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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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kommt er nicht durch diese Aenlichkeit" scheint die große Moral zu sein,
der die Politiker nachzuleben für gut erachten.'

Hiermit aber wollte ich nur die Politiker ox uft":i" bezeichnet
und charakterisier haben. Die Politiker des Volkes sind von allen
diesen Dingen stets entfernt gewesen, und sind es heut zu Tage auch
von dem Pietismus. Aber nicht davon allein, sondern noch von vie¬
len andern Sachen. So z. B. von der Sympathie für Rußland und
der Antipathie gegen Frankreich. Und darin, um auf einen früheren Aus¬
spruch zurückzukommen, zeigt Berlin besonders jenen Takt, von dem
ich weiter oben gesprochen habe. Nur die Regierung ist für Rußland,
das Volk ist dagegen. Schon das Interesse, mit welchem das Buch
von Cüstine über Nußland hier in Berlin aufgenommen wurde, ist
ein Beweis davon. Die täglichen Aeußerungen, wie man sie an öf¬
fentlichen Orten oder in Gesellschaften vernehmen kann, sind noch bei
weitem schlagendere Belege.

Für Frankreich aber gibt sich immer mehr und mehr eine Hin¬
neigung zu erkennen, die ihre tiefsten Wurzeln in dem Interesse aus¬
breitet und verzweigt, das wir gegenwärtig anfangen an den segens¬
reichen Entwicklungen der Industrie zu nehmen.

Es hat ordentlich etwas Rührendes, wenn man sieht, welche
Theilnahme man hier für die Verhandlungen der zusammengetretenen
Kammern in Paris zu finden vermag. Einestheils liegt darin die
Hinneigung für Frankreich deutlich genug an den Tag gebracht, ande¬
rerseits aber spricht sich darin auch lebhaft die Sehnsucht aus, die
man darnach empfindet, die preußische Nation in ähnlicher Art vertreten
und zu ihrem Wohle arbeiten zu sehen. Diese Sehnsucht manifestiren
jene Petitionen, die man für die diesjährigen Landtagsverhandlungen
einzureichen beflissen ist, in keinem verminderten Grade. Auch in Ber¬
lin werden solche vorbereitet, eine darunter für Preßfreiheit und ein
Preßgesetz.

Was die Berlinische Gesellschaft von Anfang dieses Jahres bis
EndeJanuars sonst noch bewegte und in Anspruch zu nehmen vermochte,
ist geringfügiger Art. Einmal ist es Jenny Lind, ein andermal
Wilhelm Kunst, endlich die Neuigkeit: daß der Balletmeister Tag-
lioni die Concession für ein großes Theater erhalten, welches in der
Jägerstraße erbaut und für die italienische Oper und das große Bal¬
let ausschließlich eingerichtet werden soll.

Außerdem hat es hier in der gelehrten Welt einiges Aufsehen
erregt, daß Ackermann, welcher beauftragt worden ist, die Werke
Friedrich's des Großen in französischer Sprache gesammelt her¬
auszugeben, dieselben in einer so fehlerhaften Weise hat drucken lassen,
daß wahrscheinlich ein Umdruck nöthig sein wird. Er, der Herausgeber,
hat sich eine eigne, funkelnagelneue Orthographie erfunden, die nicht giltig
betroffen wird, um so weniger, als neben dieser sich auch Irrthümer ein-


kommt er nicht durch diese Aenlichkeit" scheint die große Moral zu sein,
der die Politiker nachzuleben für gut erachten.'

Hiermit aber wollte ich nur die Politiker ox uft»:i« bezeichnet
und charakterisier haben. Die Politiker des Volkes sind von allen
diesen Dingen stets entfernt gewesen, und sind es heut zu Tage auch
von dem Pietismus. Aber nicht davon allein, sondern noch von vie¬
len andern Sachen. So z. B. von der Sympathie für Rußland und
der Antipathie gegen Frankreich. Und darin, um auf einen früheren Aus¬
spruch zurückzukommen, zeigt Berlin besonders jenen Takt, von dem
ich weiter oben gesprochen habe. Nur die Regierung ist für Rußland,
das Volk ist dagegen. Schon das Interesse, mit welchem das Buch
von Cüstine über Nußland hier in Berlin aufgenommen wurde, ist
ein Beweis davon. Die täglichen Aeußerungen, wie man sie an öf¬
fentlichen Orten oder in Gesellschaften vernehmen kann, sind noch bei
weitem schlagendere Belege.

Für Frankreich aber gibt sich immer mehr und mehr eine Hin¬
neigung zu erkennen, die ihre tiefsten Wurzeln in dem Interesse aus¬
breitet und verzweigt, das wir gegenwärtig anfangen an den segens¬
reichen Entwicklungen der Industrie zu nehmen.

Es hat ordentlich etwas Rührendes, wenn man sieht, welche
Theilnahme man hier für die Verhandlungen der zusammengetretenen
Kammern in Paris zu finden vermag. Einestheils liegt darin die
Hinneigung für Frankreich deutlich genug an den Tag gebracht, ande¬
rerseits aber spricht sich darin auch lebhaft die Sehnsucht aus, die
man darnach empfindet, die preußische Nation in ähnlicher Art vertreten
und zu ihrem Wohle arbeiten zu sehen. Diese Sehnsucht manifestiren
jene Petitionen, die man für die diesjährigen Landtagsverhandlungen
einzureichen beflissen ist, in keinem verminderten Grade. Auch in Ber¬
lin werden solche vorbereitet, eine darunter für Preßfreiheit und ein
Preßgesetz.

Was die Berlinische Gesellschaft von Anfang dieses Jahres bis
EndeJanuars sonst noch bewegte und in Anspruch zu nehmen vermochte,
ist geringfügiger Art. Einmal ist es Jenny Lind, ein andermal
Wilhelm Kunst, endlich die Neuigkeit: daß der Balletmeister Tag-
lioni die Concession für ein großes Theater erhalten, welches in der
Jägerstraße erbaut und für die italienische Oper und das große Bal¬
let ausschließlich eingerichtet werden soll.

Außerdem hat es hier in der gelehrten Welt einiges Aufsehen
erregt, daß Ackermann, welcher beauftragt worden ist, die Werke
Friedrich's des Großen in französischer Sprache gesammelt her¬
auszugeben, dieselben in einer so fehlerhaften Weise hat drucken lassen,
daß wahrscheinlich ein Umdruck nöthig sein wird. Er, der Herausgeber,
hat sich eine eigne, funkelnagelneue Orthographie erfunden, die nicht giltig
betroffen wird, um so weniger, als neben dieser sich auch Irrthümer ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/340>, abgerufen am 22.07.2024.