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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wider bestehende Verhältnisse, durch furchtloses Herunterreißen wichtiger
Leute in unserm kleinen Staate, Freunde erworben, die sich für das
ihnen verschaffte Gaudium dankbar beweisen wollten. Eine forcirte
Originalität sieht sich meist mehr anerkannt, als eine natürliche.
Die Hamburger Weinhalle, an deren Flor hier freilich stark ge¬
zweifelt wird, gibt davon ebenfalls Zeugniß. Vorläufig ist sie unter
der Anzeigenrubrik der Jllustrirten Ztg. für Jedermann anschaulich
gemacht. Es ist übrigens gefährlich, mit Herrn Hocker anzubinden;
und obwohl ich von dieser Absicht weit entfernt, hab' ich doch schon
durch das hier Bemerkte eine nicht geringe Muthprobe abgelegt. Der
Mann hat schon manchen Auflauf in Hamburg verursacht und wenn
die auf ein ganzes Bundescontingent und auf lltMl) Mann Bür¬
gergarden sich stützenden Behörde" nicht mit ihm fertig werden kön¬
nen, wie soll es eine Journalistenfeder? -- Das Kapitel unserer
Neubauten führt mich noch zu einem sehr originellen Apothekerhause,
welches sich jeder Fremde, der nach Hamburg kommt, einmal ansehen
sollte. Es gehört dem Bruder des Professors Semper und ward
nach einem Riß des Letzter" erbaut. Die Malereien und Symbole
der Apothekerkunst an der Außenseite ziehen übrigens die Aufmerk¬
samkeit genugsam an. Ob auch im Innern Originelles, weiß ich
nicht. -- Die Hamburger sind eigentlich Amphibien, die zu Land und
zu Wasser leben. Im Winter auch zu Eise, was hier, wenn der
mächtige breite Elbstrom ein unabsehbarer Spiegel geworden, nicht
mit der winzigen Kindcrspielbahn anderer Arten zu vergleichen ist.
In diesem Jahre bot das Treiben auf dem Strome einen besonders
großartigen Anblick. Die wogende Menge, die blitzschnell dahinsau-
senden Schlitten, die weißen Zelte mit den bunten, wehenden Flaggen,
die Schlittschuhläufer, die eingefrorenen Schiffe mit den segcllos nack¬
ten Masten, die in einer ganz eigenthümlichen Melancholie zu der
nebelgrauen Höhe emporragen -- ein unvergeßliches Panorama. Im
Vordergrunde liegen die Wallanlagen und die Häuser der Welthan¬
delsstadt; darüber hinaus steigt der prächtige Michaelisthurm --
sonum's Meisterwerk -- in die Lüfte, wie ein Aeltervater, wel¬
cher mit freundlicher Würde dem muthwilligen Treiben und Lärmen
der Enkelhaufen zusieht. Besonders reizend wird der Anblick des
ElbstrvmcS, wenn die Wintersonne ihre blaßgoldenen Tinten darüber
streut und die erstarrte Fluth zu brennen scheint in diesem milden,


wider bestehende Verhältnisse, durch furchtloses Herunterreißen wichtiger
Leute in unserm kleinen Staate, Freunde erworben, die sich für das
ihnen verschaffte Gaudium dankbar beweisen wollten. Eine forcirte
Originalität sieht sich meist mehr anerkannt, als eine natürliche.
Die Hamburger Weinhalle, an deren Flor hier freilich stark ge¬
zweifelt wird, gibt davon ebenfalls Zeugniß. Vorläufig ist sie unter
der Anzeigenrubrik der Jllustrirten Ztg. für Jedermann anschaulich
gemacht. Es ist übrigens gefährlich, mit Herrn Hocker anzubinden;
und obwohl ich von dieser Absicht weit entfernt, hab' ich doch schon
durch das hier Bemerkte eine nicht geringe Muthprobe abgelegt. Der
Mann hat schon manchen Auflauf in Hamburg verursacht und wenn
die auf ein ganzes Bundescontingent und auf lltMl) Mann Bür¬
gergarden sich stützenden Behörde» nicht mit ihm fertig werden kön¬
nen, wie soll es eine Journalistenfeder? — Das Kapitel unserer
Neubauten führt mich noch zu einem sehr originellen Apothekerhause,
welches sich jeder Fremde, der nach Hamburg kommt, einmal ansehen
sollte. Es gehört dem Bruder des Professors Semper und ward
nach einem Riß des Letzter» erbaut. Die Malereien und Symbole
der Apothekerkunst an der Außenseite ziehen übrigens die Aufmerk¬
samkeit genugsam an. Ob auch im Innern Originelles, weiß ich
nicht. — Die Hamburger sind eigentlich Amphibien, die zu Land und
zu Wasser leben. Im Winter auch zu Eise, was hier, wenn der
mächtige breite Elbstrom ein unabsehbarer Spiegel geworden, nicht
mit der winzigen Kindcrspielbahn anderer Arten zu vergleichen ist.
