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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wie vor in völlige Finsterniß. Ich tappte mit den Händen umher,
ein verschloßner Raum hielt mich eng umfangen. Mit der Schwüle
der Lust wandelte mich der Gedanke an, ich sei lebendig eingesargt.
Wie ich ungestüm gegen den Deckel über mir stieß, fiel er zurück und
eine dämmerige Ampel beleuchtete von oben die kleine gewölbte Halle,
in der ich mich befand. Das Gemach hatte ganz die Bauart einer
Todtencapelle und ich war nicht ganz ohne die Aufregungen von
Furcht und Widerwillen, als ich aus meinem schwarzen Gehäuse
sprang, dessen Sargdecke ich schon von mir geschüttelt. Ueber dem
Stuhl neben mir lag ein dunkles Gewand nebst Stab und Pilger¬
hut. Auf dem Tische lag ein Todtenschädel, aus dessen Augenhöhlen
ein bläuliches Licht funkelte. Brod und ein Krug Wasser standen
bei Seite. Die Bibel lag aufgeschlagen und mein Blick siel aus die
Stelle: die reinen Herzens sind, werden Gott schauen! Das ist frei¬
lich der Wahlspruch, dem ich huldigen möchte, und dies um mich her
sind die Symbole des geheimnißvollen Brunnens, wo man Wahrheit
und reines Leben schöpft. Es schien, als sollte der Neuling, der
nach Wahrheit dürstet, sich auf die einfachen Elemente der Welt be¬
sinnen. -- Unter dem Buch der Bücher fand ich einen Abraras, einen
jener geschnittenen Steine aus den Kabinetten der alten egyptischen
Tempel, auf dem die Namen Jao, Jehovah und Sabaoth wunderbar
verschlungen sind. Ich erinnerte mich, daß Dante, der alte geweihte
Dichter meines Volkes, die Gottheit in denselben Symbolen schildert.
Gott Bater sitzt auf dem Stuhl im Mittelpunkt der Welt. Christus
schwingt ein Bündel Sonnenstrahlen um sein Haupt. Der Hahn,
das Bild des frühen Erwachens, deutet auf den anbrechenden Mor¬
gen. Christus trägt auf dem Schilde vor seiner Brust das Wort
Jao im Dreieck. Die Umschrift des Steines, den ich vor mir hatte
lautete in Chiffern: Gib mir Gnade und Sieg, denn ich habe dich,
der du warst, der du bist und sein wirst, bei deinem verborgenen
Namen gerufen!

Von dem Brod und Wasser mochte ich Nichts genießen, so sehr
ich auch das Bedürfniß fühlte; ich wollte die Fasten, die man mit
mir bezweckte, streng hallen. Darin seid Ihr Meister und Kenner
der menschlichen Natur, Ihr Pfleger der alten Mutterkirche. Fasten
und leiblich sich bereiten thut's freilich nicht! sprach der Reformator
des Glaubens. Wohl aber thut's der Geist, der dabei zu sich selber


wie vor in völlige Finsterniß. Ich tappte mit den Händen umher,
ein verschloßner Raum hielt mich eng umfangen. Mit der Schwüle
der Lust wandelte mich der Gedanke an, ich sei lebendig eingesargt.
Wie ich ungestüm gegen den Deckel über mir stieß, fiel er zurück und
eine dämmerige Ampel beleuchtete von oben die kleine gewölbte Halle,
in der ich mich befand. Das Gemach hatte ganz die Bauart einer
Todtencapelle und ich war nicht ganz ohne die Aufregungen von
Furcht und Widerwillen, als ich aus meinem schwarzen Gehäuse
sprang, dessen Sargdecke ich schon von mir geschüttelt. Ueber dem
Stuhl neben mir lag ein dunkles Gewand nebst Stab und Pilger¬
hut. Auf dem Tische lag ein Todtenschädel, aus dessen Augenhöhlen
ein bläuliches Licht funkelte. Brod und ein Krug Wasser standen
bei Seite. Die Bibel lag aufgeschlagen und mein Blick siel aus die
Stelle: die reinen Herzens sind, werden Gott schauen! Das ist frei¬
lich der Wahlspruch, dem ich huldigen möchte, und dies um mich her
sind die Symbole des geheimnißvollen Brunnens, wo man Wahrheit
und reines Leben schöpft. Es schien, als sollte der Neuling, der
nach Wahrheit dürstet, sich auf die einfachen Elemente der Welt be¬
sinnen. — Unter dem Buch der Bücher fand ich einen Abraras, einen
jener geschnittenen Steine aus den Kabinetten der alten egyptischen
Tempel, auf dem die Namen Jao, Jehovah und Sabaoth wunderbar
verschlungen sind. Ich erinnerte mich, daß Dante, der alte geweihte
Dichter meines Volkes, die Gottheit in denselben Symbolen schildert.
Gott Bater sitzt auf dem Stuhl im Mittelpunkt der Welt. Christus
schwingt ein Bündel Sonnenstrahlen um sein Haupt. Der Hahn,
das Bild des frühen Erwachens, deutet auf den anbrechenden Mor¬
gen. Christus trägt auf dem Schilde vor seiner Brust das Wort
Jao im Dreieck. Die Umschrift des Steines, den ich vor mir hatte
lautete in Chiffern: Gib mir Gnade und Sieg, denn ich habe dich,
der du warst, der du bist und sein wirst, bei deinem verborgenen
Namen gerufen!

