Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

demselben Rechtsparagraphen abzuurtheilen. Gerade der wohlwollende
Eifer weiß die einzelnen Worte nicht genau abzuwägen, während es
einen allgemeinen Münzfuß für den Styl Derjenigen gibt, die eben
gar keine Meinung haben und nur das genaue Echo ihrer Vvrspre-
cher im Souffleurloche sind.

Gewarnt durch mancherlei Beispiele, werde ich mich in meinen
ferneren kleinen Berichten nur mit den Schöpfungen solcher Künstler
befassen, von denen ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß sie die
Freiheit der Meinung, die wie Luft und Licht Gottesgabe ist und
Gemeingut sein sollte, und das Recht des öffentlichen Urtheils zu re-
spectiren wissen. Mochte man im Auge behalten, daß ein Schrift¬
steller, dem die ganze Welt mit ihren Erscheinungen hinlänglichen
Vorrath bietet, nicht nöthig hat noch gezwungen ist, auch die Kunst
zum Gegenstande seiner Betrachtung zu machen und daß, wenn er
dies thut, er der Kunst nur eine freiwillige Huldigung abstattet! Hat
man die Wohlwollenden zum Schweigen gebracht, so möge man es
sich selbst zuschreiben, wenn die Schadenfrohen Spottlieder anstimmen,
die Neidischen triumphiren und die Uebelwollenden allein das Feld
behalten! Solche Uebelstände, die aus einem fast künstlich erhaltenen,
zu einseitigen Jsolirungssystem hervorgehen, werden von Niemand
tiefer gefühlt und schmerzlicher beklagt, als von einsichtigen und ge--
bildeten Münchnern selbst, die theils einer ältern Generation ange¬
hören und den muntern Aufschwung der Münchner Kunst, wie die
lebendige literarische Periode, als hier Spindler, Dukter und viele
Andere novellistisch und journalistisch thätig waren, miterlebt haben,
theils als Zöglinge der Gegenwart mehr oder weniger von dem ganz
naturgemäßen Drange erfüllt sind, sich der etwas eng begrenzten Lo^
calsphäre zu entreißen und an dem weitschichtigen Allgemeinleben der
Zeit mitempfindend, andeutend und anstrebend inniger Theil zu
nehmen. Solche treffliche ältere und jüngere Männer werden gern
einen Theil ihrer windstillen Gemüthsruhe für das Bewußtsein auf¬
opfern, daß die Zeit von ihnen und sie von der Zeit einen mehr oder
weniger erheblichen Gewinn zogen.




demselben Rechtsparagraphen abzuurtheilen. Gerade der wohlwollende
Eifer weiß die einzelnen Worte nicht genau abzuwägen, während es
einen allgemeinen Münzfuß für den Styl Derjenigen gibt, die eben
gar keine Meinung haben und nur das genaue Echo ihrer Vvrspre-
cher im Souffleurloche sind.

