt werden. Für
ihre Freiheit müssen sich Aller Stimmen erheben, damit das Gewicht
der öffentlichen Meinung durchdringe. Die Organe, die die Ent¬
fesselung der Presse für eine Unmöglichkeit halten und deshalb nur
um "präcisere Censurgesetze" bitten wollen, geben muthlos sich selbst
und ihre Sache verloren. -- Die Petitionen um Emancipation, um
völlige politische und bürgerliche Gleichstellung der Juden, die in
Köln und Bielefeld, in Königsberg und Elbing und an andern Or¬
ten im Osten und Westen des Staats gestellt sind, geben Kunde
von dem im Volke verbreiteten, in confessionellen Vorurtheilen nicht
befangenen Geist edler Humanität, der in dem Menschen nur den
Menschen sieht. Die "Glaubensfreiheit" muß endlich eine Wahrheit
werden, denn "hier muß jeder nach seiner Fa^on selig werden." Es
muß endlich anerkannt und ausgesprochen werden: der Staat hat
und kennt keine Religion. -- Unbedingte Oeffentlichkeit der ständischen
Verhandlungen, Nennung der Namen der Redner, Oeffentlichkeit der
Stadtverordnetensttzungen werden verlangt. Auch Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit im Kriminalverfahren und Geschwornengerichte sind bean¬
tragt, Aufhebung des'erimirten Gerichtsstandes, größere Vertretung der
Städte und Landgemeinden auf den Landtagen, Aenderung des Wahl¬
gesetzes, Abstimmung nach unbedingter Stimmenmehrheit. Dabei ist
auch auf angemessene Vertretung der Wissenschaft und Kunst, der
Intelligenz, der Universitäten angetragen. Eine solche besondere Ver¬
tretung der Korporationen würde nur weiter in den mittelalterlichen
Ständestaat hineinführen. Eben so ist nicht sowohl eine besondere
Vertretung der Intelligenz, der Kunst und Wissenschaft zu erstreben.
Die Vertretung vielmehr soll Intelligenz besitzen, nur die Intelligenz
soll zur Vertretung berufen werden, weshalb alle Wahlbeschränkungen
aufzuheben sind, damit nicht der Census, das Gewerbe, (wie bei den
Deputaten der Landgemeinden der Betrieb der Landwirthschaft) son-


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erkannt und ausgesprochen und der Bevormundung der Beamten-
Hierarchie überhoben. Man sieht mit größter Sehnsucht einer Volks¬
repräsentation entgegen, an der, wie Preußen auf dem Wiener
Kongresse beantragte, alle Klassen der Staatsbürger Theil nehmen.

Preßfreiheit ist von vielen Seiten beantragt worden. Die
Presse, d. h. die freie Presse, denn eine unfreie, censirte Presse ist ein
Unding, ist die Grundbedingung eines freien Staatslebens. Unab¬
lässig und unermüdet muß der Kampf für sie geführt werden. Für
ihre Freiheit müssen sich Aller Stimmen erheben, damit das Gewicht
der öffentlichen Meinung durchdringe. Die Organe, die die Ent¬
fesselung der Presse für eine Unmöglichkeit halten und deshalb nur
um „präcisere Censurgesetze" bitten wollen, geben muthlos sich selbst
und ihre Sache verloren. — Die Petitionen um Emancipation, um
völlige politische und bürgerliche Gleichstellung der Juden, die in
Köln und Bielefeld, in Königsberg und Elbing und an andern Or¬
ten im Osten und Westen des Staats gestellt sind, geben Kunde
von dem im Volke verbreiteten, in confessionellen Vorurtheilen nicht
befangenen Geist edler Humanität, der in dem Menschen nur den
Menschen sieht. Die „Glaubensfreiheit" muß endlich eine Wahrheit
werden, denn „hier muß jeder nach seiner Fa^on selig werden." Es
muß endlich anerkannt und ausgesprochen werden: der Staat hat
und kennt keine Religion. — Unbedingte Oeffentlichkeit der ständischen
Verhandlungen, Nennung der Namen der Redner, Oeffentlichkeit der
Stadtverordnetensttzungen werden verlangt. Auch Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit im Kriminalverfahren und Geschwornengerichte sind bean¬
tragt, Aufhebung des'erimirten Gerichtsstandes, größere Vertretung der
Städte und Landgemeinden auf den Landtagen, Aenderung des Wahl¬
gesetzes, Abstimmung nach unbedingter Stimmenmehrheit. Dabei ist
auch auf angemessene Vertretung der Wissenschaft und Kunst, der
Intelligenz, der Universitäten angetragen. Eine solche besondere Ver¬
tretung der Korporationen würde nur weiter in den mittelalterlichen
Ständestaat hineinführen. Eben so ist nicht sowohl eine besondere
Vertretung der Intelligenz, der Kunst und Wissenschaft zu erstreben.
Die Vertretung vielmehr soll Intelligenz besitzen, nur die Intelligenz
soll zur Vertretung berufen werden, weshalb alle Wahlbeschränkungen
aufzuheben sind, damit nicht der Census, das Gewerbe, (wie bei den
Deputaten der Landgemeinden der Betrieb der Landwirthschaft) son-


