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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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thigen; sonst bleibt Euch auch noch mitten in den Prüfungen die
Wahl frei!

-- Wohlan, so führt mich, sagt' ich entschlossen.

-- Nimm diese Binde um, mein Sohn, Du bist schon zur
Stelle.

-- Hier? fragte ich; ich meinte, ein Tempel sei Euer Haus!

-- Wohl, ein Tempel des unsichtbaren Gottes, und wo Zwei
in seinem Namen versammelt sind, ist er mitten unter uns!

Ich knüpfte das Band um die Augen und fühlte nur noch, daß
ein dichter Schleier über meinen Kopf geworfen wurde. Eine Thür
öffnete sich, aber eS schien nicht jene, die zur Gesellschaft führte. An
der Seite meines Führers schritt ich einen langen, schmalen Gang
hinunter. Ich weiß nicht, wechselte Drcykorn mehrmals die Hand,
die er mir reichte, oder ging ich an der Reihe vieler Menschen hin,
die sie mir wechselweise drückten. Meine Einbildungskraft ward rege
und ich glaubte mich schon in der Mitte der versammelten Brüder.
Es war jedoch Alles still und ich wußte nicht mehr, an wessen Seite
ich eine kleine Wendeltreppe hinunterstieg. Der Weg wurde dann
uneben, ich fühlte einen steinernen Fußboden und der Lärm der Straße
kam mir näher. Ich ward in einen Wagen gehoben, mehrere Be¬
gleiter rückten sich neben mir zurecht und im scharfen Trabe ward ich
fortgeführt. Auf meine Frage, ob mein erster Führer mich verlassen,
ertönte aus fremdem Munde das Gebot zu schweigen. Nach etwa
fünf Minuten hielten wir und stiegen aus. Es war mir, als sei
es die Jacobspfarre, vor der wir angelangt. Ich ließ mich eben so
willig aus dem Schlage heben; ein Thorflügel, der hinter uns zu¬
fiel, schnitt uns von dem Geräusch der Straße ab und tiefes Schwei¬
gen umgab mich wieder. Neue Führer, so schien es mir, reichten
mir wieder links und rechts die Hand, ich glaubte vor den alten
steinernen Rittern des Hauses die Musterung zu passiren, Aber das
Echo, das sonst auf jeden Fußtritt im Corridor schallte, war erstickt,
die Räume schienen von Menschen angefüllt. So ward ich Trepp'
auf und ab durch ein Gewirr von Gängen gezogen. Als wir Halt
machten, schwand plötzlich mit einem donnernden Getöse der Boden
unter meinen Füßen; ich schwebte schaukelnd in der Luft, bis ich
rücklings in ausgestreckter Lage wieder festen Halt unter mir fühlte.
Die Binde war mir von den Augen gefallen; aber ich starrte nach


Wrcnzbotcn, 1S/.S. l. 46

thigen; sonst bleibt Euch auch noch mitten in den Prüfungen die
Wahl frei!

— Wohlan, so führt mich, sagt' ich entschlossen.

— Nimm diese Binde um, mein Sohn, Du bist schon zur
Stelle.

— Hier? fragte ich; ich meinte, ein Tempel sei Euer Haus!

— Wohl, ein Tempel des unsichtbaren Gottes, und wo Zwei
in seinem Namen versammelt sind, ist er mitten unter uns!

