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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Kühne hat manchmal Rücksichten zu beobachten, von denen sich die
Philosophie des Publikums Nichts träumen läßt, und die ihn zwingen,
sich gegen die eigene bessere Ueberzeugung den Dolch in die Brust zu
stoßen. Der Verfasser des Woldemar war ehedem Erzieher des jetzigen
Fürsten Clary, und da sich Herr Fritsche durchaus für einen echten
Dramatiker halt, so ist es wohl ganz natürlich, daß sich der ehema¬
lige einflußreiche Zögling für die Producte seines Mentors verwendet.
Dieser Zug gereicht ihm zur Ehre, trotz der Langeweile, welche das
Stück dem Publicum brachte. -- Eine komische Verlegenheit bringt
unserm Burgtheater die unvermuthete Nachricht von der Anklage des
Dichters Prutz in Halle auf Majestätsbeleidigung. Jetzt, da die Re¬
gisseure bereits öffentlich angekündigt haben, daß sie "Moritz von
Sachsen" als Benefize gewählt, wird der Verfasser dieses Stücks in
einem engbesreundeten Staate kriminell behandelt. Wir sind neugierig,
wie sich unsere Hofbühne dem grauenvollen Dilemma gegenüber fassen
wird, und ob es im fünften Decennium des 19. Jahrhunderts in
Oesterreich erlaubt ist, dramatische Werke von Majestätsverbrechern auf
dem Burgtheater aufzuführen und offenbaren Demagogen in Gestalt
k. k. Tantiemen eine Leibrente zuzusichern.

Seit einigen Tagen verweilt hier der greise Dichter, Erzbischof
Ladislaus Pyrker, der schon aus dem einzigen Umstände unsere
vollste Theilnahme in Anspruch nimmt, weil er so zu sagen ein Mär¬
tyrer des Deutschthums in Ungarn ist. Man kann es ihm dort nie¬
mals verzeihen, daß er, obschon in Ungarn geboren und im Besitz
eines ungarischen Bisthums, gleichwohl in deutscher Sprache gedichtet,
da er die ungarische nicht minder gründlich versteht. Vergebens war¬
tete der Sänger auf seine Aufnahme in die ungarische Akademie zu
Pesth, die so viele kleine Geisterchen zu Mitgliedern zählt, bis endlich
in dem verwichenen Jahre der Ausschuß die Aufnahme Pyrker's als
Ehrenmitglied aussprach. Das Motiv dieses Beschlusses war indeß
nicht etwa das natürlichste, das naheliegendste, nämlich die Verherr¬
lichung des vaterländischen Talents, sondern, man staune, die Schen¬
kung einer Anzahl von Bildern an das Nationalmuseum in Pesth!
Pyrker ist der Vertraute des Hofes, und namentlich wird derselbe bei
religiösen Fragen, die der Entscheidung des Landtags unterliegen, zur
Vorberathung gezogen, so wie denn auch die versöhnliche Lösung der
Streitsache wegen der gemischten Ehen auf dem letztverflossenen Reichs¬
tage nicht ohne seine thätigste Mitwirkung zu Stande gekommen.
Sein jetziger Aufenthalt in der Residenz hat indeß blos einen persön¬
lichen Grund, indem Pyrker seit längerer Zeit von einem heftigen Ge¬
sichtsschmerz gequält wird, dessen Heilung bisher der ärztlichen Kunst
nicht gelungen, weßhalb er die berühmtesten Heilkünstler der Haupt¬
stadt zu Rathe ziehen will. Was den ehrwürdigen "Sängergreis" be¬
sonders rühmlich auszeichnet, das ist der Geist d" Mäßigung, welchen


Grenzboten ItiiS. I. 50

Kühne hat manchmal Rücksichten zu beobachten, von denen sich die
Philosophie des Publikums Nichts träumen läßt, und die ihn zwingen,
sich gegen die eigene bessere Ueberzeugung den Dolch in die Brust zu
stoßen. Der Verfasser des Woldemar war ehedem Erzieher des jetzigen
Fürsten Clary, und da sich Herr Fritsche durchaus für einen echten
Dramatiker halt, so ist es wohl ganz natürlich, daß sich der ehema¬
lige einflußreiche Zögling für die Producte seines Mentors verwendet.
Dieser Zug gereicht ihm zur Ehre, trotz der Langeweile, welche das
Stück dem Publicum brachte. — Eine komische Verlegenheit bringt
unserm Burgtheater die unvermuthete Nachricht von der Anklage des
Dichters Prutz in Halle auf Majestätsbeleidigung. Jetzt, da die Re¬
gisseure bereits öffentlich angekündigt haben, daß sie „Moritz von
Sachsen" als Benefize gewählt, wird der Verfasser dieses Stücks in
einem engbesreundeten Staate kriminell behandelt. Wir sind neugierig,
wie sich unsere Hofbühne dem grauenvollen Dilemma gegenüber fassen
wird, und ob es im fünften Decennium des 19. Jahrhunderts in
Oesterreich erlaubt ist, dramatische Werke von Majestätsverbrechern auf
dem Burgtheater aufzuführen und offenbaren Demagogen in Gestalt
k. k. Tantiemen eine Leibrente zuzusichern.

Seit einigen Tagen verweilt hier der greise Dichter, Erzbischof
Ladislaus Pyrker, der schon aus dem einzigen Umstände unsere
vollste Theilnahme in Anspruch nimmt, weil er so zu sagen ein Mär¬
tyrer des Deutschthums in Ungarn ist. Man kann es ihm dort nie¬
mals verzeihen, daß er, obschon in Ungarn geboren und im Besitz
eines ungarischen Bisthums, gleichwohl in deutscher Sprache gedichtet,
da er die ungarische nicht minder gründlich versteht. Vergebens war¬
tete der Sänger auf seine Aufnahme in die ungarische Akademie zu
Pesth, die so viele kleine Geisterchen zu Mitgliedern zählt, bis endlich
in dem verwichenen Jahre der Ausschuß die Aufnahme Pyrker's als
Ehrenmitglied aussprach. Das Motiv dieses Beschlusses war indeß
nicht etwa das natürlichste, das naheliegendste, nämlich die Verherr¬
lichung des vaterländischen Talents, sondern, man staune, die Schen¬
kung einer Anzahl von Bildern an das Nationalmuseum in Pesth!
Pyrker ist der Vertraute des Hofes, und namentlich wird derselbe bei
religiösen Fragen, die der Entscheidung des Landtags unterliegen, zur
Vorberathung gezogen, so wie denn auch die versöhnliche Lösung der
Streitsache wegen der gemischten Ehen auf dem letztverflossenen Reichs¬
tage nicht ohne seine thätigste Mitwirkung zu Stande gekommen.
Sein jetziger Aufenthalt in der Residenz hat indeß blos einen persön¬
lichen Grund, indem Pyrker seit längerer Zeit von einem heftigen Ge¬
sichtsschmerz gequält wird, dessen Heilung bisher der ärztlichen Kunst
nicht gelungen, weßhalb er die berühmtesten Heilkünstler der Haupt¬
stadt zu Rathe ziehen will. Was den ehrwürdigen „Sängergreis" be¬
sonders rühmlich auszeichnet, das ist der Geist d« Mäßigung, welchen


Grenzboten ItiiS. I. 50
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/395>, abgerufen am 22.07.2024.