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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nur Jemanden, der eine von sich wirst. Der Skandal einer Gesin¬
nung erst ist im Stande, Jemanden zu brandmarken; erst wenn er
sich damit compromittirt, vermögen wir Deutschen es über uns zu brin¬
gen, ihm Widerwillen oder Verachtung an den Tag zu legen.

Berlin hat Beispiele davon aufzuweisen. Das Nächstliegende ha¬
ben uns die beiden Grimms in ihrem damaligen Benehmen gegen
Hoffmann von Fallersleben dargeboten. Es ist aber allerdings
schon ein gutes Zeichen, daß man anfangt, für dergleichen Gesinnungs¬
demonstrationen ein Gedächtniß zu behalten, denn es ist doch sehr be¬
merkbar, um wie viel unpopulärer und entfremdeter diese beiden Män¬
ner der deutschen Jugend seitdem geworden sind. Ich glaube, sie
werden eine Geburtstagsfeier, wie die damalige, nicht mehr erleben.
An ihrer, zu dieser Zeit abgegebenen Erklärung hat sich der schöne
Enthusiasmus der akademischen Jugend für sie in Trümmer geschla¬
gen, den nothdürftig zusammenzukitten vielleicht alle ihre literarischen
und gelehrten Forschungen nicht mehr im Stande sein werden.

Ein gesunder Takt wird Berlin in dieser, wie überhaupt in po¬
litischen Angelegenheiten nicht abzuläugnen sein. Wenn ich das Wort
politisch gebraucht habe, so setze ich voraus, daß man es in seiner
weitesten, nicht in seiner strengsten Bedeutung nimmt, weil heut zu
Tage Alles politisch ist, die >L>eehandlung, wie das Postporto, die
Kirche wie das Theater, der Atheismus, wie der Pietismus. Dieser
letztere ist hier sogar durch die Politik in Mode gekommen, so daß,
was mich anbetrifft, ich nicht umhin kann, hinter jedem Pietisten
einen großen Politiker zu vermuthen.

Die Politiker haben von je durch irgend etwas an ihrem Wesen
eine Sympathie an den Tag gelegt, die sie wie einen großen zusam¬
menhängenden Orden hat erscheinen lassen. Eine Zeitlang war es
gang und gäbe, daß die Politiker als Freigeister, als Libertins auf¬
traten. Sie spielten Karten, verführten Weiber und dichteten schlü¬
pfrige Chansons. Den lieben Herrgott sahen sie wie einen guten
Nachbar an, bei dem man zu Gaste geht; dem man die Hand drückt
vor Augen und hinter dem Rücken ein Schnippchen schlägt. Es
war die'Epoche Friedrich's des Großen und Voltaire's, die
Epoche, in welcher Gott der Düpirte sein sollte. Nachher emancipir-
ten sich die preußischen Politiker von diesem französischen Einflüsse,
sie wurden echt deutsch, ritterlich und gottesfürchtig. Sie trugen
schwarze Schnürröcke, Kanonenstiefel, Hemdkragen und langes Haar.
Es war dies in der Zeit der sogenannten Freiheitskriege. Heut zu
Tage sind sie pietistisch. Sie gehen mit dem Gesangbuch unter dem
Arm und halten Betstunden. Sie werden fett und zeugen keine Kin¬
der. Der Wahlspruch, den ein Politikerin einem Jenen ern an n'sehen
Lustspiele ausspricht, und der lautet: "Der Mensch muß mitunter die
Wurst einer Pflicht nach der Speckseite eines Vortheils werfen, sonst


Grcnzbvtc 845. I.

nur Jemanden, der eine von sich wirst. Der Skandal einer Gesin¬
nung erst ist im Stande, Jemanden zu brandmarken; erst wenn er
sich damit compromittirt, vermögen wir Deutschen es über uns zu brin¬
gen, ihm Widerwillen oder Verachtung an den Tag zu legen.

Berlin hat Beispiele davon aufzuweisen. Das Nächstliegende ha¬
ben uns die beiden Grimms in ihrem damaligen Benehmen gegen
Hoffmann von Fallersleben dargeboten. Es ist aber allerdings
schon ein gutes Zeichen, daß man anfangt, für dergleichen Gesinnungs¬
demonstrationen ein Gedächtniß zu behalten, denn es ist doch sehr be¬
merkbar, um wie viel unpopulärer und entfremdeter diese beiden Män¬
ner der deutschen Jugend seitdem geworden sind. Ich glaube, sie
werden eine Geburtstagsfeier, wie die damalige, nicht mehr erleben.
An ihrer, zu dieser Zeit abgegebenen Erklärung hat sich der schöne
Enthusiasmus der akademischen Jugend für sie in Trümmer geschla¬
gen, den nothdürftig zusammenzukitten vielleicht alle ihre literarischen
und gelehrten Forschungen nicht mehr im Stande sein werden.

Ein gesunder Takt wird Berlin in dieser, wie überhaupt in po¬
litischen Angelegenheiten nicht abzuläugnen sein. Wenn ich das Wort
politisch gebraucht habe, so setze ich voraus, daß man es in seiner
weitesten, nicht in seiner strengsten Bedeutung nimmt, weil heut zu
Tage Alles politisch ist, die >L>eehandlung, wie das Postporto, die
Kirche wie das Theater, der Atheismus, wie der Pietismus. Dieser
letztere ist hier sogar durch die Politik in Mode gekommen, so daß,
was mich anbetrifft, ich nicht umhin kann, hinter jedem Pietisten
einen großen Politiker zu vermuthen.

