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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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es schwerer, die Gleichgesinnten so schnell herauszufinden. Die deut¬
schen Städte sind zu klein, als daß diese geräuschlosen Waffenbrüder
in Schwadronen sich zusammenthun könnten; aber unter einer Million
Menschen hat Jedermann die Auswahl seiner Gesellschaft. Alle diese
Banden sind wohl organisirt, jede hat ihren Anführer, ihre Ausspäher,
ihre Diebeshehler, Jeder hat seinen Nang in dieser geheimnißvollen
Hierarchie. Die Vertheilung der Beute geschieht mit einer Gewissen¬
haftigkeit, die bei ehrlichen Leuten nicht immer zu finden ist. Kaffee¬
häuser und Weinkneipen -- die übrigens die Polizei genau kennt --
sind stets die Versammlungspunkte. Ein Diebstahl ist wie ein Han¬
delsgeschäft; der Eine schlägt es vor, und die Andern negociren es;
demjenigen, der die Idee und den Plan hergibt, wird stets eine Prä¬
mie vor den Andern zuerkannt. Sobald die Campagne eröffnet ist,
wird Jedem sein Posten angewiesen, ein Losungswort gegeben, Wachen
ausgestellt und für den Fall eines Ueberfalls sind Anstalten getroffen,
daß die Truppe sich zu einem Haufen zusammenziehen kann, um Wi¬
derstand zu leisten oder in bester Ordnung sich zurückzuziehen. Und
dies Alles in Mitten von Paris, nicht etwa die phantastische Erfindung
eines Romandichters, sondern gerichtlich documentirt! Diese Feldzüge
gegen die bürgerliche Gesellschaft haben eine beinahe wissenschaftliche
Strategie und Taktik. Die Kunst des Diebstahls hat wie die Kriegs¬
kunst ihre großen Capitäne, ihre berühmten Feldherren. Gewöhnlich
ist es das Vagno, in dessen Mitte diese hohen Würden besprochen
und zuerkannt werden und die Meinung des Zuchthauses wird außer¬
halb desselben hoch geachtet. Bei dieser wissenschaftlichen Organisation
des Verbrechens ist es zum Erstaunen, daß man den Missethaten, die
doch an öffentlichen Orten vorbereitet werden, nicht zuvorkommen kann.
Denn wohlgemerkt, an der Seite dieser Gräuelbanden unterhält die Po¬
lizei mit der größten Aufmerksamkeit ganze Brigaden von Spähern,
die durch eine gewisse Geistes-Verwandtschaft, sowie durch genaue Kennt¬
niß des Rothwälsch (von dem Eugene Sue dem großen Publicum
einige Proben gab) Tag für Tag, ja Stunde für Stunde Beuchte er¬
theilen können; die Nahrungszweige, die Pläne, die ganze Bewegung jener
entarteten Bevölkerung werden überschaut. Von der elenden Stube,
in welcher der freigelassene Züchtling Nachts schlaft, bis auf die Kneipe,
die er besucht, kann man jeden seiner Schritte erspähen. Sobald eine
Missethat statt findet, entgeht der Verbrecher selten der Hand der Po¬
lizei, ganz sichere Spuren leiten die Entdeckung. Aber warum erst
nach der Unthat? Warum gibt es so wenig Mittel, ihr zuvorzu¬
kommen und sie abzuwenden? Das Gesetz erlaubt allerdings keinen
willkürlichen Schritt; selbst solchen Menschen gegenüber darf das Prin¬
zip der persönlichen Freiheit in Frankreich nicht verletzt werden. Aber
es gibt vielfache Mittel, selbst innerhalb der gesetzlichen Schranken die
Anführer dieser Banden unschädlich zu machen. Sicherlich thut man


es schwerer, die Gleichgesinnten so schnell herauszufinden. Die deut¬
schen Städte sind zu klein, als daß diese geräuschlosen Waffenbrüder
in Schwadronen sich zusammenthun könnten; aber unter einer Million
Menschen hat Jedermann die Auswahl seiner Gesellschaft. Alle diese
Banden sind wohl organisirt, jede hat ihren Anführer, ihre Ausspäher,
ihre Diebeshehler, Jeder hat seinen Nang in dieser geheimnißvollen
Hierarchie. Die Vertheilung der Beute geschieht mit einer Gewissen¬
haftigkeit, die bei ehrlichen Leuten nicht immer zu finden ist. Kaffee¬
häuser und Weinkneipen — die übrigens die Polizei genau kennt —
sind stets die Versammlungspunkte. Ein Diebstahl ist wie ein Han¬
delsgeschäft; der Eine schlägt es vor, und die Andern negociren es;
demjenigen, der die Idee und den Plan hergibt, wird stets eine Prä¬
mie vor den Andern zuerkannt. Sobald die Campagne eröffnet ist,
wird Jedem sein Posten angewiesen, ein Losungswort gegeben, Wachen
ausgestellt und für den Fall eines Ueberfalls sind Anstalten getroffen,
daß die Truppe sich zu einem Haufen zusammenziehen kann, um Wi¬
derstand zu leisten oder in bester Ordnung sich zurückzuziehen. Und
dies Alles in Mitten von Paris, nicht etwa die phantastische Erfindung
eines Romandichters, sondern gerichtlich documentirt! Diese Feldzüge
gegen die bürgerliche Gesellschaft haben eine beinahe wissenschaftliche
Strategie und Taktik. Die Kunst des Diebstahls hat wie die Kriegs¬
kunst ihre großen Capitäne, ihre berühmten Feldherren. Gewöhnlich
ist es das Vagno, in dessen Mitte diese hohen Würden besprochen
und zuerkannt werden und die Meinung des Zuchthauses wird außer¬
halb desselben hoch geachtet. Bei dieser wissenschaftlichen Organisation
des Verbrechens ist es zum Erstaunen, daß man den Missethaten, die
doch an öffentlichen Orten vorbereitet werden, nicht zuvorkommen kann.
Denn wohlgemerkt, an der Seite dieser Gräuelbanden unterhält die Po¬
lizei mit der größten Aufmerksamkeit ganze Brigaden von Spähern,
die durch eine gewisse Geistes-Verwandtschaft, sowie durch genaue Kennt¬
niß des Rothwälsch (von dem Eugene Sue dem großen Publicum
einige Proben gab) Tag für Tag, ja Stunde für Stunde Beuchte er¬
theilen können; die Nahrungszweige, die Pläne, die ganze Bewegung jener
entarteten Bevölkerung werden überschaut. Von der elenden Stube,
in welcher der freigelassene Züchtling Nachts schlaft, bis auf die Kneipe,
die er besucht, kann man jeden seiner Schritte erspähen. Sobald eine
Missethat statt findet, entgeht der Verbrecher selten der Hand der Po¬
lizei, ganz sichere Spuren leiten die Entdeckung. Aber warum erst
nach der Unthat? Warum gibt es so wenig Mittel, ihr zuvorzu¬
kommen und sie abzuwenden? Das Gesetz erlaubt allerdings keinen
willkürlichen Schritt; selbst solchen Menschen gegenüber darf das Prin¬
zip der persönlichen Freiheit in Frankreich nicht verletzt werden. Aber
es gibt vielfache Mittel, selbst innerhalb der gesetzlichen Schranken die
Anführer dieser Banden unschädlich zu machen. Sicherlich thut man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/434>, abgerufen am 22.07.2024.