Von dem Brod und Wasser mochte ich Nichts genießen, so sehr
ich auch das Bedürfniß fühlte; ich wollte die Fasten, die man mit
mir bezweckte, streng hallen. Darin seid Ihr Meister und Kenner
der menschlichen Natur, Ihr Pfleger der alten Mutterkirche. Fasten
und leiblich sich bereiten thut's freilich nicht! sprach der Reformator
des Glaubens. Wohl aber thut's der Geist, der dabei zu sich selber


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[0364] wie vor in völlige Finsterniß. Ich tappte mit den Händen umher, ein verschloßner Raum hielt mich eng umfangen. Mit der Schwüle der Lust wandelte mich der Gedanke an, ich sei lebendig eingesargt. Wie ich ungestüm gegen den Deckel über mir stieß, fiel er zurück und eine dämmerige Ampel beleuchtete von oben die kleine gewölbte Halle, in der ich mich befand. Das Gemach hatte ganz die Bauart einer Todtencapelle und ich war nicht ganz ohne die Aufregungen von Furcht und Widerwillen, als ich aus meinem schwarzen Gehäuse sprang, dessen Sargdecke ich schon von mir geschüttelt. Ueber dem Stuhl neben mir lag ein dunkles Gewand nebst Stab und Pilger¬ hut. Auf dem Tische lag ein Todtenschädel, aus dessen Augenhöhlen ein bläuliches Licht funkelte. Brod und ein Krug Wasser standen bei Seite. Die Bibel lag aufgeschlagen und mein Blick siel aus die Stelle: die reinen Herzens sind, werden Gott schauen! Das ist frei¬ lich der Wahlspruch, dem ich huldigen möchte, und dies um mich her sind die Symbole des geheimnißvollen Brunnens, wo man Wahrheit und reines Leben schöpft. Es schien, als sollte der Neuling, der nach Wahrheit dürstet, sich auf die einfachen Elemente der Welt be¬ sinnen. — Unter dem Buch der Bücher fand ich einen Abraras, einen jener geschnittenen Steine aus den Kabinetten der alten egyptischen Tempel, auf dem die Namen Jao, Jehovah und Sabaoth wunderbar verschlungen sind. Ich erinnerte mich, daß Dante, der alte geweihte Dichter meines Volkes, die Gottheit in denselben Symbolen schildert. Gott Bater sitzt auf dem Stuhl im Mittelpunkt der Welt. Christus schwingt ein Bündel Sonnenstrahlen um sein Haupt. Der Hahn, das Bild des frühen Erwachens, deutet auf den anbrechenden Mor¬ gen. Christus trägt auf dem Schilde vor seiner Brust das Wort Jao im Dreieck. Die Umschrift des Steines, den ich vor mir hatte lautete in Chiffern: Gib mir Gnade und Sieg, denn ich habe dich, der du warst, der du bist und sein wirst, bei deinem verborgenen Namen gerufen! Von dem Brod und Wasser mochte ich Nichts genießen, so sehr ich auch das Bedürfniß fühlte; ich wollte die Fasten, die man mit mir bezweckte, streng hallen. Darin seid Ihr Meister und Kenner der menschlichen Natur, Ihr Pfleger der alten Mutterkirche. Fasten und leiblich sich bereiten thut's freilich nicht! sprach der Reformator des Glaubens. Wohl aber thut's der Geist, der dabei zu sich selber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/364>, abgerufen am 23.07.2024.