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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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inDeutschland besser, sich hierin an das Beispiel Englands als Frankreichs
zu halten. Die Polizei in London geht überall von dem Prinzip der
Prcventivmaßregcln aus, sie sucht die Verbrechen zu verhüten, wah¬
rend die Pariser Polizei die Verbrecher zu ertappen strebt. Aller¬
dings ist die Londoner Polizei auf eine großartige Weise organisirr,
das Personale, das sie in Bewegung setzt, ist ungeheuer. Aber wo
die öffentliche Sicherheit und Moralität im Spiele ist, sollte ein Staat
von keinen ökonomischen Rücksichten sich leiten lassen. Keine Staats¬
ausgabe ist besser angewendet als die, und ist nicht das, was auf die
Ueberwachung dieser Missethäter mehr verausgabt wird, eine Ersparnis,
für das Budget der Gefängnisse und Strafanstalten?

Merkwürdig ist die Sorglosigkeit der Pariser trotz aller dieser
Assisenverhandlungen. Man darf in jedes Magazin, in jeden Laden,
in jedes Caso eintreten; sobald man anständig gekleidet ist, fallt es
Niemand ein, Einen mit besonderer Wachsamkeit anzusehen. Dies ist
mir dieser Tage erst in dem großen Magazin Il> pill"z alö ?!uis auf¬
gefallen. Ich weiß nicht, ob man in Deutschland einen Begriff von
diesem Etablissement hat. Die Modehandlung, welche unter diesem
Aushängeschild hier seit vier Jahren errichtet wurde, ist kein Magazin,
kein Haus, es ist eine kleine Stadt. Ein hundert zwei und sechzig
Commis, Ladenmädchen und Buchhalter befinden sich in dieser Mode¬
handlung, in welcher man zu jeder Tages-Stunde mehrere hundert
Käufer und Nichtkaufer finden kann. Man spaziert in den Magazi¬
nen dieser Handlung auf und ab, wie in einer Reihe von Ballsalen.
Es hat etwas Aehnliches mit dem Bazar, der zu Weihnachten in Leip¬
zig eröffnet wird, nur daß dort fünfzig Menschen feil haben und
hier drei Mal soviel, während doch Alles einen einzigen Eigenthümer
hat. Und welche Pracht der Einrichtung, welche Zuvorkommenheit!
Von dem kleinsten Schnupftuch für 4 Silbergroschen bis zum ostin¬
dischen Schawl für 5We) Franken wird hier Alles mit gleicher Dienst-
fertigkeit angeboten. In neuester Zeit hat sich durch das enorme Glück,
welches die ville <1o t^ris machte, ein ähnliches und zwar noch grö¬
ßeres Etablissement im ^i-nul l^ol>"ort aufgethan, aber die Concurrenz
ist nicht mehr gefährlich, denn der Eigenthümer der ville "I" l^"ris
gedenkt sich bereits mit einem Vermögen von KO,VOl) Franken jähr¬
licher Rente zurückzuziehen. Ist es ein Wunder, wenn da, wo ein
großes Vermögen so schnell gewonnen wird, Jedermann denselben Weg
einschlägt? Der Verbrecher auf der Assisenbank ist vielleicht nur durch
ein ähnliches Beispiel dazu verlockt worden. Und doch muß man es
zur Ehre dieser vielverlcumdeten Stadt sagen, daß in ihr ein sehr gro¬
ßer Fond von Ehrlichkeit und Vertrauen lebt, den aller dieser an die
Oberfläche gelangende Schaum von Missethätern nicht trüben kann.
Nirgends in der Welt ist es leichter, Credit zu erhalten als in Paris;
was Beweis genug ist, daß hier eben so ehrlich gezahlt wird als allent-


Ärcuzbotcn, 185g. I. 55

inDeutschland besser, sich hierin an das Beispiel Englands als Frankreichs
zu halten. Die Polizei in London geht überall von dem Prinzip der
Prcventivmaßregcln aus, sie sucht die Verbrechen zu verhüten, wah¬
rend die Pariser Polizei die Verbrecher zu ertappen strebt. Aller¬
dings ist die Londoner Polizei auf eine großartige Weise organisirr,
das Personale, das sie in Bewegung setzt, ist ungeheuer. Aber wo
die öffentliche Sicherheit und Moralität im Spiele ist, sollte ein Staat
von keinen ökonomischen Rücksichten sich leiten lassen. Keine Staats¬
ausgabe ist besser angewendet als die, und ist nicht das, was auf die
Ueberwachung dieser Missethäter mehr verausgabt wird, eine Ersparnis,
für das Budget der Gefängnisse und Strafanstalten?

