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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Deputation niedergesetzt werden, um eine Petition an den bevorstehen¬
den Landtag vorzubereiten für Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des
Strafverfahrens und Geschworenengerichte -- Preßfreiheit --ein neues
Wahlgesetz. Da sind denn aber sofort Zweifel rege geworden, ob ein
Stadtrath und das ihm zur Seite stehende Stadtverordnetencollegium
in ihrer behördlichen Eigenschaft und Stellung wohl auch befugt seien,
dergleichen Antrage an die Ständeversammlung zu richten, oder viel¬
leicht mit anderen Worten: ob sich nicht der Magistrat der Residenz¬
stadt durch eine solche Schilderhebung mißliebig machen könne. Ueber
die Nothwendigkeit der Reform des Strafverfahrens und der damit
eng zusammenhängenden Preßfreiheit ist bereits allseitiges Einverständ-
niß vorhanden; aber auch unser Wahlgesetz bedarf einer Revision und
Modifikation, da aus der Erfahrung verflossener Landtage das Resultat
sich herausgestellt hat, daß der Grundbesitz einen zu überwiegenden Ein¬
fluß theils auf die Wahlfähigkeit, theils auf die Entscheidung gewisser,
collidirende Standesinteressen berührender Fragen ausübt. Zwar ist
daraus kein Vorwurf gegen die ursprüngliche Gestaltung des Wahl¬
gesetzes herzuleiten; denn damals fehlte die Kammerpraxis; nachdem
sie aber nunmehr genügsame Gelegenheit gehabt hat, sich zu bilden,
sollte man auch nicht Anstand nehmen, zunächst der neuen Landtags¬
ordnung ernstlich auch an nothwendige Umänderungen des Wahlgesetzes
zu denken, damit namentlich auch die nicht grundansassige Intelligenz
für die Volksvertretung gewonnen werden könnte. Geschieht dies frei¬
lich nicht, dann bleibt der liberalen Partei am Ende Nichts übrig,
als, wenn sie den oder jenen Mann in der Kammer sehen will, ihm
vor allen Dingen durch freiwillige Beiträge den Wahlcensus zu ver-
schaffen, ähnlich, wie bereits vorgeschlagen worden ist, Beiträge zur
Ermöglichung einer Wiederwahl Todt's zu sammeln. -- Vielleicht
zieht die neue Landtagsordnung auch eine neue Hosrangordnung nach
sich. Die alte liegt freilich sehr im Argen, und es ließen sich darüber
gar manche statistische Ergötzlichkeiten berichten. Statt aller nur die
eine, daß die Justizbeamten, und was darunter, bei Hofe gar nicht
rangiren; jene nur dann, wenn sie das Hofrathsprädicat führen und
auch dann nur, um den Unterlieutenants nachzutretcn, -- Männer,
welche im Joch des haarblcichenden, furchenziehenden Staatsdienstes
sich krumm gelebt haben, jungen Leuten, die kaum der Cadcttenschule
entwachsen, bereits zu ansehnlicher Repräsentation (d. h. einer solchen,
die nur angesehen werden will), gelangt sind. Solche Contraste sind
zu komisch, um ärgerlich zu sein: sie ragen noch aus jener Zeit der
Puderwolken und der kurzen Hosen herüber, wo die Hofluft als das
ausschließliche Eigenthum der Menschen "vom Geblüt" betrachtet ward,
wo das Ofsizierspatent das Eingebinde und die Sinccure des armen
Adeligen war, und alles Uebrige -- c-in.illie hieß. Doch das hat
sich wenigstens im Aeußern und der Form nach ja nun geändert, und


Deputation niedergesetzt werden, um eine Petition an den bevorstehen¬
den Landtag vorzubereiten für Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des
Strafverfahrens und Geschworenengerichte — Preßfreiheit --ein neues
Wahlgesetz. Da sind denn aber sofort Zweifel rege geworden, ob ein
Stadtrath und das ihm zur Seite stehende Stadtverordnetencollegium
in ihrer behördlichen Eigenschaft und Stellung wohl auch befugt seien,
dergleichen Antrage an die Ständeversammlung zu richten, oder viel¬
leicht mit anderen Worten: ob sich nicht der Magistrat der Residenz¬
stadt durch eine solche Schilderhebung mißliebig machen könne. Ueber
die Nothwendigkeit der Reform des Strafverfahrens und der damit
eng zusammenhängenden Preßfreiheit ist bereits allseitiges Einverständ-
niß vorhanden; aber auch unser Wahlgesetz bedarf einer Revision und
Modifikation, da aus der Erfahrung verflossener Landtage das Resultat
sich herausgestellt hat, daß der Grundbesitz einen zu überwiegenden Ein¬
fluß theils auf die Wahlfähigkeit, theils auf die Entscheidung gewisser,
collidirende Standesinteressen berührender Fragen ausübt. Zwar ist
daraus kein Vorwurf gegen die ursprüngliche Gestaltung des Wahl¬
gesetzes herzuleiten; denn damals fehlte die Kammerpraxis; nachdem
sie aber nunmehr genügsame Gelegenheit gehabt hat, sich zu bilden,
sollte man auch nicht Anstand nehmen, zunächst der neuen Landtags¬
ordnung ernstlich auch an nothwendige Umänderungen des Wahlgesetzes
zu denken, damit namentlich auch die nicht grundansassige Intelligenz
