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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ständigen und zu vertragen wußten, um dieses einen Punktes willen
in erbitterter Stimmung und erklärter Feindschaft von einander schei¬
den ; denn daß unter allen Völkern die Deutschen das disputtrsüch-
tigste und rechthaberischste Volk sind, wird uns willig von allen übri¬
gen Nationen eingeräumt. Daher die vielen literarischen Zänkereien
und Klopffechtereien in Deutschland! Daher die Erscheinung, daß
sich Jeder als ein abgeschlossenes Heiligthum betrachtet, von dem
man den Schleier nicht wegziehen dürfe! Daher aber auch die Menge
versteckten und heimlich bohrenden Neides, die hinter dem Zaune lau-
ernde Chicane, die verleumdungSsüchtige Bosheit der Zunge, welche
im Geheimen schädlicher wirkt, als offen die Feder des Journalisten!
Wollte man sich doch darüber immer klarer machen, daß die Publi-
cität für die Wunden, die sie schlägt, auch die entsprechende Heilkraft
besitzt! daß, wer keinen billigen und anständig ausgesprochenen Tadel
verträgt, auch in keiner Weise gelobt zu werden verdient! daß man
nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und nicht jeder individu¬
ellen Ansicht, welche vielleicht nur dem Augenblick ihre Entstehung
verdankt und insofern unüberlegt erscheinen konnte, durch Entgegnun¬
gen eine unnöthige Wichtigkeit beilegen sollte! daß man endlich, wo
eine Entgegnung um der Sache selbst willen nöthig ist, wenigstens
jede Wendung vermeiden müsse, die auch nur den leisesten Schein
einer Denunciation, der politischen und bürgerlichen Verdächtigung zu¬
lassen könnte! Denn wer wollte für Entgegnungen, die eine wirkliche
Belehrung enthalten und zur Aufklärung über gewisse streitige An¬
gelegenheiten dienen, nicht dankbar sein?

Es ist nicht zu läugnen, daß frecher oder anmaßender Tadel die
Künstler häufig verletzt, oder daß Unwissenheit, die im Technischen
ein Wort mitzureden sich erkühnte, die Kritik überhaupt in ein lächer¬
liches Licht gesetzt haben mag; aber sie hat auch so manche richtige
und beherzigenswerthe Ansichten ausgesprochen, die man vielleicht nur
zu wenig beachtet und gewürdigt hat; sie hat wesentlich dazu beige¬
tragen, den Nuhm der Münchner Kunst und die Namen ihrer Re¬
präsentanten im gesammten deutschen Vaterlande wie über die civi-
lisirte Welt überhaupt auszubreiten; und in Ansehung und Anerken¬
nung dieser wichtigen Dienstleistungen, welche die Kritik verrichtet
hat, sollte man Anstand nehmen, die Wohlwollenden mit den Uebel-
wollenden zugleich in Anklagestand zu versetzen und nach einem und


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ständigen und zu vertragen wußten, um dieses einen Punktes willen
in erbitterter Stimmung und erklärter Feindschaft von einander schei¬
den ; denn daß unter allen Völkern die Deutschen das disputtrsüch-
tigste und rechthaberischste Volk sind, wird uns willig von allen übri¬
gen Nationen eingeräumt. Daher die vielen literarischen Zänkereien
und Klopffechtereien in Deutschland! Daher die Erscheinung, daß
sich Jeder als ein abgeschlossenes Heiligthum betrachtet, von dem
man den Schleier nicht wegziehen dürfe! Daher aber auch die Menge
versteckten und heimlich bohrenden Neides, die hinter dem Zaune lau-
ernde Chicane, die verleumdungSsüchtige Bosheit der Zunge, welche
im Geheimen schädlicher wirkt, als offen die Feder des Journalisten!
Wollte man sich doch darüber immer klarer machen, daß die Publi-
cität für die Wunden, die sie schlägt, auch die entsprechende Heilkraft
besitzt! daß, wer keinen billigen und anständig ausgesprochenen Tadel
verträgt, auch in keiner Weise gelobt zu werden verdient! daß man
nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und nicht jeder individu¬
ellen Ansicht, welche vielleicht nur dem Augenblick ihre Entstehung
verdankt und insofern unüberlegt erscheinen konnte, durch Entgegnun¬
gen eine unnöthige Wichtigkeit beilegen sollte! daß man endlich, wo
eine Entgegnung um der Sache selbst willen nöthig ist, wenigstens
jede Wendung vermeiden müsse, die auch nur den leisesten Schein
einer Denunciation, der politischen und bürgerlichen Verdächtigung zu¬
lassen könnte! Denn wer wollte für Entgegnungen, die eine wirkliche
Belehrung enthalten und zur Aufklärung über gewisse streitige An¬
gelegenheiten dienen, nicht dankbar sein?