Merkwürdig ist die Sorglosigkeit der Pariser trotz aller dieser
Assisenverhandlungen. Man darf in jedes Magazin, in jeden Laden,
in jedes Caso eintreten; sobald man anständig gekleidet ist, fallt es
Niemand ein, Einen mit besonderer Wachsamkeit anzusehen. Dies ist
mir dieser Tage erst in dem großen Magazin Il> pill«z alö ?!uis auf¬
gefallen. Ich weiß nicht, ob man in Deutschland einen Begriff von
diesem Etablissement hat. Die Modehandlung, welche unter diesem
Aushängeschild hier seit vier Jahren errichtet wurde, ist kein Magazin,
kein Haus, es ist eine kleine Stadt. Ein hundert zwei und sechzig
Commis, Ladenmädchen und Buchhalter befinden sich in dieser Mode¬
handlung, in welcher man zu jeder Tages-Stunde mehrere hundert
Käufer und Nichtkaufer finden kann. Man spaziert in den Magazi¬
nen dieser Handlung auf und ab, wie in einer Reihe von Ballsalen.
Es hat etwas Aehnliches mit dem Bazar, der zu Weihnachten in Leip¬
zig eröffnet wird, nur daß dort fünfzig Menschen feil haben und
hier drei Mal soviel, während doch Alles einen einzigen Eigenthümer
hat. Und welche Pracht der Einrichtung, welche Zuvorkommenheit!
Von dem kleinsten Schnupftuch für 4 Silbergroschen bis zum ostin¬
dischen Schawl für 5We) Franken wird hier Alles mit gleicher Dienst-
fertigkeit angeboten. In neuester Zeit hat sich durch das enorme Glück,
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licher Rente zurückzuziehen. Ist es ein Wunder, wenn da, wo ein
großes Vermögen so schnell gewonnen wird, Jedermann denselben Weg
einschlägt? Der Verbrecher auf der Assisenbank ist vielleicht nur durch
ein ähnliches Beispiel dazu verlockt worden. Und doch muß man es
zur Ehre dieser vielverlcumdeten Stadt sagen, daß in ihr ein sehr gro¬
ßer Fond von Ehrlichkeit und Vertrauen lebt, den aller dieser an die
Oberfläche gelangende Schaum von Missethätern nicht trüben kann.
Nirgends in der Welt ist es leichter, Credit zu erhalten als in Paris;
was Beweis genug ist, daß hier eben so ehrlich gezahlt wird als allent-


Ärcuzbotcn, 185g. I. 55
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[0435] inDeutschland besser, sich hierin an das Beispiel Englands als Frankreichs zu halten. Die Polizei in London geht überall von dem Prinzip der Prcventivmaßregcln aus, sie sucht die Verbrechen zu verhüten, wah¬ rend die Pariser Polizei die Verbrecher zu ertappen strebt. Aller¬ dings ist die Londoner Polizei auf eine großartige Weise organisirr, das Personale, das sie in Bewegung setzt, ist ungeheuer. Aber wo die öffentliche Sicherheit und Moralität im Spiele ist, sollte ein Staat von keinen ökonomischen Rücksichten sich leiten lassen. Keine Staats¬ ausgabe ist besser angewendet als die, und ist nicht das, was auf die Ueberwachung dieser Missethäter mehr verausgabt wird, eine Ersparnis, für das Budget der Gefängnisse und Strafanstalten? Merkwürdig ist die Sorglosigkeit der Pariser trotz aller dieser Assisenverhandlungen. Man darf in jedes Magazin, in jeden Laden, in jedes Caso eintreten; sobald man anständig gekleidet ist, fallt es Niemand ein, Einen mit besonderer Wachsamkeit anzusehen. Dies ist mir dieser Tage erst in dem großen Magazin Il> pill«z alö ?!uis auf¬ gefallen. Ich weiß nicht, ob man in Deutschland einen Begriff von diesem Etablissement hat. Die Modehandlung, welche unter diesem Aushängeschild hier seit vier Jahren errichtet wurde, ist kein Magazin, kein Haus, es ist eine kleine Stadt. Ein hundert zwei und sechzig Commis, Ladenmädchen und Buchhalter befinden sich in dieser Mode¬ handlung, in welcher man zu jeder Tages-Stunde mehrere hundert Käufer und Nichtkaufer finden kann. Man spaziert in den Magazi¬ nen dieser Handlung auf und ab, wie in einer Reihe von Ballsalen. Es hat etwas Aehnliches mit dem Bazar, der zu Weihnachten in Leip¬ zig eröffnet wird, nur daß dort fünfzig Menschen feil haben und hier drei Mal soviel, während doch Alles einen einzigen Eigenthümer hat. Und welche Pracht der Einrichtung, welche Zuvorkommenheit! Von dem kleinsten Schnupftuch für 4 Silbergroschen bis zum ostin¬ dischen Schawl für 5We) Franken wird hier Alles mit gleicher Dienst- fertigkeit angeboten. In neuester Zeit hat sich durch das enorme Glück, welches die ville <1o t^ris machte, ein ähnliches und zwar noch grö¬ ßeres Etablissement im ^i-nul l^ol>»ort aufgethan, aber die Concurrenz ist nicht mehr gefährlich, denn der Eigenthümer der ville «I« l^»ris gedenkt sich bereits mit einem Vermögen von KO,VOl) Franken jähr¬ licher Rente zurückzuziehen. Ist es ein Wunder, wenn da, wo ein großes Vermögen so schnell gewonnen wird, Jedermann denselben Weg einschlägt? Der Verbrecher auf der Assisenbank ist vielleicht nur durch ein ähnliches Beispiel dazu verlockt worden. Und doch muß man es zur Ehre dieser vielverlcumdeten Stadt sagen, daß in ihr ein sehr gro¬ ßer Fond von Ehrlichkeit und Vertrauen lebt, den aller dieser an die Oberfläche gelangende Schaum von Missethätern nicht trüben kann. Nirgends in der Welt ist es leichter, Credit zu erhalten als in Paris; was Beweis genug ist, daß hier eben so ehrlich gezahlt wird als allent- Ärcuzbotcn, 185g. I. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/435>, abgerufen am 22.07.2024.