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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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poetischen Feuer. -- Die Ulster ist in ihrer halbrunde" Form mehr
ein Salon, wo in den Eisvergnügungen mehr Zierlichkeit und An¬
stand herrscht. Die Convenienz kann in so großer Nähe der Häuser
nicht ganz verloren gehen. Gegen die Weihnachtszeit hatten wir hier
Al'ends eine ganz besondere Romantik. Der breite Jungfernstieg
wimmelte von geschäftigen Menschen, nicht minder der Flußspiegel
von Vergnügungen, die im hellen Mondlichte -- Luna stand gerade
über der Ulster -- nachzuholen suchten, was der kurze Wintertag
ihnen nicht gewährt hatte. -- Beide Ströme fordern übrigens alle
Jahre ihre Opfer. Auf der Elbe war diesmal ein Schlitten, dessen
Lenker durch einen kühnen Sprung sich noch rasch genug rettete, mit
Pferden und Allem eingesunken und im Nu verschwunden. Ein tra¬
gikomisches Seitenstück dazu bildet das Schicksal der Hafenbehördcn,
welche vor ein Paar Wochen, beim Sprengen der Eismassen durch Pul¬
ver, auf einer sich losreißenden Scholle eine gute Strecke elbabwärtö
getrieben wurden und natürlich eben keinen Freudenruf erhoben. --
Bald werden wir nun das herrliche, imposante Schauspiel einer von
Kurhaven heraussegelnden Flotte von zweihundert Schiffen haben, die
dort vom Eise fest gehalten wurden. Man glaube jedoch nicht, daß
diese ganze Zahl von Kauffartheischiffen gleichzeitig elbaufwärts segeln.
Aber eine Linie von zehn bis zwölf Schiffen, die in einiger Entfer"
mung von einander mit voller Leinwand anfahren, bietet schon einen
großartigeren Anblick als zehntausend Mann Truppen, die mit wehen¬
den Fahnen und klingendem Spiel vorüberziehen.

Unsere Theater sind durch die Concurrenz und die unersättliche
Schaulust des Publicums zu rastloser Thätigkeit angespornt. An
Zahl der Productionen bleibt das Stadttheater hinter dem Thalia--
theater zurück, was aber kein Vorwurf ist. Das höhere Drama will
ein gründlicheres Einstudiren als das leichte Lustspiel und die tolle
Posse. Auch gehen die Anforderungen des Publicums weiter, wie
bei der bedeutsamen Stellung des Hamburger Stadttheaters nicht
mehr als billig.

Im Stadttheater war neu die "Marquise von Billette", jüngstes
Product der Mad. Birch - Pfeiffer und trotz einer langweiligen Ex¬
position durch das unverkennbare Bestreben, in eine höhere Sphäre
als die des Knallcffectstückes einzudringen, eine achtungswerthe Arbeit.
Schnabel in Hannover hat das Stück in der dortigen "Morgenzei-


poetischen Feuer. — Die Ulster ist in ihrer halbrunde» Form mehr
ein Salon, wo in den Eisvergnügungen mehr Zierlichkeit und An¬
stand herrscht. Die Convenienz kann in so großer Nähe der Häuser
nicht ganz verloren gehen. Gegen die Weihnachtszeit hatten wir hier
Al'ends eine ganz besondere Romantik. Der breite Jungfernstieg
wimmelte von geschäftigen Menschen, nicht minder der Flußspiegel
von Vergnügungen, die im hellen Mondlichte — Luna stand gerade
über der Ulster — nachzuholen suchten, was der kurze Wintertag
ihnen nicht gewährt hatte. — Beide Ströme fordern übrigens alle
Jahre ihre Opfer. Auf der Elbe war diesmal ein Schlitten, dessen
Lenker durch einen kühnen Sprung sich noch rasch genug rettete, mit
Pferden und Allem eingesunken und im Nu verschwunden. Ein tra¬
gikomisches Seitenstück dazu bildet das Schicksal der Hafenbehördcn,
welche vor ein Paar Wochen, beim Sprengen der Eismassen durch Pul¬
ver, auf einer sich losreißenden Scholle eine gute Strecke elbabwärtö
getrieben wurden und natürlich eben keinen Freudenruf erhoben. —
Bald werden wir nun das herrliche, imposante Schauspiel einer von
Kurhaven heraussegelnden Flotte von zweihundert Schiffen haben, die
dort vom Eise fest gehalten wurden. Man glaube jedoch nicht, daß
diese ganze Zahl von Kauffartheischiffen gleichzeitig elbaufwärts segeln.
Aber eine Linie von zehn bis zwölf Schiffen, die in einiger Entfer»
mung von einander mit voller Leinwand anfahren, bietet schon einen
großartigeren Anblick als zehntausend Mann Truppen, die mit wehen¬
den Fahnen und klingendem Spiel vorüberziehen.

