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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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entreißen ließ, wurde mit Stockstreichen bestraft, wie dies bei hart¬
näckigen Jnquistten Gebrauch ist. Der Jnquisirionsprozeß beruht auf
der Nothwendigkeit des Geständnisses und so lange das Geständniß noth¬
wendig ist, darf es das Publicum nicht Wunder nehmen, wenn es
von Anwendung der Tortur hört, die nur mit dem gegenwärtigen
Prozeßverfahren zugleich abgeschafft werden kann.


III.
A"S Dresden.

Eine deutsche Erbsünde. -- Das Collegium der Stadtverordneten und eine
Petition in Geburtsnöthcn. -- Das Wahlgesetz; Grundbesitz und Intelligenz.--
Landtagsordnung und Hofrangordnung; die Hofräthe und die Lieutenants.--
Der Prager Bahnhof; die Confessionswirren. -- Brutus, schläfst Du? --
Theater. --

Eine der deutschen Erbsünden ist bekanntlich das Bevorworten;
es ist uns zur anderen Natur geworden, Nichts für und durch sich
selbst sprechen zu lassen; prätentiöse Bescheidenheit, ein ahnungsvolles
Gefühl eigener Schwäche oder die süße Gewohnheit des Hängens am
Herkömmlichen, Alles das gibt jedem für die Oeffentlichkeit geschriebe¬
nen oder gesprochenen Worte den christlichen Liebesmantel einer Vor¬
rede unausbleiblich mit. Ich bin noch zu gue deutsch und dresdne¬
risch, um zu meinen Berichten, die ich für die Grenzboten beginne,
nicht auch bevorwortend zu bemerken, wie dürftige Ausbeute die loca-
len Stoffe unserer Residenz mir bieten werden. Politik -- besteht in
ihrer Richtung nach Außen so ziemlich nur dem Namen nach; unser
Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ist ja nur ein Stiefkind
des Ministeriums der Finanzen. Unsere innere Politik bewegt sich
zwar nach Kräften und zeitgemäß, aber die Resultate dieser Bewegun¬
gen sind in der Regel so schwach oder so verspätet, daß sie einen nach
Außen hin fühlbaren Anstoß nicht geben. Die Landtagsperioden brin¬
gen hier noch am ersten etwas Fluth. Literatur -- liegt in un¬
serer Residenz in jeder Weise darnieder. Wir haben hier keine Nota¬
bilitäten mehr, außer etwa Carus, v. Wachsmann, Burt und Jda
Frick; doch verwahre ich mich hierbei ernstlich vor jedem Verdacht der
Ironie. Unsere Residenz selbst dagegen bietet in ihren socialen und
municipalen Lebensäußerungen Dieses und Jenes, was bald eine ernste,
bald eine komische Auffassung zuläßt. Namentlich ist das Collegium
der Stadtverordneten, der Vertreter unserer Bürgerschaft, noch immer
in einem chaotischen Kampf mit der Zeitrichtung begriffen. Jedem
Versuche eines Fortschrittes stemmt sich meist die Reaction mit einem
ganzen, das frische Leben ankränkelnden Gefolge von Aopfbedenken
entgegen. So war jüngst von einem Stadtverordneten beantragt, es
möge aus dem Stadtrathe und den Stadtverordneten eine gemischte


entreißen ließ, wurde mit Stockstreichen bestraft, wie dies bei hart¬
näckigen Jnquistten Gebrauch ist. Der Jnquisirionsprozeß beruht auf
der Nothwendigkeit des Geständnisses und so lange das Geständniß noth¬
wendig ist, darf es das Publicum nicht Wunder nehmen, wenn es
von Anwendung der Tortur hört, die nur mit dem gegenwärtigen
Prozeßverfahren zugleich abgeschafft werden kann.


III.
A»S Dresden.

Eine deutsche Erbsünde. — Das Collegium der Stadtverordneten und eine
Petition in Geburtsnöthcn. — Das Wahlgesetz; Grundbesitz und Intelligenz.—
Landtagsordnung und Hofrangordnung; die Hofräthe und die Lieutenants.—
Der Prager Bahnhof; die Confessionswirren. — Brutus, schläfst Du? —
Theater. —

Eine der deutschen Erbsünden ist bekanntlich das Bevorworten;
es ist uns zur anderen Natur geworden, Nichts für und durch sich
selbst sprechen zu lassen; prätentiöse Bescheidenheit, ein ahnungsvolles
Gefühl eigener Schwäche oder die süße Gewohnheit des Hängens am
Herkömmlichen, Alles das gibt jedem für die Oeffentlichkeit geschriebe¬
nen oder gesprochenen Worte den christlichen Liebesmantel einer Vor¬
rede unausbleiblich mit. Ich bin noch zu gue deutsch und dresdne¬
risch, um zu meinen Berichten, die ich für die Grenzboten beginne,
nicht auch bevorwortend zu bemerken, wie dürftige Ausbeute die loca-
len Stoffe unserer Residenz mir bieten werden. Politik — besteht in
ihrer Richtung nach Außen so ziemlich nur dem Namen nach; unser
Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ist ja nur ein Stiefkind
des Ministeriums der Finanzen. Unsere innere Politik bewegt sich
zwar nach Kräften und zeitgemäß, aber die Resultate dieser Bewegun¬
gen sind in der Regel so schwach oder so verspätet, daß sie einen nach
Außen hin fühlbaren Anstoß nicht geben. Die Landtagsperioden brin¬
gen hier noch am ersten etwas Fluth. Literatur — liegt in un¬
serer Residenz in jeder Weise darnieder. Wir haben hier keine Nota¬
bilitäten mehr, außer etwa Carus, v. Wachsmann, Burt und Jda
Frick; doch verwahre ich mich hierbei ernstlich vor jedem Verdacht der
Ironie. Unsere Residenz selbst dagegen bietet in ihren socialen und
municipalen Lebensäußerungen Dieses und Jenes, was bald eine ernste,
bald eine komische Auffassung zuläßt. Namentlich ist das Collegium
der Stadtverordneten, der Vertreter unserer Bürgerschaft, noch immer
in einem chaotischen Kampf mit der Zeitrichtung begriffen. Jedem
Versuche eines Fortschrittes stemmt sich meist die Reaction mit einem
ganzen, das frische Leben ankränkelnden Gefolge von Aopfbedenken
entgegen. So war jüngst von einem Stadtverordneten beantragt, es
möge aus dem Stadtrathe und den Stadtverordneten eine gemischte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/398>, abgerufen am 22.07.2024.