Es ist nicht zu läugnen, daß frecher oder anmaßender Tadel die
Künstler häufig verletzt, oder daß Unwissenheit, die im Technischen
ein Wort mitzureden sich erkühnte, die Kritik überhaupt in ein lächer¬
liches Licht gesetzt haben mag; aber sie hat auch so manche richtige
und beherzigenswerthe Ansichten ausgesprochen, die man vielleicht nur
zu wenig beachtet und gewürdigt hat; sie hat wesentlich dazu beige¬
tragen, den Nuhm der Münchner Kunst und die Namen ihrer Re¬
präsentanten im gesammten deutschen Vaterlande wie über die civi-
lisirte Welt überhaupt auszubreiten; und in Ansehung und Anerken¬
nung dieser wichtigen Dienstleistungen, welche die Kritik verrichtet
hat, sollte man Anstand nehmen, die Wohlwollenden mit den Uebel-
wollenden zugleich in Anklagestand zu versetzen und nach einem und


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[0275] ständigen und zu vertragen wußten, um dieses einen Punktes willen in erbitterter Stimmung und erklärter Feindschaft von einander schei¬ den ; denn daß unter allen Völkern die Deutschen das disputtrsüch- tigste und rechthaberischste Volk sind, wird uns willig von allen übri¬ gen Nationen eingeräumt. Daher die vielen literarischen Zänkereien und Klopffechtereien in Deutschland! Daher die Erscheinung, daß sich Jeder als ein abgeschlossenes Heiligthum betrachtet, von dem man den Schleier nicht wegziehen dürfe! Daher aber auch die Menge versteckten und heimlich bohrenden Neides, die hinter dem Zaune lau- ernde Chicane, die verleumdungSsüchtige Bosheit der Zunge, welche im Geheimen schädlicher wirkt, als offen die Feder des Journalisten! Wollte man sich doch darüber immer klarer machen, daß die Publi- cität für die Wunden, die sie schlägt, auch die entsprechende Heilkraft besitzt! daß, wer keinen billigen und anständig ausgesprochenen Tadel verträgt, auch in keiner Weise gelobt zu werden verdient! daß man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen und nicht jeder individu¬ ellen Ansicht, welche vielleicht nur dem Augenblick ihre Entstehung verdankt und insofern unüberlegt erscheinen konnte, durch Entgegnun¬ gen eine unnöthige Wichtigkeit beilegen sollte! daß man endlich, wo eine Entgegnung um der Sache selbst willen nöthig ist, wenigstens jede Wendung vermeiden müsse, die auch nur den leisesten Schein einer Denunciation, der politischen und bürgerlichen Verdächtigung zu¬ lassen könnte! Denn wer wollte für Entgegnungen, die eine wirkliche Belehrung enthalten und zur Aufklärung über gewisse streitige An¬ gelegenheiten dienen, nicht dankbar sein? Es ist nicht zu läugnen, daß frecher oder anmaßender Tadel die Künstler häufig verletzt, oder daß Unwissenheit, die im Technischen ein Wort mitzureden sich erkühnte, die Kritik überhaupt in ein lächer¬ liches Licht gesetzt haben mag; aber sie hat auch so manche richtige und beherzigenswerthe Ansichten ausgesprochen, die man vielleicht nur zu wenig beachtet und gewürdigt hat; sie hat wesentlich dazu beige¬ tragen, den Nuhm der Münchner Kunst und die Namen ihrer Re¬ präsentanten im gesammten deutschen Vaterlande wie über die civi- lisirte Welt überhaupt auszubreiten; und in Ansehung und Anerken¬ nung dieser wichtigen Dienstleistungen, welche die Kritik verrichtet hat, sollte man Anstand nehmen, die Wohlwollenden mit den Uebel- wollenden zugleich in Anklagestand zu versetzen und nach einem und Grenzboten I «/,!>. >.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/275>, abgerufen am 25.08.2024.