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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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gebung. Seine ersten Versuche hatten Schwung, verriethen aber mehr
frischen Sinn für die Darstellung rein menschlicher Empfindung, mehr
Kindlichkeit und Objectivetät, als man nach dem spätern revolutio¬
nären Ausbruch hätte denken sollen. Die politische Schwärmerei führte
zu dieser Krisis. -- In die Länder der tiefsten Heimlichkeit müßt Ihr
gehen, um an die poetische Wahrheit der politischen Poesie zu glau¬
ben. Nicht die publicistischen Talente, nicht die praktischen Politiker
müßt Ihr dort suchen, aber die flammendsten und ursprünglichsten Sän¬
ger der Freiheit kommen von dort. Je geringer die Intelligenz, je
allgemeiner die Unerfahrenheit in öffentlichen Dingen, desto heftiger
entbrennen Gemüth und Phantasie in der Theilnahme daran. Der
Blick des politischen Laien mißt die Geschichte der Gegenwart nur
von der großen, rein menschlichen Seite, und das Herz entscheidet
rücksichtslos, wo anderwärts die kühlere Sachkenntniß hin und her
wägt. Dort gibt es nur gleichgiltige oder revolutionäre Jugend.
Freilich ist dieser NadiccilismuS ziemlich unschuldig und mehr poetisch,
als gefährlich; man hat keinen Begriff von den sanguinischen Träu¬
men und den zauberhaften Vorstellungen, die sich damals beim jun¬
gen Oesterreich an den Namen Deutschland knüpften. O es ist ein
schönes Jugendleben im Lande der südwarmen vollen Nacht; schöner,
als in den Ländern des matten Zwielichts, der fröstelnden Ohnmacht
und Halbheit bei allgemeiner Erkenntniß. Zwei, drei gleichgesiimte
junge Herzen, wie eng und heimlich halten sie dort zusammen! Das
Gefühl des Drucks gibt ein erhebendes Bewußtsein, wenn man ihn
der äußern, riesenhaften Macht schuldgcben kann. Wer die Mensch¬
heit noch in Tyrannen und Sklaven theilt, hat noch keine Hoffnung
aufgegeben; selbst die Aussicht auf verzweifelte Kämpfe hat ihren
Trost, denn es werden Kämpfe auf Tod und Leben sein, auch die
Niederlage wird ihre Größe haben und dem Herzen bleibt sein Ge¬
nüge ; es behält doch das Recht, entschieden zu hassen und zu lieben.
Da draußen, denkt man, knirschen die jungen Völker in den Zügel
der Thatkraft; da draußen stemmt sich eine Nation gegen die Ker¬
kermauer; was eilst Du nicht hinaus, um zu helfen? Du glaubst
noch an die Allmacht des Wortes; nur daß das rechte, daS letzte
Wort noch nicht gesprochen ist, trägt die Schuld am erbärmlichen
Weltlauf; wer weiß, ob eS nicht Dir beschieden ist, das Schiboleth
zu rufen, von dem die Lawinen stürzen. Also hinaus mit geschwun-


gebung. Seine ersten Versuche hatten Schwung, verriethen aber mehr
frischen Sinn für die Darstellung rein menschlicher Empfindung, mehr
Kindlichkeit und Objectivetät, als man nach dem spätern revolutio¬
nären Ausbruch hätte denken sollen. Die politische Schwärmerei führte
zu dieser Krisis. — In die Länder der tiefsten Heimlichkeit müßt Ihr
gehen, um an die poetische Wahrheit der politischen Poesie zu glau¬
ben. Nicht die publicistischen Talente, nicht die praktischen Politiker
müßt Ihr dort suchen, aber die flammendsten und ursprünglichsten Sän¬
ger der Freiheit kommen von dort. Je geringer die Intelligenz, je
allgemeiner die Unerfahrenheit in öffentlichen Dingen, desto heftiger
entbrennen Gemüth und Phantasie in der Theilnahme daran. Der
Blick des politischen Laien mißt die Geschichte der Gegenwart nur
von der großen, rein menschlichen Seite, und das Herz entscheidet
rücksichtslos, wo anderwärts die kühlere Sachkenntniß hin und her
wägt. Dort gibt es nur gleichgiltige oder revolutionäre Jugend.
