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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nisse von mir mit Stillschweigen übergingen sieht, die von andern
Seiten her mit großen Acclamationen ausgenommen worden, ebenso
wenig, als es Jemand in Erstaunen versehen kann, wenn er gewahrt,
daß ich über Gegenstande schreibe, die von Andern wenig oder gar nicht
in Betracht gezogen sind.

Mir scheint, daß die Leser durch eine solche Art von Correspon-
denzen mehr gewinnen, als sie im Stande sind dabei zu verlieren.
Sie sehen eine originelle Anschauungsweise ihre Constructionen machen,
ihre Gedanken, Ideen, Reflexionen bilden, die, wenn sie auch dann
und wann einmal barock sein mögen, doch tausendmal besser sind, als
die Wiederholungen von Neuigkeiten, welche den Lesern durch die po¬
litischen Blatter schon viel früher und zur Genüge hinterbracht worden
sind. Diese Neuigkeiten können Einem schon dadurch zum Ekel wer¬
den, weil fast Jeder, der sie berichtet, die Gelegenheit wahrnimmt, alle
die abgenutzten Schlagwörter der Zeit, die er aufgegriffen und einge¬
sammelt hat, auf einmal wieder loszuwerden. Diese Helden der Ge¬
legenheit, die, wenn sie gegen eine politische Maus zu Felde ziehn,
die ganze Rüstkammer der liberalen Phraseologie zu plündern pflegen,
kommen mir wie der verstorbene berlinische Probst Zöllner mit seiner
Anekdote vom Schusse vor. Er konnte nur heiter sein, wenn er seine
Anekdote vom Schusse erzählt hatte. Er war so lange in Todesangst
in einer Gesellschaft, so lange er seine Anekdote nicht anzubringen ver¬
mochte. Er rückte unruhig aus seinem Stuhle; er schnupfte nicht;
der Schweiß stand ihm auf der Stirne; er konnte sich zuletzt nicht
anders helfen, als daß er mit der Schnupftabakdose verstohlener Weise
auf den Tisch schlug: Fiel da nicht ein Schuß? Apropos Schuß! Da
fallt mir ein u. s. w.

Die meisten Correspondenten machen es eben so. Es ist ihnen
nicht möglich, eher zur Sache zu kommen, als bis sie diese
eingesammelten abgegriffnen Redensarten, auf welche die herrschende
Gegenwart ihren Stempel gedrückt hat, haben loswerden können. Sie
befleißigen sich daher eines ähnlichen Kunstgriffes, wie Probst Zöllner;
verstohlener Weise schlagen sie mit ihren Gedanken an die Handlungs¬
weise eines Charakters und fragen: War das nicht Gesinnung ? Apro¬
pos Gesinnung. Da fällt mir ein u. s. w.

Es wäre sehr schön, wenn die Gesinnung als solche einen so
großen Werth, eine so wichtige Bedeutung für sie hatte, daß sie sie
deswegen fortwährend im Munde führten; aber sie ist ihnen im
Gegentheil Nichts, als der Anknüpfungspunkt für ihr Phrasenwcrk.
Wir würden uns täuschen, wenn wir Deutsche uns einbilden wollten,
die Gesinnung sei bei uns in eben dem Grade eine Nothwendigkeit
geworden, als sie uns ein Bedürfniß ist. In Deutschland stehen wir
erst an der Schwelle dieser Nothwendigkeit. Wir desavouiren noch
Niemanden, der keine Gesinnung annehmen will, sondern höchstens


nisse von mir mit Stillschweigen übergingen sieht, die von andern
Seiten her mit großen Acclamationen ausgenommen worden, ebenso
wenig, als es Jemand in Erstaunen versehen kann, wenn er gewahrt,
daß ich über Gegenstande schreibe, die von Andern wenig oder gar nicht
in Betracht gezogen sind.

Mir scheint, daß die Leser durch eine solche Art von Correspon-
denzen mehr gewinnen, als sie im Stande sind dabei zu verlieren.
Sie sehen eine originelle Anschauungsweise ihre Constructionen machen,
ihre Gedanken, Ideen, Reflexionen bilden, die, wenn sie auch dann
und wann einmal barock sein mögen, doch tausendmal besser sind, als
die Wiederholungen von Neuigkeiten, welche den Lesern durch die po¬
litischen Blatter schon viel früher und zur Genüge hinterbracht worden
sind. Diese Neuigkeiten können Einem schon dadurch zum Ekel wer¬
den, weil fast Jeder, der sie berichtet, die Gelegenheit wahrnimmt, alle
die abgenutzten Schlagwörter der Zeit, die er aufgegriffen und einge¬
sammelt hat, auf einmal wieder loszuwerden. Diese Helden der Ge¬
legenheit, die, wenn sie gegen eine politische Maus zu Felde ziehn,
die ganze Rüstkammer der liberalen Phraseologie zu plündern pflegen,
kommen mir wie der verstorbene berlinische Probst Zöllner mit seiner
Anekdote vom Schusse vor. Er konnte nur heiter sein, wenn er seine
Anekdote vom Schusse erzählt hatte. Er war so lange in Todesangst
in einer Gesellschaft, so lange er seine Anekdote nicht anzubringen ver¬
mochte. Er rückte unruhig aus seinem Stuhle; er schnupfte nicht;
der Schweiß stand ihm auf der Stirne; er konnte sich zuletzt nicht
anders helfen, als daß er mit der Schnupftabakdose verstohlener Weise
auf den Tisch schlug: Fiel da nicht ein Schuß? Apropos Schuß! Da
fallt mir ein u. s. w.

