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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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brochcnc Schifffahrt hatte ihr früheres Eintreffen verhindert. Man
öffnet und staunt. Es ist der Kölner Dom, der Magdeburger Dom,
es ist eine französische, eine italienische Kathedrale und doch etwas
ganz Anderes, etwas unläugbar Selbständiges. Die Zeichnung ist
schon als solche in allen Details bewunderungswürdig nusgeführc
und als Ganzes macht der Plan durch Großartigkeit und Anmuth
der Linien, wie durch ein prächtiges und zartes Colorit hinreißenden
Eindruck. Dies läugnen selbst die schärfsten Kritiker des Planes nicht,
fügen aber hinzu, daß hier mehr blendender Schein als solide Wahr¬
heit, mehr Erborgtes als Ursprüngliches vorhanden sei. Für andere
Angen bricht sein Künstlergenie aus jeder Rosette, aus jedem Schwib¬
bogen, so daß durch die vielen einander widersprechende" Zeitungs¬
artikel die öffentliche Meinung -- welche bekanntlich selten eine eigene
hat -- sich nun gar nicht aus weiß. Spaßhaft ist, daß in diesem
Kirchcnbaustreitc zwei Gegner am wüthendsten aneinander gerathen
sind, von denen es notorisch, daß praktisch Einer so wenig als der
Andere etwas von der Sache versteht. Sie kämpfen mit Floskeln
und Grobheiten, sie werfen einander gegenseitig ihre Ignoranz vor
und Keiner beweist etwas. Wie unsicher, wie nichtsbedeutend fußt das
Urtheil in einer solchen Sache auf dem blos individuellen Schönheits¬
gefühl; wie viele Eigenschaften des Aesthetikers und des Bauverstän¬
digen müssen sich in Dem vereinigen, welcher seine Ansichten von der
Schöpfung eines großartigen Gottestempels mit Erfolg zu ma߬
gebenden machen wollte. Alles strebt jetzt dahin, die Entschcidungö-
commission zu Gunsten des Atkinsonschen oder des Scott'schen Planes
zu stimmen. Einige verlangen auch weitere Dauer der Concurrenz und all¬
gemeines Anfertigen perspectivischer Ansichten, die freilich viel Bestechen¬
des für sich haben. -- Die wöchentlichen SchillingSsammlungcn
zum Besten des Neubaues der in den Brandtagen zerstörten Kirchen
dauert inzwischen fort. Leider aber ist das Barometer der Begeiste¬
rung schon sehr gesunken. Im Verhältniß zu den Beiträgen des
vorigen Jahres entstand bereits ein Ausfall von 12,000 Schillingen
wöchentlich. Der Enthusiasmus des Mittelalters für die kirchlichen
Werke findet sich nicht mehr. Die steinernen Wunder entsprossen nicht
mehr, wie ans den Wink unsichtbarer Zauberhände, dem Boden. Die
poetischsten Gedanken der heutigen Menschheit sind praktisch-speculativ.
Auch unsere Hamburger Schillingsgeber spenden nicht gläubig blind,


brochcnc Schifffahrt hatte ihr früheres Eintreffen verhindert. Man
öffnet und staunt. Es ist der Kölner Dom, der Magdeburger Dom,
es ist eine französische, eine italienische Kathedrale und doch etwas
ganz Anderes, etwas unläugbar Selbständiges. Die Zeichnung ist
schon als solche in allen Details bewunderungswürdig nusgeführc
und als Ganzes macht der Plan durch Großartigkeit und Anmuth
der Linien, wie durch ein prächtiges und zartes Colorit hinreißenden
Eindruck. Dies läugnen selbst die schärfsten Kritiker des Planes nicht,
fügen aber hinzu, daß hier mehr blendender Schein als solide Wahr¬
heit, mehr Erborgtes als Ursprüngliches vorhanden sei. Für andere
Angen bricht sein Künstlergenie aus jeder Rosette, aus jedem Schwib¬
bogen, so daß durch die vielen einander widersprechende» Zeitungs¬
artikel die öffentliche Meinung — welche bekanntlich selten eine eigene
hat — sich nun gar nicht aus weiß. Spaßhaft ist, daß in diesem
Kirchcnbaustreitc zwei Gegner am wüthendsten aneinander gerathen
sind, von denen es notorisch, daß praktisch Einer so wenig als der
Andere etwas von der Sache versteht. Sie kämpfen mit Floskeln
und Grobheiten, sie werfen einander gegenseitig ihre Ignoranz vor
und Keiner beweist etwas. Wie unsicher, wie nichtsbedeutend fußt das
