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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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er in Bezug auf die Hauptstreitfrage des Tages, ich meine den Spra¬
chenkampf, entfaltet. Pyrker besitzt zu tiefe klassische Bildung, um
sich in das Parteitreiben der Ultramagyaren hineinzufinden, weßhalb
er auch nicht ihre Gunst genießt. Diese Mäßigung ist um so schätz¬
barer, als sie leider gegen das barsche Verfahren mancher ungarischen
Bischöfe absticht, welche kein Mittel verschmähen, um die Magyaristrung
auf ihren Diöcesen-Ländereien zu befördern, wofür sie sich alsdann in
den Organen der ungarischen Parteipresse pflichtschuldigst bcräuchern
lassen. Sie werden ohne Zweifel in den Aeitungen gelesen haben, in
welcher Art der Bischof von Waizen gegen seine deutschen Gutsunter¬
thanen verfährt, um sie dem Schafstall der alleinseligmachenden unga¬
rischen Nationalsprache zuzuführen. Der Glaube muß sich zu diesem
niedern Treiben mißbrauchen lassen, und die Kanzel wird zur Buch-
stabiranstalt und das Gotteshaus zur Schulstube gemacht. Dabei
haben diese Seelenhirten häusig nicht einmal die Entschuldigung für
sich, vom Geiste des Magyarismus angesteckt zu sein, sondern sie trei¬
ben die Sache lediglich aus Speculation, und kümmern sich wenig
um Nationaleinheit und Sprachensieg; was sie bewegt, mit dem Ma¬
gyarismus gemeinschaftliche Sache zu machen, das ist die Einsicht,
daß die Mehrzahl der Gesetzgeber Magyaren sind, und nun glauben sie
durch Nachgiebigkeit in dieser Sphäre und glänzenden Patriotismus
im linguistischen Felde die Concession zu erHaschen, daß der Reichstag
nicht endlich einmal an die schon oft beregte Frage der geistlichen Do-
tirung gehe und den Bischöfen ihr fabelhaftes Einkommen bürge.
So bezieht der Erzbischof von Gran als Primus von Ungarn jähr¬
lich 500,000 si. Revenuen, wahrend der Erzbischof von Wien nur
75,000 si. und jener von Salzburg gar nur 36,000 besitzt. --
'

Mitten in die Geigentöne Straußscher Walzer und in die bac¬
chantische Freude des Mummenschanzes klirren die Ketten der polnischen
Staatsverbrecher, die von dem Tribunal zu Lemberg abgeurtheilt wur¬
den. Die Weisheit der Regierung hat dafür gesorgt, daß der schauer¬
liche Eindruck durch das milde Wort der Begnadigung, das vom
Throne ausging, geschwächt ward, und man ist ihr die Gerechtigkeit
schuldig, die Klugheit des Schrittes anzuerkennen. Polen bleibt einmal
eine eiterige Wunde im europäischen Staatsleben, und die betheiligten
Mächte müssen sich daran gewöhnen, daß man sie wie ein Arzt den
Kranken, nicht wie ein Jurist den Verbrecher behandle. I^I-it-or, schrieb
Maria Theresia, welche Bossuet's Idee, die Bibel und die Diplomatie
zu vermahlen, zu realistren bestrebt war, unter den Theilungsentwurf
Polens, plnc^t, weil so viele große und gelehrte Männer es wollen,
wenn ich aber schon längst nicht mehr bin, wird man erfahren, was
aus dieser Verletzung von Allem, was bisher heilig und gerecht war,
hervorgehen wird. Als alle meine Länder, schreibt dieselbe Fürstin
in ihrem Briefe an den Minister Kaunitz in vollster Offenheit, ange-


er in Bezug auf die Hauptstreitfrage des Tages, ich meine den Spra¬
chenkampf, entfaltet. Pyrker besitzt zu tiefe klassische Bildung, um
sich in das Parteitreiben der Ultramagyaren hineinzufinden, weßhalb
er auch nicht ihre Gunst genießt. Diese Mäßigung ist um so schätz¬
barer, als sie leider gegen das barsche Verfahren mancher ungarischen
Bischöfe absticht, welche kein Mittel verschmähen, um die Magyaristrung
auf ihren Diöcesen-Ländereien zu befördern, wofür sie sich alsdann in
den Organen der ungarischen Parteipresse pflichtschuldigst bcräuchern
lassen. Sie werden ohne Zweifel in den Aeitungen gelesen haben, in
welcher Art der Bischof von Waizen gegen seine deutschen Gutsunter¬
thanen verfährt, um sie dem Schafstall der alleinseligmachenden unga¬
rischen Nationalsprache zuzuführen. Der Glaube muß sich zu diesem
niedern Treiben mißbrauchen lassen, und die Kanzel wird zur Buch-
stabiranstalt und das Gotteshaus zur Schulstube gemacht. Dabei
haben diese Seelenhirten häusig nicht einmal die Entschuldigung für
sich, vom Geiste des Magyarismus angesteckt zu sein, sondern sie trei¬
ben die Sache lediglich aus Speculation, und kümmern sich wenig
um Nationaleinheit und Sprachensieg; was sie bewegt, mit dem Ma¬
gyarismus gemeinschaftliche Sache zu machen, das ist die Einsicht,
daß die Mehrzahl der Gesetzgeber Magyaren sind, und nun glauben sie
durch Nachgiebigkeit in dieser Sphäre und glänzenden Patriotismus
im linguistischen Felde die Concession zu erHaschen, daß der Reichstag
nicht endlich einmal an die schon oft beregte Frage der geistlichen Do-
tirung gehe und den Bischöfen ihr fabelhaftes Einkommen bürge.
So bezieht der Erzbischof von Gran als Primus von Ungarn jähr¬
lich 500,000 si. Revenuen, wahrend der Erzbischof von Wien nur
75,000 si. und jener von Salzburg gar nur 36,000 besitzt. —
'

Mitten in die Geigentöne Straußscher Walzer und in die bac¬
chantische Freude des Mummenschanzes klirren die Ketten der polnischen
Staatsverbrecher, die von dem Tribunal zu Lemberg abgeurtheilt wur¬
den. Die Weisheit der Regierung hat dafür gesorgt, daß der schauer¬
liche Eindruck durch das milde Wort der Begnadigung, das vom
Throne ausging, geschwächt ward, und man ist ihr die Gerechtigkeit
schuldig, die Klugheit des Schrittes anzuerkennen. Polen bleibt einmal
eine eiterige Wunde im europäischen Staatsleben, und die betheiligten
Mächte müssen sich daran gewöhnen, daß man sie wie ein Arzt den
Kranken, nicht wie ein Jurist den Verbrecher behandle. I^I-it-or, schrieb
Maria Theresia, welche Bossuet's Idee, die Bibel und die Diplomatie
zu vermahlen, zu realistren bestrebt war, unter den Theilungsentwurf
Polens, plnc^t, weil so viele große und gelehrte Männer es wollen,
wenn ich aber schon längst nicht mehr bin, wird man erfahren, was
aus dieser Verletzung von Allem, was bisher heilig und gerecht war,
hervorgehen wird. Als alle meine Länder, schreibt dieselbe Fürstin
in ihrem Briefe an den Minister Kaunitz in vollster Offenheit, ange-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/396>, abgerufen am 22.07.2024.