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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ländcrnder Sklaverei und undeutscher Großrednerci, mit all unserm
Cliquei,-Prvvinzial- und LocaljournaliSmuö und mit all unserer all¬
gemeinen Besonderheit kommen wir für's erste nicht weiter, ehe wir
nicht natürlich und einfach und rein und ohne selbstischen Aufputz
aussprechen leinen, was Jeder in Wahrheit denkt und fühlt. Sind
wir nicht besser, als Andre uns darstelle", nun wohl! so haben wir
uns so lange geirrt; sind wir dagegen besser, nun wohl! so haben
sich die Andern geirrt. Der moderne Mensch hält aber gar zu
leicht sein Gesicht und seine Gestalt für schön und reizend, weil die
Schneider- und Haarkräuslercultur ihn zierlich herausgeputzt hat.
Dies sollten sich aber nicht allein die Individuen, als noch mehr ganze
Parteiungen und Richtungen in Politik, Literatur und Kunst gesagt
sein lassen.




N a es wo r t.

Mehrere Umstände haben mich veranlaßt, diese Abtheilung meiner
Skizzen einige Tage liegen zu lassen, um ihnen folgendes Nachwort
beizufügen. Die Empfindlichkeit gegen das gedruckte Urtheil, -- denn
das oft unendlich schroffere geheime Gerichtsverfahren des gesproche¬
nen ist in seinen unterirdischen Minen und überdeckten Gängen meist
unangreifbar -- hat hier bei Vielen einen seltenen Grad erreicht.
Man mag sich der hiesigen Kunst und ihrer Repräsentanten gegen
ihre Feinde und Neider noch so warm und uneigennützig annehmen,
so sieht sich doch jede individuelle Ansicht, welche nicht als unbeding¬
tes Lob auftritt, leicht Verdächtigungen und Berichtigungen ausgesetzt,
denen gegenüber der einfache Schriftsteller am besten thut, dem Recht
der Selbstvertheidigung zu entsagen und sich mit dem Bewußtsein zu
trösten, daß er es mit der Münchner Kunst ehrlich und gut gemeint
habe. Meine letzte Skizze wird daher wohl ungeschrieben bleiben,
nicht weil ich muthlos geworden bin, sondern weil ich für den sauern
Schweiß meiner Feder keinen offenbaren Undank einernten will.

Wenn -wei Deutsche zusammensetzen und über ein Hauptprinzip
und zwölf Nebcnpunkte vollkommen einverstanden und nur in einem
dreizehnten ganz unwesentlichen Nebenpunkte abweichender Meinung
sind, so geschieht es wohl, daß sie, die sich bis dahin so gut zu ver-


ländcrnder Sklaverei und undeutscher Großrednerci, mit all unserm
Cliquei,-Prvvinzial- und LocaljournaliSmuö und mit all unserer all¬
gemeinen Besonderheit kommen wir für's erste nicht weiter, ehe wir
nicht natürlich und einfach und rein und ohne selbstischen Aufputz
aussprechen leinen, was Jeder in Wahrheit denkt und fühlt. Sind
wir nicht besser, als Andre uns darstelle», nun wohl! so haben wir
uns so lange geirrt; sind wir dagegen besser, nun wohl! so haben
sich die Andern geirrt. Der moderne Mensch hält aber gar zu
leicht sein Gesicht und seine Gestalt für schön und reizend, weil die
Schneider- und Haarkräuslercultur ihn zierlich herausgeputzt hat.
Dies sollten sich aber nicht allein die Individuen, als noch mehr ganze
Parteiungen und Richtungen in Politik, Literatur und Kunst gesagt
sein lassen.




N a es wo r t.