für die Volksvertretung gewonnen werden könnte. Geschieht dies frei¬
lich nicht, dann bleibt der liberalen Partei am Ende Nichts übrig,
als, wenn sie den oder jenen Mann in der Kammer sehen will, ihm
vor allen Dingen durch freiwillige Beiträge den Wahlcensus zu ver-
schaffen, ähnlich, wie bereits vorgeschlagen worden ist, Beiträge zur
Ermöglichung einer Wiederwahl Todt's zu sammeln. — Vielleicht
zieht die neue Landtagsordnung auch eine neue Hosrangordnung nach
sich. Die alte liegt freilich sehr im Argen, und es ließen sich darüber
gar manche statistische Ergötzlichkeiten berichten. Statt aller nur die
eine, daß die Justizbeamten, und was darunter, bei Hofe gar nicht
rangiren; jene nur dann, wenn sie das Hofrathsprädicat führen und
auch dann nur, um den Unterlieutenants nachzutretcn, — Männer,
welche im Joch des haarblcichenden, furchenziehenden Staatsdienstes
sich krumm gelebt haben, jungen Leuten, die kaum der Cadcttenschule
entwachsen, bereits zu ansehnlicher Repräsentation (d. h. einer solchen,
die nur angesehen werden will), gelangt sind. Solche Contraste sind
zu komisch, um ärgerlich zu sein: sie ragen noch aus jener Zeit der
Puderwolken und der kurzen Hosen herüber, wo die Hofluft als das
ausschließliche Eigenthum der Menschen „vom Geblüt" betrachtet ward,
wo das Ofsizierspatent das Eingebinde und die Sinccure des armen
Adeligen war, und alles Uebrige — c-in.illie hieß. Doch das hat
sich wenigstens im Aeußern und der Form nach ja nun geändert, und


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[0399] Deputation niedergesetzt werden, um eine Petition an den bevorstehen¬ den Landtag vorzubereiten für Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens und Geschworenengerichte — Preßfreiheit --ein neues Wahlgesetz. Da sind denn aber sofort Zweifel rege geworden, ob ein Stadtrath und das ihm zur Seite stehende Stadtverordnetencollegium in ihrer behördlichen Eigenschaft und Stellung wohl auch befugt seien, dergleichen Antrage an die Ständeversammlung zu richten, oder viel¬ leicht mit anderen Worten: ob sich nicht der Magistrat der Residenz¬ stadt durch eine solche Schilderhebung mißliebig machen könne. Ueber die Nothwendigkeit der Reform des Strafverfahrens und der damit eng zusammenhängenden Preßfreiheit ist bereits allseitiges Einverständ- niß vorhanden; aber auch unser Wahlgesetz bedarf einer Revision und Modifikation, da aus der Erfahrung verflossener Landtage das Resultat sich herausgestellt hat, daß der Grundbesitz einen zu überwiegenden Ein¬ fluß theils auf die Wahlfähigkeit, theils auf die Entscheidung gewisser, collidirende Standesinteressen berührender Fragen ausübt. Zwar ist daraus kein Vorwurf gegen die ursprüngliche Gestaltung des Wahl¬ gesetzes herzuleiten; denn damals fehlte die Kammerpraxis; nachdem sie aber nunmehr genügsame Gelegenheit gehabt hat, sich zu bilden, sollte man auch nicht Anstand nehmen, zunächst der neuen Landtags¬ ordnung ernstlich auch an nothwendige Umänderungen des Wahlgesetzes zu denken, damit namentlich auch die nicht grundansassige Intelligenz für die Volksvertretung gewonnen werden könnte. Geschieht dies frei¬ lich nicht, dann bleibt der liberalen Partei am Ende Nichts übrig, als, wenn sie den oder jenen Mann in der Kammer sehen will, ihm vor allen Dingen durch freiwillige Beiträge den Wahlcensus zu ver- schaffen, ähnlich, wie bereits vorgeschlagen worden ist, Beiträge zur Ermöglichung einer Wiederwahl Todt's zu sammeln. — Vielleicht zieht die neue Landtagsordnung auch eine neue Hosrangordnung nach sich. Die alte liegt freilich sehr im Argen, und es ließen sich darüber gar manche statistische Ergötzlichkeiten berichten. Statt aller nur die eine, daß die Justizbeamten, und was darunter, bei Hofe gar nicht rangiren; jene nur dann, wenn sie das Hofrathsprädicat führen und auch dann nur, um den Unterlieutenants nachzutretcn, — Männer, welche im Joch des haarblcichenden, furchenziehenden Staatsdienstes sich krumm gelebt haben, jungen Leuten, die kaum der Cadcttenschule entwachsen, bereits zu ansehnlicher Repräsentation (d. h. einer solchen, die nur angesehen werden will), gelangt sind. Solche Contraste sind zu komisch, um ärgerlich zu sein: sie ragen noch aus jener Zeit der Puderwolken und der kurzen Hosen herüber, wo die Hofluft als das ausschließliche Eigenthum der Menschen „vom Geblüt" betrachtet ward, wo das Ofsizierspatent das Eingebinde und die Sinccure des armen Adeligen war, und alles Uebrige — c-in.illie hieß. Doch das hat sich wenigstens im Aeußern und der Form nach ja nun geändert, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/399>, abgerufen am 28.09.2024.