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[0459] erkannt und ausgesprochen und der Bevormundung der Beamten- Hierarchie überhoben. Man sieht mit größter Sehnsucht einer Volks¬ repräsentation entgegen, an der, wie Preußen auf dem Wiener Kongresse beantragte, alle Klassen der Staatsbürger Theil nehmen. Preßfreiheit ist von vielen Seiten beantragt worden. Die Presse, d. h. die freie Presse, denn eine unfreie, censirte Presse ist ein Unding, ist die Grundbedingung eines freien Staatslebens. Unab¬ lässig und unermüdet muß der Kampf für sie geführt werden. Für ihre Freiheit müssen sich Aller Stimmen erheben, damit das Gewicht der öffentlichen Meinung durchdringe. Die Organe, die die Ent¬ fesselung der Presse für eine Unmöglichkeit halten und deshalb nur um „präcisere Censurgesetze" bitten wollen, geben muthlos sich selbst und ihre Sache verloren. — Die Petitionen um Emancipation, um völlige politische und bürgerliche Gleichstellung der Juden, die in Köln und Bielefeld, in Königsberg und Elbing und an andern Or¬ ten im Osten und Westen des Staats gestellt sind, geben Kunde von dem im Volke verbreiteten, in confessionellen Vorurtheilen nicht befangenen Geist edler Humanität, der in dem Menschen nur den Menschen sieht. Die „Glaubensfreiheit" muß endlich eine Wahrheit werden, denn „hier muß jeder nach seiner Fa^on selig werden." Es muß endlich anerkannt und ausgesprochen werden: der Staat hat und kennt keine Religion. — Unbedingte Oeffentlichkeit der ständischen Verhandlungen, Nennung der Namen der Redner, Oeffentlichkeit der Stadtverordnetensttzungen werden verlangt. Auch Oeffentlichkeit und Mündlichkeit im Kriminalverfahren und Geschwornengerichte sind bean¬ tragt, Aufhebung des'erimirten Gerichtsstandes, größere Vertretung der Städte und Landgemeinden auf den Landtagen, Aenderung des Wahl¬ gesetzes, Abstimmung nach unbedingter Stimmenmehrheit. Dabei ist auch auf angemessene Vertretung der Wissenschaft und Kunst, der Intelligenz, der Universitäten angetragen. Eine solche besondere Ver¬ tretung der Korporationen würde nur weiter in den mittelalterlichen Ständestaat hineinführen. Eben so ist nicht sowohl eine besondere Vertretung der Intelligenz, der Kunst und Wissenschaft zu erstreben. Die Vertretung vielmehr soll Intelligenz besitzen, nur die Intelligenz soll zur Vertretung berufen werden, weshalb alle Wahlbeschränkungen aufzuheben sind, damit nicht der Census, das Gewerbe, (wie bei den Deputaten der Landgemeinden der Betrieb der Landwirthschaft) son- Grciizbotcn I«i!>. I. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/459>, abgerufen am 26.06.2024.