Unsere Theater sind durch die Concurrenz und die unersättliche
Schaulust des Publicums zu rastloser Thätigkeit angespornt. An
Zahl der Productionen bleibt das Stadttheater hinter dem Thalia--
theater zurück, was aber kein Vorwurf ist. Das höhere Drama will
ein gründlicheres Einstudiren als das leichte Lustspiel und die tolle
Posse. Auch gehen die Anforderungen des Publicums weiter, wie
bei der bedeutsamen Stellung des Hamburger Stadttheaters nicht
mehr als billig.

Im Stadttheater war neu die „Marquise von Billette", jüngstes
Product der Mad. Birch - Pfeiffer und trotz einer langweiligen Ex¬
position durch das unverkennbare Bestreben, in eine höhere Sphäre
als die des Knallcffectstückes einzudringen, eine achtungswerthe Arbeit.
Schnabel in Hannover hat das Stück in der dortigen „Morgenzei-


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[0423] poetischen Feuer. — Die Ulster ist in ihrer halbrunde» Form mehr ein Salon, wo in den Eisvergnügungen mehr Zierlichkeit und An¬ stand herrscht. Die Convenienz kann in so großer Nähe der Häuser nicht ganz verloren gehen. Gegen die Weihnachtszeit hatten wir hier Al'ends eine ganz besondere Romantik. Der breite Jungfernstieg wimmelte von geschäftigen Menschen, nicht minder der Flußspiegel von Vergnügungen, die im hellen Mondlichte — Luna stand gerade über der Ulster — nachzuholen suchten, was der kurze Wintertag ihnen nicht gewährt hatte. — Beide Ströme fordern übrigens alle Jahre ihre Opfer. Auf der Elbe war diesmal ein Schlitten, dessen Lenker durch einen kühnen Sprung sich noch rasch genug rettete, mit Pferden und Allem eingesunken und im Nu verschwunden. Ein tra¬ gikomisches Seitenstück dazu bildet das Schicksal der Hafenbehördcn, welche vor ein Paar Wochen, beim Sprengen der Eismassen durch Pul¬ ver, auf einer sich losreißenden Scholle eine gute Strecke elbabwärtö getrieben wurden und natürlich eben keinen Freudenruf erhoben. — Bald werden wir nun das herrliche, imposante Schauspiel einer von Kurhaven heraussegelnden Flotte von zweihundert Schiffen haben, die dort vom Eise fest gehalten wurden. Man glaube jedoch nicht, daß diese ganze Zahl von Kauffartheischiffen gleichzeitig elbaufwärts segeln. Aber eine Linie von zehn bis zwölf Schiffen, die in einiger Entfer» mung von einander mit voller Leinwand anfahren, bietet schon einen großartigeren Anblick als zehntausend Mann Truppen, die mit wehen¬ den Fahnen und klingendem Spiel vorüberziehen. Unsere Theater sind durch die Concurrenz und die unersättliche Schaulust des Publicums zu rastloser Thätigkeit angespornt. An Zahl der Productionen bleibt das Stadttheater hinter dem Thalia-- theater zurück, was aber kein Vorwurf ist. Das höhere Drama will ein gründlicheres Einstudiren als das leichte Lustspiel und die tolle Posse. Auch gehen die Anforderungen des Publicums weiter, wie bei der bedeutsamen Stellung des Hamburger Stadttheaters nicht mehr als billig. Im Stadttheater war neu die „Marquise von Billette", jüngstes Product der Mad. Birch - Pfeiffer und trotz einer langweiligen Ex¬ position durch das unverkennbare Bestreben, in eine höhere Sphäre als die des Knallcffectstückes einzudringen, eine achtungswerthe Arbeit. Schnabel in Hannover hat das Stück in der dortigen „Morgenzei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/423>, abgerufen am 22.07.2024.