Gewarnt durch mancherlei Beispiele, werde ich mich in meinen
ferneren kleinen Berichten nur mit den Schöpfungen solcher Künstler
befassen, von denen ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß sie die
Freiheit der Meinung, die wie Luft und Licht Gottesgabe ist und
Gemeingut sein sollte, und das Recht des öffentlichen Urtheils zu re-
spectiren wissen. Mochte man im Auge behalten, daß ein Schrift¬
steller, dem die ganze Welt mit ihren Erscheinungen hinlänglichen
Vorrath bietet, nicht nöthig hat noch gezwungen ist, auch die Kunst
zum Gegenstande seiner Betrachtung zu machen und daß, wenn er
dies thut, er der Kunst nur eine freiwillige Huldigung abstattet! Hat
man die Wohlwollenden zum Schweigen gebracht, so möge man es
sich selbst zuschreiben, wenn die Schadenfrohen Spottlieder anstimmen,
die Neidischen triumphiren und die Uebelwollenden allein das Feld
behalten! Solche Uebelstände, die aus einem fast künstlich erhaltenen,
zu einseitigen Jsolirungssystem hervorgehen, werden von Niemand
tiefer gefühlt und schmerzlicher beklagt, als von einsichtigen und ge--
bildeten Münchnern selbst, die theils einer ältern Generation ange¬
hören und den muntern Aufschwung der Münchner Kunst, wie die
lebendige literarische Periode, als hier Spindler, Dukter und viele
Andere novellistisch und journalistisch thätig waren, miterlebt haben,
theils als Zöglinge der Gegenwart mehr oder weniger von dem ganz
naturgemäßen Drange erfüllt sind, sich der etwas eng begrenzten Lo^
calsphäre zu entreißen und an dem weitschichtigen Allgemeinleben der
Zeit mitempfindend, andeutend und anstrebend inniger Theil zu
nehmen. Solche treffliche ältere und jüngere Männer werden gern
einen Theil ihrer windstillen Gemüthsruhe für das Bewußtsein auf¬
opfern, daß die Zeit von ihnen und sie von der Zeit einen mehr oder
weniger erheblichen Gewinn zogen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269693"/>
            <p xml:id="ID_788" prev="#ID_787"> demselben Rechtsparagraphen abzuurtheilen. Gerade der wohlwollende<lb/>
Eifer weiß die einzelnen Worte nicht genau abzuwägen, während es<lb/>
einen allgemeinen Münzfuß für den Styl Derjenigen gibt, die eben<lb/>
gar keine Meinung haben und nur das genaue Echo ihrer Vvrspre-<lb/>
cher im Souffleurloche sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_789"> Gewarnt durch mancherlei Beispiele, werde ich mich in meinen<lb/>
ferneren kleinen Berichten nur mit den Schöpfungen solcher Künstler<lb/>
befassen, von denen ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß sie die<lb/>
Freiheit der Meinung, die wie Luft und Licht Gottesgabe ist und<lb/>
Gemeingut sein sollte, und das Recht des öffentlichen Urtheils zu re-<lb/>
spectiren wissen. Mochte man im Auge behalten, daß ein Schrift¬<lb/>
steller, dem die ganze Welt mit ihren Erscheinungen hinlänglichen<lb/>
Vorrath bietet, nicht nöthig hat noch gezwungen ist, auch die Kunst<lb/>
zum Gegenstande seiner Betrachtung zu machen und daß, wenn er<lb/>
dies thut, er der Kunst nur eine freiwillige Huldigung abstattet! Hat<lb/>
man die Wohlwollenden zum Schweigen gebracht, so möge man es<lb/>
sich selbst zuschreiben, wenn die Schadenfrohen Spottlieder anstimmen,<lb/>
die Neidischen triumphiren und die Uebelwollenden allein das Feld<lb/>
behalten! Solche Uebelstände, die aus einem fast künstlich erhaltenen,<lb/>
zu einseitigen Jsolirungssystem hervorgehen, werden von Niemand<lb/>
tiefer gefühlt und schmerzlicher beklagt, als von einsichtigen und ge--<lb/>
bildeten Münchnern selbst, die theils einer ältern Generation ange¬<lb/>
hören und den muntern Aufschwung der Münchner Kunst, wie die<lb/>
lebendige literarische Periode, als hier Spindler, Dukter und viele<lb/>
Andere novellistisch und journalistisch thätig waren, miterlebt haben,<lb/>
theils als Zöglinge der Gegenwart mehr oder weniger von dem ganz<lb/>
naturgemäßen Drange erfüllt sind, sich der etwas eng begrenzten Lo^<lb/>
calsphäre zu entreißen und an dem weitschichtigen Allgemeinleben der<lb/>
Zeit mitempfindend, andeutend und anstrebend inniger Theil zu<lb/>
nehmen. Solche treffliche ältere und jüngere Männer werden gern<lb/>
einen Theil ihrer windstillen Gemüthsruhe für das Bewußtsein auf¬<lb/>
opfern, daß die Zeit von ihnen und sie von der Zeit einen mehr oder<lb/>
weniger erheblichen Gewinn zogen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] demselben Rechtsparagraphen abzuurtheilen. Gerade der wohlwollende Eifer weiß die einzelnen Worte nicht genau abzuwägen, während es einen allgemeinen Münzfuß für den Styl Derjenigen gibt, die eben gar keine Meinung haben und nur das genaue Echo ihrer Vvrspre- cher im Souffleurloche sind. Gewarnt durch mancherlei Beispiele, werde ich mich in meinen ferneren kleinen Berichten nur mit den Schöpfungen solcher Künstler befassen, von denen ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß sie die Freiheit der Meinung, die wie Luft und Licht Gottesgabe ist und Gemeingut sein sollte, und das Recht des öffentlichen Urtheils zu re- spectiren wissen. Mochte man im Auge behalten, daß ein Schrift¬ steller, dem die ganze Welt mit ihren Erscheinungen hinlänglichen Vorrath bietet, nicht nöthig hat noch gezwungen ist, auch die Kunst zum Gegenstande seiner Betrachtung zu machen und daß, wenn er dies thut, er der Kunst nur eine freiwillige Huldigung abstattet! Hat man die Wohlwollenden zum Schweigen gebracht, so möge man es sich selbst zuschreiben, wenn die Schadenfrohen Spottlieder anstimmen, die Neidischen triumphiren und die Uebelwollenden allein das Feld behalten! Solche Uebelstände, die aus einem fast künstlich erhaltenen, zu einseitigen Jsolirungssystem hervorgehen, werden von Niemand tiefer gefühlt und schmerzlicher beklagt, als von einsichtigen und ge-- bildeten Münchnern selbst, die theils einer ältern Generation ange¬ hören und den muntern Aufschwung der Münchner Kunst, wie die lebendige literarische Periode, als hier Spindler, Dukter und viele Andere novellistisch und journalistisch thätig waren, miterlebt haben, theils als Zöglinge der Gegenwart mehr oder weniger von dem ganz naturgemäßen Drange erfüllt sind, sich der etwas eng begrenzten Lo^ calsphäre zu entreißen und an dem weitschichtigen Allgemeinleben der Zeit mitempfindend, andeutend und anstrebend inniger Theil zu nehmen. Solche treffliche ältere und jüngere Männer werden gern einen Theil ihrer windstillen Gemüthsruhe für das Bewußtsein auf¬ opfern, daß die Zeit von ihnen und sie von der Zeit einen mehr oder weniger erheblichen Gewinn zogen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/276>, abgerufen am 22.07.2024.