Mehrere Umstände haben mich veranlaßt, diese Abtheilung meiner
Skizzen einige Tage liegen zu lassen, um ihnen folgendes Nachwort
beizufügen. Die Empfindlichkeit gegen das gedruckte Urtheil, — denn
das oft unendlich schroffere geheime Gerichtsverfahren des gesproche¬
nen ist in seinen unterirdischen Minen und überdeckten Gängen meist
unangreifbar — hat hier bei Vielen einen seltenen Grad erreicht.
Man mag sich der hiesigen Kunst und ihrer Repräsentanten gegen
ihre Feinde und Neider noch so warm und uneigennützig annehmen,
so sieht sich doch jede individuelle Ansicht, welche nicht als unbeding¬
tes Lob auftritt, leicht Verdächtigungen und Berichtigungen ausgesetzt,
denen gegenüber der einfache Schriftsteller am besten thut, dem Recht
der Selbstvertheidigung zu entsagen und sich mit dem Bewußtsein zu
trösten, daß er es mit der Münchner Kunst ehrlich und gut gemeint
habe. Meine letzte Skizze wird daher wohl ungeschrieben bleiben,
nicht weil ich muthlos geworden bin, sondern weil ich für den sauern
Schweiß meiner Feder keinen offenbaren Undank einernten will.

Wenn -wei Deutsche zusammensetzen und über ein Hauptprinzip
und zwölf Nebcnpunkte vollkommen einverstanden und nur in einem
dreizehnten ganz unwesentlichen Nebenpunkte abweichender Meinung
sind, so geschieht es wohl, daß sie, die sich bis dahin so gut zu ver-


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[0274] ländcrnder Sklaverei und undeutscher Großrednerci, mit all unserm Cliquei,-Prvvinzial- und LocaljournaliSmuö und mit all unserer all¬ gemeinen Besonderheit kommen wir für's erste nicht weiter, ehe wir nicht natürlich und einfach und rein und ohne selbstischen Aufputz aussprechen leinen, was Jeder in Wahrheit denkt und fühlt. Sind wir nicht besser, als Andre uns darstelle», nun wohl! so haben wir uns so lange geirrt; sind wir dagegen besser, nun wohl! so haben sich die Andern geirrt. Der moderne Mensch hält aber gar zu leicht sein Gesicht und seine Gestalt für schön und reizend, weil die Schneider- und Haarkräuslercultur ihn zierlich herausgeputzt hat. Dies sollten sich aber nicht allein die Individuen, als noch mehr ganze Parteiungen und Richtungen in Politik, Literatur und Kunst gesagt sein lassen. N a es wo r t. Mehrere Umstände haben mich veranlaßt, diese Abtheilung meiner Skizzen einige Tage liegen zu lassen, um ihnen folgendes Nachwort beizufügen. Die Empfindlichkeit gegen das gedruckte Urtheil, — denn das oft unendlich schroffere geheime Gerichtsverfahren des gesproche¬ nen ist in seinen unterirdischen Minen und überdeckten Gängen meist unangreifbar — hat hier bei Vielen einen seltenen Grad erreicht. Man mag sich der hiesigen Kunst und ihrer Repräsentanten gegen ihre Feinde und Neider noch so warm und uneigennützig annehmen, so sieht sich doch jede individuelle Ansicht, welche nicht als unbeding¬ tes Lob auftritt, leicht Verdächtigungen und Berichtigungen ausgesetzt, denen gegenüber der einfache Schriftsteller am besten thut, dem Recht der Selbstvertheidigung zu entsagen und sich mit dem Bewußtsein zu trösten, daß er es mit der Münchner Kunst ehrlich und gut gemeint habe. Meine letzte Skizze wird daher wohl ungeschrieben bleiben, nicht weil ich muthlos geworden bin, sondern weil ich für den sauern Schweiß meiner Feder keinen offenbaren Undank einernten will. Wenn -wei Deutsche zusammensetzen und über ein Hauptprinzip und zwölf Nebcnpunkte vollkommen einverstanden und nur in einem dreizehnten ganz unwesentlichen Nebenpunkte abweichender Meinung sind, so geschieht es wohl, daß sie, die sich bis dahin so gut zu ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/274>, abgerufen am 22.07.2024.