Freilich ist dieser NadiccilismuS ziemlich unschuldig und mehr poetisch,
als gefährlich; man hat keinen Begriff von den sanguinischen Träu¬
men und den zauberhaften Vorstellungen, die sich damals beim jun¬
gen Oesterreich an den Namen Deutschland knüpften. O es ist ein
schönes Jugendleben im Lande der südwarmen vollen Nacht; schöner,
als in den Ländern des matten Zwielichts, der fröstelnden Ohnmacht
und Halbheit bei allgemeiner Erkenntniß. Zwei, drei gleichgesiimte
junge Herzen, wie eng und heimlich halten sie dort zusammen! Das
Gefühl des Drucks gibt ein erhebendes Bewußtsein, wenn man ihn
der äußern, riesenhaften Macht schuldgcben kann. Wer die Mensch¬
heit noch in Tyrannen und Sklaven theilt, hat noch keine Hoffnung
aufgegeben; selbst die Aussicht auf verzweifelte Kämpfe hat ihren
Trost, denn es werden Kämpfe auf Tod und Leben sein, auch die
Niederlage wird ihre Größe haben und dem Herzen bleibt sein Ge¬
nüge ; es behält doch das Recht, entschieden zu hassen und zu lieben.
Da draußen, denkt man, knirschen die jungen Völker in den Zügel
der Thatkraft; da draußen stemmt sich eine Nation gegen die Ker¬
kermauer; was eilst Du nicht hinaus, um zu helfen? Du glaubst
noch an die Allmacht des Wortes; nur daß das rechte, daS letzte
Wort noch nicht gesprochen ist, trägt die Schuld am erbärmlichen
Weltlauf; wer weiß, ob eS nicht Dir beschieden ist, das Schiboleth
zu rufen, von dem die Lawinen stürzen. Also hinaus mit geschwun-


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[0038] gebung. Seine ersten Versuche hatten Schwung, verriethen aber mehr frischen Sinn für die Darstellung rein menschlicher Empfindung, mehr Kindlichkeit und Objectivetät, als man nach dem spätern revolutio¬ nären Ausbruch hätte denken sollen. Die politische Schwärmerei führte zu dieser Krisis. — In die Länder der tiefsten Heimlichkeit müßt Ihr gehen, um an die poetische Wahrheit der politischen Poesie zu glau¬ ben. Nicht die publicistischen Talente, nicht die praktischen Politiker müßt Ihr dort suchen, aber die flammendsten und ursprünglichsten Sän¬ ger der Freiheit kommen von dort. Je geringer die Intelligenz, je allgemeiner die Unerfahrenheit in öffentlichen Dingen, desto heftiger entbrennen Gemüth und Phantasie in der Theilnahme daran. Der Blick des politischen Laien mißt die Geschichte der Gegenwart nur von der großen, rein menschlichen Seite, und das Herz entscheidet rücksichtslos, wo anderwärts die kühlere Sachkenntniß hin und her wägt. Dort gibt es nur gleichgiltige oder revolutionäre Jugend. Freilich ist dieser NadiccilismuS ziemlich unschuldig und mehr poetisch, als gefährlich; man hat keinen Begriff von den sanguinischen Träu¬ men und den zauberhaften Vorstellungen, die sich damals beim jun¬ gen Oesterreich an den Namen Deutschland knüpften. O es ist ein schönes Jugendleben im Lande der südwarmen vollen Nacht; schöner, als in den Ländern des matten Zwielichts, der fröstelnden Ohnmacht und Halbheit bei allgemeiner Erkenntniß. Zwei, drei gleichgesiimte junge Herzen, wie eng und heimlich halten sie dort zusammen! Das Gefühl des Drucks gibt ein erhebendes Bewußtsein, wenn man ihn der äußern, riesenhaften Macht schuldgcben kann. Wer die Mensch¬ heit noch in Tyrannen und Sklaven theilt, hat noch keine Hoffnung aufgegeben; selbst die Aussicht auf verzweifelte Kämpfe hat ihren Trost, denn es werden Kämpfe auf Tod und Leben sein, auch die Niederlage wird ihre Größe haben und dem Herzen bleibt sein Ge¬ nüge ; es behält doch das Recht, entschieden zu hassen und zu lieben. Da draußen, denkt man, knirschen die jungen Völker in den Zügel der Thatkraft; da draußen stemmt sich eine Nation gegen die Ker¬ kermauer; was eilst Du nicht hinaus, um zu helfen? Du glaubst noch an die Allmacht des Wortes; nur daß das rechte, daS letzte Wort noch nicht gesprochen ist, trägt die Schuld am erbärmlichen Weltlauf; wer weiß, ob eS nicht Dir beschieden ist, das Schiboleth zu rufen, von dem die Lawinen stürzen. Also hinaus mit geschwun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/38>, abgerufen am 28.09.2024.