Die meisten Correspondenten machen es eben so. Es ist ihnen
nicht möglich, eher zur Sache zu kommen, als bis sie diese
eingesammelten abgegriffnen Redensarten, auf welche die herrschende
Gegenwart ihren Stempel gedrückt hat, haben loswerden können. Sie
befleißigen sich daher eines ähnlichen Kunstgriffes, wie Probst Zöllner;
verstohlener Weise schlagen sie mit ihren Gedanken an die Handlungs¬
weise eines Charakters und fragen: War das nicht Gesinnung ? Apro¬
pos Gesinnung. Da fällt mir ein u. s. w.

Es wäre sehr schön, wenn die Gesinnung als solche einen so
großen Werth, eine so wichtige Bedeutung für sie hatte, daß sie sie
deswegen fortwährend im Munde führten; aber sie ist ihnen im
Gegentheil Nichts, als der Anknüpfungspunkt für ihr Phrasenwcrk.
Wir würden uns täuschen, wenn wir Deutsche uns einbilden wollten,
die Gesinnung sei bei uns in eben dem Grade eine Nothwendigkeit
geworden, als sie uns ein Bedürfniß ist. In Deutschland stehen wir
erst an der Schwelle dieser Nothwendigkeit. Wir desavouiren noch
Niemanden, der keine Gesinnung annehmen will, sondern höchstens


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[0338] nisse von mir mit Stillschweigen übergingen sieht, die von andern Seiten her mit großen Acclamationen ausgenommen worden, ebenso wenig, als es Jemand in Erstaunen versehen kann, wenn er gewahrt, daß ich über Gegenstande schreibe, die von Andern wenig oder gar nicht in Betracht gezogen sind. Mir scheint, daß die Leser durch eine solche Art von Correspon- denzen mehr gewinnen, als sie im Stande sind dabei zu verlieren. Sie sehen eine originelle Anschauungsweise ihre Constructionen machen, ihre Gedanken, Ideen, Reflexionen bilden, die, wenn sie auch dann und wann einmal barock sein mögen, doch tausendmal besser sind, als die Wiederholungen von Neuigkeiten, welche den Lesern durch die po¬ litischen Blatter schon viel früher und zur Genüge hinterbracht worden sind. Diese Neuigkeiten können Einem schon dadurch zum Ekel wer¬ den, weil fast Jeder, der sie berichtet, die Gelegenheit wahrnimmt, alle die abgenutzten Schlagwörter der Zeit, die er aufgegriffen und einge¬ sammelt hat, auf einmal wieder loszuwerden. Diese Helden der Ge¬ legenheit, die, wenn sie gegen eine politische Maus zu Felde ziehn, die ganze Rüstkammer der liberalen Phraseologie zu plündern pflegen, kommen mir wie der verstorbene berlinische Probst Zöllner mit seiner Anekdote vom Schusse vor. Er konnte nur heiter sein, wenn er seine Anekdote vom Schusse erzählt hatte. Er war so lange in Todesangst in einer Gesellschaft, so lange er seine Anekdote nicht anzubringen ver¬ mochte. Er rückte unruhig aus seinem Stuhle; er schnupfte nicht; der Schweiß stand ihm auf der Stirne; er konnte sich zuletzt nicht anders helfen, als daß er mit der Schnupftabakdose verstohlener Weise auf den Tisch schlug: Fiel da nicht ein Schuß? Apropos Schuß! Da fallt mir ein u. s. w. Die meisten Correspondenten machen es eben so. Es ist ihnen nicht möglich, eher zur Sache zu kommen, als bis sie diese eingesammelten abgegriffnen Redensarten, auf welche die herrschende Gegenwart ihren Stempel gedrückt hat, haben loswerden können. Sie befleißigen sich daher eines ähnlichen Kunstgriffes, wie Probst Zöllner; verstohlener Weise schlagen sie mit ihren Gedanken an die Handlungs¬ weise eines Charakters und fragen: War das nicht Gesinnung ? Apro¬ pos Gesinnung. Da fällt mir ein u. s. w. Es wäre sehr schön, wenn die Gesinnung als solche einen so großen Werth, eine so wichtige Bedeutung für sie hatte, daß sie sie deswegen fortwährend im Munde führten; aber sie ist ihnen im Gegentheil Nichts, als der Anknüpfungspunkt für ihr Phrasenwcrk. Wir würden uns täuschen, wenn wir Deutsche uns einbilden wollten, die Gesinnung sei bei uns in eben dem Grade eine Nothwendigkeit geworden, als sie uns ein Bedürfniß ist. In Deutschland stehen wir erst an der Schwelle dieser Nothwendigkeit. Wir desavouiren noch Niemanden, der keine Gesinnung annehmen will, sondern höchstens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/338>, abgerufen am 22.07.2024.