Die Politiker haben von je durch irgend etwas an ihrem Wesen
eine Sympathie an den Tag gelegt, die sie wie einen großen zusam¬
menhängenden Orden hat erscheinen lassen. Eine Zeitlang war es
gang und gäbe, daß die Politiker als Freigeister, als Libertins auf¬
traten. Sie spielten Karten, verführten Weiber und dichteten schlü¬
pfrige Chansons. Den lieben Herrgott sahen sie wie einen guten
Nachbar an, bei dem man zu Gaste geht; dem man die Hand drückt
vor Augen und hinter dem Rücken ein Schnippchen schlägt. Es
war die'Epoche Friedrich's des Großen und Voltaire's, die
Epoche, in welcher Gott der Düpirte sein sollte. Nachher emancipir-
ten sich die preußischen Politiker von diesem französischen Einflüsse,
sie wurden echt deutsch, ritterlich und gottesfürchtig. Sie trugen
schwarze Schnürröcke, Kanonenstiefel, Hemdkragen und langes Haar.
Es war dies in der Zeit der sogenannten Freiheitskriege. Heut zu
Tage sind sie pietistisch. Sie gehen mit dem Gesangbuch unter dem
Arm und halten Betstunden. Sie werden fett und zeugen keine Kin¬
der. Der Wahlspruch, den ein Politikerin einem Jenen ern an n'sehen
Lustspiele ausspricht, und der lautet: „Der Mensch muß mitunter die
Wurst einer Pflicht nach der Speckseite eines Vortheils werfen, sonst


Grcnzbvtc 845. I.
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[0339] nur Jemanden, der eine von sich wirst. Der Skandal einer Gesin¬ nung erst ist im Stande, Jemanden zu brandmarken; erst wenn er sich damit compromittirt, vermögen wir Deutschen es über uns zu brin¬ gen, ihm Widerwillen oder Verachtung an den Tag zu legen. Berlin hat Beispiele davon aufzuweisen. Das Nächstliegende ha¬ ben uns die beiden Grimms in ihrem damaligen Benehmen gegen Hoffmann von Fallersleben dargeboten. Es ist aber allerdings schon ein gutes Zeichen, daß man anfangt, für dergleichen Gesinnungs¬ demonstrationen ein Gedächtniß zu behalten, denn es ist doch sehr be¬ merkbar, um wie viel unpopulärer und entfremdeter diese beiden Män¬ ner der deutschen Jugend seitdem geworden sind. Ich glaube, sie werden eine Geburtstagsfeier, wie die damalige, nicht mehr erleben. An ihrer, zu dieser Zeit abgegebenen Erklärung hat sich der schöne Enthusiasmus der akademischen Jugend für sie in Trümmer geschla¬ gen, den nothdürftig zusammenzukitten vielleicht alle ihre literarischen und gelehrten Forschungen nicht mehr im Stande sein werden. Ein gesunder Takt wird Berlin in dieser, wie überhaupt in po¬ litischen Angelegenheiten nicht abzuläugnen sein. Wenn ich das Wort politisch gebraucht habe, so setze ich voraus, daß man es in seiner weitesten, nicht in seiner strengsten Bedeutung nimmt, weil heut zu Tage Alles politisch ist, die >L>eehandlung, wie das Postporto, die Kirche wie das Theater, der Atheismus, wie der Pietismus. Dieser letztere ist hier sogar durch die Politik in Mode gekommen, so daß, was mich anbetrifft, ich nicht umhin kann, hinter jedem Pietisten einen großen Politiker zu vermuthen. Die Politiker haben von je durch irgend etwas an ihrem Wesen eine Sympathie an den Tag gelegt, die sie wie einen großen zusam¬ menhängenden Orden hat erscheinen lassen. Eine Zeitlang war es gang und gäbe, daß die Politiker als Freigeister, als Libertins auf¬ traten. Sie spielten Karten, verführten Weiber und dichteten schlü¬ pfrige Chansons. Den lieben Herrgott sahen sie wie einen guten Nachbar an, bei dem man zu Gaste geht; dem man die Hand drückt vor Augen und hinter dem Rücken ein Schnippchen schlägt. Es war die'Epoche Friedrich's des Großen und Voltaire's, die Epoche, in welcher Gott der Düpirte sein sollte. Nachher emancipir- ten sich die preußischen Politiker von diesem französischen Einflüsse, sie wurden echt deutsch, ritterlich und gottesfürchtig. Sie trugen schwarze Schnürröcke, Kanonenstiefel, Hemdkragen und langes Haar. Es war dies in der Zeit der sogenannten Freiheitskriege. Heut zu Tage sind sie pietistisch. Sie gehen mit dem Gesangbuch unter dem Arm und halten Betstunden. Sie werden fett und zeugen keine Kin¬ der. Der Wahlspruch, den ein Politikerin einem Jenen ern an n'sehen Lustspiele ausspricht, und der lautet: „Der Mensch muß mitunter die Wurst einer Pflicht nach der Speckseite eines Vortheils werfen, sonst Grcnzbvtc 845. I.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/339>, abgerufen am 22.07.2024.