Urtheil in einer solchen Sache auf dem blos individuellen Schönheits¬
gefühl; wie viele Eigenschaften des Aesthetikers und des Bauverstän¬
digen müssen sich in Dem vereinigen, welcher seine Ansichten von der
Schöpfung eines großartigen Gottestempels mit Erfolg zu ma߬
gebenden machen wollte. Alles strebt jetzt dahin, die Entschcidungö-
commission zu Gunsten des Atkinsonschen oder des Scott'schen Planes
zu stimmen. Einige verlangen auch weitere Dauer der Concurrenz und all¬
gemeines Anfertigen perspectivischer Ansichten, die freilich viel Bestechen¬
des für sich haben. — Die wöchentlichen SchillingSsammlungcn
zum Besten des Neubaues der in den Brandtagen zerstörten Kirchen
dauert inzwischen fort. Leider aber ist das Barometer der Begeiste¬
rung schon sehr gesunken. Im Verhältniß zu den Beiträgen des
vorigen Jahres entstand bereits ein Ausfall von 12,000 Schillingen
wöchentlich. Der Enthusiasmus des Mittelalters für die kirchlichen
Werke findet sich nicht mehr. Die steinernen Wunder entsprossen nicht
mehr, wie ans den Wink unsichtbarer Zauberhände, dem Boden. Die
poetischsten Gedanken der heutigen Menschheit sind praktisch-speculativ.
Auch unsere Hamburger Schillingsgeber spenden nicht gläubig blind,


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[0420] brochcnc Schifffahrt hatte ihr früheres Eintreffen verhindert. Man öffnet und staunt. Es ist der Kölner Dom, der Magdeburger Dom, es ist eine französische, eine italienische Kathedrale und doch etwas ganz Anderes, etwas unläugbar Selbständiges. Die Zeichnung ist schon als solche in allen Details bewunderungswürdig nusgeführc und als Ganzes macht der Plan durch Großartigkeit und Anmuth der Linien, wie durch ein prächtiges und zartes Colorit hinreißenden Eindruck. Dies läugnen selbst die schärfsten Kritiker des Planes nicht, fügen aber hinzu, daß hier mehr blendender Schein als solide Wahr¬ heit, mehr Erborgtes als Ursprüngliches vorhanden sei. Für andere Angen bricht sein Künstlergenie aus jeder Rosette, aus jedem Schwib¬ bogen, so daß durch die vielen einander widersprechende» Zeitungs¬ artikel die öffentliche Meinung — welche bekanntlich selten eine eigene hat — sich nun gar nicht aus weiß. Spaßhaft ist, daß in diesem Kirchcnbaustreitc zwei Gegner am wüthendsten aneinander gerathen sind, von denen es notorisch, daß praktisch Einer so wenig als der Andere etwas von der Sache versteht. Sie kämpfen mit Floskeln und Grobheiten, sie werfen einander gegenseitig ihre Ignoranz vor und Keiner beweist etwas. Wie unsicher, wie nichtsbedeutend fußt das Urtheil in einer solchen Sache auf dem blos individuellen Schönheits¬ gefühl; wie viele Eigenschaften des Aesthetikers und des Bauverstän¬ digen müssen sich in Dem vereinigen, welcher seine Ansichten von der Schöpfung eines großartigen Gottestempels mit Erfolg zu ma߬ gebenden machen wollte. Alles strebt jetzt dahin, die Entschcidungö- commission zu Gunsten des Atkinsonschen oder des Scott'schen Planes zu stimmen. Einige verlangen auch weitere Dauer der Concurrenz und all¬ gemeines Anfertigen perspectivischer Ansichten, die freilich viel Bestechen¬ des für sich haben. — Die wöchentlichen SchillingSsammlungcn zum Besten des Neubaues der in den Brandtagen zerstörten Kirchen dauert inzwischen fort. Leider aber ist das Barometer der Begeiste¬ rung schon sehr gesunken. Im Verhältniß zu den Beiträgen des vorigen Jahres entstand bereits ein Ausfall von 12,000 Schillingen wöchentlich. Der Enthusiasmus des Mittelalters für die kirchlichen Werke findet sich nicht mehr. Die steinernen Wunder entsprossen nicht mehr, wie ans den Wink unsichtbarer Zauberhände, dem Boden. Die poetischsten Gedanken der heutigen Menschheit sind praktisch-speculativ. Auch unsere Hamburger Schillingsgeber spenden nicht gläubig blind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/420>, abgerufen am 23.07.2024.