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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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seinem Gelde und seiner Zeit Hilfe zu bringen, wohin man ihn rief.
Von Reichen forderte er nicht gering, denn er stand fast an der Spitze
unserer ärztlichen Welt, von Annen oder Solchen, die es ihm schie¬
nen, nahm er gar Nichts. Noch mehr, er ließ stärkende Speisen ans
eignen Mitteln für sie bereiten, er zahlte Apothekerrechmmgen für die
Leute, zu deren hohen Dachkammern empor oder in deren feuchte
Wohnkeller hinab er ohne Rücksicht auf das eigene gefährliche Leiden
gestiegen war. Seinen ersten Ruhm brachte er aus dem Feldzuge
der englischen Legion nach seiner Vaterstadt heim. Selten war hier
ein Mann populärer als er. Bei einer schneidend strengen Winter¬
kälte folgte seiner Leiche, außer einem zahlreichen Anschlusse von Leidtra¬
genden aller Confessionen, ein Zug von etwa einhundertundzwanzig Wagen.
Seit Klopstock's und Gurlitt's Tode hatte man Aehnliches hier nicht
gesehen. Gerson ganz unerwähnt lassen, hieße absichtlich eine Lücke
in diesen Skizzen haben wolle". Besser pust festum, als gar nicht.

Augenblicklich tritt fast jedes öffentliche Interesse vor dem in den
Hintergrund, welches durch den Neubau der Nikolaikirche erweckt und be¬
sprochen wird. Alle Welt ist hier jetzt bauverständig und architekto¬
nisch begeistert. Hier schwärmt Einer für den reinen gothischen Styl,
dort für seine Verschmelzung mit dem byzantinischen, hier singt ein
Dritter eine Jubelhymne dein Plane des Herrn Atkinson, dort tritt
ein Vierter und Fünfter für den wirklich schonen Entwurf des Herrn
Scott in die Schranken. Diese beiden Engländer, von welchen Er¬
sterer in Hamburg seßhaft, stehen mit ihren Plänen an der Spitze
der für diesen Kirchenbau ausgeschriebenen Concurrenz. Scott, ein
junger Londoner Architekt, der vor Kurzem erst sich die berühmtesten
Kirchen in Deutschland, Frankreich und Italien ansah, setzte sich dann
zu Hause hin und zeichnete seine perspektivischen Ansichten für Ham¬
burg, die hier aber so viel Verwirrung wie Bewunderung erregten.
Herr Atkinson u ar nämlich schon von allen Seiten als Sieger pro-
clamirt worden. Semper in Dresden und noch einige Künstler aus^
genommen, hatten die übrigen Concurrenten nur Mittelmäßiges oder
Konfuses geliefert. Der Triumph war also ein billiger und befördert
dnrch die Angabe, daß die Ausführung das zu diesem Kirchenbau
bestimmte Kapital von einer Million Mark Courant nicht überschrei¬
ten würde. Plötzlich kommen aber von Kurhaven neue Kisten mit
Rissen zum Kirchenbau der betreffenden Commission zu. Die unter-


Grciizbvtcn I">is, I. 53

seinem Gelde und seiner Zeit Hilfe zu bringen, wohin man ihn rief.
Von Reichen forderte er nicht gering, denn er stand fast an der Spitze
unserer ärztlichen Welt, von Annen oder Solchen, die es ihm schie¬
nen, nahm er gar Nichts. Noch mehr, er ließ stärkende Speisen ans
eignen Mitteln für sie bereiten, er zahlte Apothekerrechmmgen für die
Leute, zu deren hohen Dachkammern empor oder in deren feuchte
Wohnkeller hinab er ohne Rücksicht auf das eigene gefährliche Leiden
gestiegen war. Seinen ersten Ruhm brachte er aus dem Feldzuge
der englischen Legion nach seiner Vaterstadt heim. Selten war hier
ein Mann populärer als er. Bei einer schneidend strengen Winter¬
kälte folgte seiner Leiche, außer einem zahlreichen Anschlusse von Leidtra¬
genden aller Confessionen, ein Zug von etwa einhundertundzwanzig Wagen.
Seit Klopstock's und Gurlitt's Tode hatte man Aehnliches hier nicht
gesehen. Gerson ganz unerwähnt lassen, hieße absichtlich eine Lücke
in diesen Skizzen haben wolle». Besser pust festum, als gar nicht.

Augenblicklich tritt fast jedes öffentliche Interesse vor dem in den
Hintergrund, welches durch den Neubau der Nikolaikirche erweckt und be¬
sprochen wird. Alle Welt ist hier jetzt bauverständig und architekto¬
nisch begeistert. Hier schwärmt Einer für den reinen gothischen Styl,
dort für seine Verschmelzung mit dem byzantinischen, hier singt ein
Dritter eine Jubelhymne dein Plane des Herrn Atkinson, dort tritt
ein Vierter und Fünfter für den wirklich schonen Entwurf des Herrn
Scott in die Schranken. Diese beiden Engländer, von welchen Er¬
sterer in Hamburg seßhaft, stehen mit ihren Plänen an der Spitze
der für diesen Kirchenbau ausgeschriebenen Concurrenz. Scott, ein
junger Londoner Architekt, der vor Kurzem erst sich die berühmtesten
Kirchen in Deutschland, Frankreich und Italien ansah, setzte sich dann
zu Hause hin und zeichnete seine perspektivischen Ansichten für Ham¬
burg, die hier aber so viel Verwirrung wie Bewunderung erregten.
Herr Atkinson u ar nämlich schon von allen Seiten als Sieger pro-
clamirt worden. Semper in Dresden und noch einige Künstler aus^
genommen, hatten die übrigen Concurrenten nur Mittelmäßiges oder
Konfuses geliefert. Der Triumph war also ein billiger und befördert
dnrch die Angabe, daß die Ausführung das zu diesem Kirchenbau
bestimmte Kapital von einer Million Mark Courant nicht überschrei¬
ten würde. Plötzlich kommen aber von Kurhaven neue Kisten mit
Rissen zum Kirchenbau der betreffenden Commission zu. Die unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/419>, abgerufen am 23.07.2024.