In diesem Jahre bot das Treiben auf dem Strome einen besonders
großartigen Anblick. Die wogende Menge, die blitzschnell dahinsau-
senden Schlitten, die weißen Zelte mit den bunten, wehenden Flaggen,
die Schlittschuhläufer, die eingefrorenen Schiffe mit den segcllos nack¬
ten Masten, die in einer ganz eigenthümlichen Melancholie zu der
nebelgrauen Höhe emporragen — ein unvergeßliches Panorama. Im
Vordergrunde liegen die Wallanlagen und die Häuser der Welthan¬
delsstadt; darüber hinaus steigt der prächtige Michaelisthurm —
sonum's Meisterwerk — in die Lüfte, wie ein Aeltervater, wel¬
cher mit freundlicher Würde dem muthwilligen Treiben und Lärmen
der Enkelhaufen zusieht. Besonders reizend wird der Anblick des
ElbstrvmcS, wenn die Wintersonne ihre blaßgoldenen Tinten darüber
streut und die erstarrte Fluth zu brennen scheint in diesem milden,


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[0422] wider bestehende Verhältnisse, durch furchtloses Herunterreißen wichtiger Leute in unserm kleinen Staate, Freunde erworben, die sich für das ihnen verschaffte Gaudium dankbar beweisen wollten. Eine forcirte Originalität sieht sich meist mehr anerkannt, als eine natürliche. Die Hamburger Weinhalle, an deren Flor hier freilich stark ge¬ zweifelt wird, gibt davon ebenfalls Zeugniß. Vorläufig ist sie unter der Anzeigenrubrik der Jllustrirten Ztg. für Jedermann anschaulich gemacht. Es ist übrigens gefährlich, mit Herrn Hocker anzubinden; und obwohl ich von dieser Absicht weit entfernt, hab' ich doch schon durch das hier Bemerkte eine nicht geringe Muthprobe abgelegt. Der Mann hat schon manchen Auflauf in Hamburg verursacht und wenn die auf ein ganzes Bundescontingent und auf lltMl) Mann Bür¬ gergarden sich stützenden Behörde» nicht mit ihm fertig werden kön¬ nen, wie soll es eine Journalistenfeder? — Das Kapitel unserer Neubauten führt mich noch zu einem sehr originellen Apothekerhause, welches sich jeder Fremde, der nach Hamburg kommt, einmal ansehen sollte. Es gehört dem Bruder des Professors Semper und ward nach einem Riß des Letzter» erbaut. Die Malereien und Symbole der Apothekerkunst an der Außenseite ziehen übrigens die Aufmerk¬ samkeit genugsam an. Ob auch im Innern Originelles, weiß ich nicht. — Die Hamburger sind eigentlich Amphibien, die zu Land und zu Wasser leben. Im Winter auch zu Eise, was hier, wenn der mächtige breite Elbstrom ein unabsehbarer Spiegel geworden, nicht mit der winzigen Kindcrspielbahn anderer Arten zu vergleichen ist. In diesem Jahre bot das Treiben auf dem Strome einen besonders großartigen Anblick. Die wogende Menge, die blitzschnell dahinsau- senden Schlitten, die weißen Zelte mit den bunten, wehenden Flaggen, die Schlittschuhläufer, die eingefrorenen Schiffe mit den segcllos nack¬ ten Masten, die in einer ganz eigenthümlichen Melancholie zu der nebelgrauen Höhe emporragen — ein unvergeßliches Panorama. Im Vordergrunde liegen die Wallanlagen und die Häuser der Welthan¬ delsstadt; darüber hinaus steigt der prächtige Michaelisthurm — sonum's Meisterwerk — in die Lüfte, wie ein Aeltervater, wel¬ cher mit freundlicher Würde dem muthwilligen Treiben und Lärmen der Enkelhaufen zusieht. Besonders reizend wird der Anblick des ElbstrvmcS, wenn die Wintersonne ihre blaßgoldenen Tinten darüber streut und die erstarrte Fluth zu brennen scheint in diesem milden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/422>, abgerufen am 23.07.2024.