Ich knüpfte das Band um die Augen und fühlte nur noch, daß
ein dichter Schleier über meinen Kopf geworfen wurde. Eine Thür
öffnete sich, aber eS schien nicht jene, die zur Gesellschaft führte. An
der Seite meines Führers schritt ich einen langen, schmalen Gang
hinunter. Ich weiß nicht, wechselte Drcykorn mehrmals die Hand,
die er mir reichte, oder ging ich an der Reihe vieler Menschen hin,
die sie mir wechselweise drückten. Meine Einbildungskraft ward rege
und ich glaubte mich schon in der Mitte der versammelten Brüder.
Es war jedoch Alles still und ich wußte nicht mehr, an wessen Seite
ich eine kleine Wendeltreppe hinunterstieg. Der Weg wurde dann
uneben, ich fühlte einen steinernen Fußboden und der Lärm der Straße
kam mir näher. Ich ward in einen Wagen gehoben, mehrere Be¬
gleiter rückten sich neben mir zurecht und im scharfen Trabe ward ich
fortgeführt. Auf meine Frage, ob mein erster Führer mich verlassen,
ertönte aus fremdem Munde das Gebot zu schweigen. Nach etwa
fünf Minuten hielten wir und stiegen aus. Es war mir, als sei
es die Jacobspfarre, vor der wir angelangt. Ich ließ mich eben so
willig aus dem Schlage heben; ein Thorflügel, der hinter uns zu¬
fiel, schnitt uns von dem Geräusch der Straße ab und tiefes Schwei¬
gen umgab mich wieder. Neue Führer, so schien es mir, reichten
mir wieder links und rechts die Hand, ich glaubte vor den alten
steinernen Rittern des Hauses die Musterung zu passiren, Aber das
Echo, das sonst auf jeden Fußtritt im Corridor schallte, war erstickt,
die Räume schienen von Menschen angefüllt. So ward ich Trepp'
auf und ab durch ein Gewirr von Gängen gezogen. Als wir Halt
machten, schwand plötzlich mit einem donnernden Getöse der Boden
unter meinen Füßen; ich schwebte schaukelnd in der Luft, bis ich
rücklings in ausgestreckter Lage wieder festen Halt unter mir fühlte.
Die Binde war mir von den Augen gefallen; aber ich starrte nach


Wrcnzbotcn, 1S/.S. l. 46
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[0363] thigen; sonst bleibt Euch auch noch mitten in den Prüfungen die Wahl frei! — Wohlan, so führt mich, sagt' ich entschlossen. — Nimm diese Binde um, mein Sohn, Du bist schon zur Stelle. — Hier? fragte ich; ich meinte, ein Tempel sei Euer Haus! — Wohl, ein Tempel des unsichtbaren Gottes, und wo Zwei in seinem Namen versammelt sind, ist er mitten unter uns! Ich knüpfte das Band um die Augen und fühlte nur noch, daß ein dichter Schleier über meinen Kopf geworfen wurde. Eine Thür öffnete sich, aber eS schien nicht jene, die zur Gesellschaft führte. An der Seite meines Führers schritt ich einen langen, schmalen Gang hinunter. Ich weiß nicht, wechselte Drcykorn mehrmals die Hand, die er mir reichte, oder ging ich an der Reihe vieler Menschen hin, die sie mir wechselweise drückten. Meine Einbildungskraft ward rege und ich glaubte mich schon in der Mitte der versammelten Brüder. Es war jedoch Alles still und ich wußte nicht mehr, an wessen Seite ich eine kleine Wendeltreppe hinunterstieg. Der Weg wurde dann uneben, ich fühlte einen steinernen Fußboden und der Lärm der Straße kam mir näher. Ich ward in einen Wagen gehoben, mehrere Be¬ gleiter rückten sich neben mir zurecht und im scharfen Trabe ward ich fortgeführt. Auf meine Frage, ob mein erster Führer mich verlassen, ertönte aus fremdem Munde das Gebot zu schweigen. Nach etwa fünf Minuten hielten wir und stiegen aus. Es war mir, als sei es die Jacobspfarre, vor der wir angelangt. Ich ließ mich eben so willig aus dem Schlage heben; ein Thorflügel, der hinter uns zu¬ fiel, schnitt uns von dem Geräusch der Straße ab und tiefes Schwei¬ gen umgab mich wieder. Neue Führer, so schien es mir, reichten mir wieder links und rechts die Hand, ich glaubte vor den alten steinernen Rittern des Hauses die Musterung zu passiren, Aber das Echo, das sonst auf jeden Fußtritt im Corridor schallte, war erstickt, die Räume schienen von Menschen angefüllt. So ward ich Trepp' auf und ab durch ein Gewirr von Gängen gezogen. Als wir Halt machten, schwand plötzlich mit einem donnernden Getöse der Boden unter meinen Füßen; ich schwebte schaukelnd in der Luft, bis ich rücklings in ausgestreckter Lage wieder festen Halt unter mir fühlte. Die Binde war mir von den Augen gefallen; aber ich starrte nach Wrcnzbotcn, 1S/.S. l. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/363>, abgerufen am 23.07.2024.