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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Kaiser hat keine Macht, die Kirche kein Ansehen, und diese ganze
deutsche Welt hebt sich aus ihren Fugen.

Es ist in diesem Sommer des barbarischen Nordens so heiß,
daß das Vieh auf der Landstraße zu verschmachten Gefahr läuft
Die Saaten stehen welk; der braune Appenin Italiens kann nicht
dürrer sein. Es sind dies die Tage der Hundswuth, wie man hier
sagt. Und die Menschen scheinen dabei eben so leicht in Raserei zu
gerathen. -- Die Schwüle ward so drückend, daß wir ein Obdach
suchten. Es war in der Schenke eines katholischen Dorfes, das zu
dem sonst protestantischen Gebiet eines Reichsgrafen Walther Friedrich
von gehört, der seinen Sitz hier in der Nähe hat. Das Ge¬
witter, das schon seit mehreren Tagen am Himmel stand, drohte end¬
lich auszubrechen. Es war Sonntags, das Dorf war menschenleer,
und ein Kind, das einzig lebende Wesen im Wrthshausc, rieth uns,
in die Kirche zu gehen, wo alle Well sich hingeflüchtet, um durch
Gebet den Zorn Gottes abzuwenden. Es war thöricht genug, daß
die Menschenmenge sich dort zusammendrängte, wo der Zorn des Him¬
mels sie am ersten erreichen konnte. Aber ländlich, sittlich; wir gin-
gen hin und hörten den Pfarrer reden. Er schilderte, was alle Welt
schon wußte, die allgemeine Noth im Lande, aber er verstieg sich, um
den Leuten die Hölle heiß zu machen, bis zur Viehseuche und Hun¬
gersnoth. Der Pfarrer sah darin die Strafe des Himmels um ihrer
Sünden willen, verkündigte die Ankunft des jüngsten Tages, sprach
von den ägyptischen Plagen, von der Noth der Kinder Israels in
der Wüste und deutete mit ziemlich dürren Worten aus den neuen
Nebukadnezar hin, der gegen Kirche und Reich zu Felde ziehe und
mit seinem gotteslästerlichen Heidenthum den Zorn des Höchsten über
die römisch-deutschen Lande bringe. Wir standen in der Vorhalle
unter einem Trupp von Schnurrbärten, die bei diesen Worten eine
unruhige Bewegung machten. Es waren preußische Werber, die in
Bauernkitteln in der Umgegend ihr Gewerbe treiben. "Ein hübscher
Feldprediger für uns!" flüsterte ein Schwarzbart dem andern zu.
,/O, ich kenne Euch wohl", rief der Pfarrer mit drohender Stimme
herunter, "die Ihr es wagt, Euer räuberisches Handwerk seit'se hier
an heiliger Stätte auszuüben. Ihr Seelenfänger, Ihr Knechte des
Vaals, geht Acht: auf Euch wird sich der gerechte Zorn Gottes wäl¬
zen!" Mit ausgestrecktem Arme hing der Mann Gottes da oben im


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Kaiser hat keine Macht, die Kirche kein Ansehen, und diese ganze
deutsche Welt hebt sich aus ihren Fugen.

Es ist in diesem Sommer des barbarischen Nordens so heiß,
daß das Vieh auf der Landstraße zu verschmachten Gefahr läuft
Die Saaten stehen welk; der braune Appenin Italiens kann nicht
dürrer sein. Es sind dies die Tage der Hundswuth, wie man hier
sagt. Und die Menschen scheinen dabei eben so leicht in Raserei zu
gerathen. — Die Schwüle ward so drückend, daß wir ein Obdach
suchten. Es war in der Schenke eines katholischen Dorfes, das zu
dem sonst protestantischen Gebiet eines Reichsgrafen Walther Friedrich
von gehört, der seinen Sitz hier in der Nähe hat. Das Ge¬
witter, das schon seit mehreren Tagen am Himmel stand, drohte end¬
lich auszubrechen. Es war Sonntags, das Dorf war menschenleer,
und ein Kind, das einzig lebende Wesen im Wrthshausc, rieth uns,
in die Kirche zu gehen, wo alle Well sich hingeflüchtet, um durch
Gebet den Zorn Gottes abzuwenden. Es war thöricht genug, daß
die Menschenmenge sich dort zusammendrängte, wo der Zorn des Him¬
mels sie am ersten erreichen konnte. Aber ländlich, sittlich; wir gin-
gen hin und hörten den Pfarrer reden. Er schilderte, was alle Welt
schon wußte, die allgemeine Noth im Lande, aber er verstieg sich, um
den Leuten die Hölle heiß zu machen, bis zur Viehseuche und Hun¬
gersnoth. Der Pfarrer sah darin die Strafe des Himmels um ihrer
Sünden willen, verkündigte die Ankunft des jüngsten Tages, sprach
von den ägyptischen Plagen, von der Noth der Kinder Israels in
der Wüste und deutete mit ziemlich dürren Worten aus den neuen
Nebukadnezar hin, der gegen Kirche und Reich zu Felde ziehe und
mit seinem gotteslästerlichen Heidenthum den Zorn des Höchsten über
die römisch-deutschen Lande bringe. Wir standen in der Vorhalle
unter einem Trupp von Schnurrbärten, die bei diesen Worten eine
unruhige Bewegung machten. Es waren preußische Werber, die in
Bauernkitteln in der Umgegend ihr Gewerbe treiben. „Ein hübscher
Feldprediger für uns!" flüsterte ein Schwarzbart dem andern zu.
,/O, ich kenne Euch wohl", rief der Pfarrer mit drohender Stimme
herunter, „die Ihr es wagt, Euer räuberisches Handwerk seit'se hier
an heiliger Stätte auszuüben. Ihr Seelenfänger, Ihr Knechte des
Vaals, geht Acht: auf Euch wird sich der gerechte Zorn Gottes wäl¬
zen!" Mit ausgestrecktem Arme hing der Mann Gottes da oben im


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[0261] Kaiser hat keine Macht, die Kirche kein Ansehen, und diese ganze deutsche Welt hebt sich aus ihren Fugen. Es ist in diesem Sommer des barbarischen Nordens so heiß, daß das Vieh auf der Landstraße zu verschmachten Gefahr läuft Die Saaten stehen welk; der braune Appenin Italiens kann nicht dürrer sein. Es sind dies die Tage der Hundswuth, wie man hier sagt. Und die Menschen scheinen dabei eben so leicht in Raserei zu gerathen. — Die Schwüle ward so drückend, daß wir ein Obdach suchten. Es war in der Schenke eines katholischen Dorfes, das zu dem sonst protestantischen Gebiet eines Reichsgrafen Walther Friedrich von gehört, der seinen Sitz hier in der Nähe hat. Das Ge¬ witter, das schon seit mehreren Tagen am Himmel stand, drohte end¬ lich auszubrechen. Es war Sonntags, das Dorf war menschenleer, und ein Kind, das einzig lebende Wesen im Wrthshausc, rieth uns, in die Kirche zu gehen, wo alle Well sich hingeflüchtet, um durch Gebet den Zorn Gottes abzuwenden. Es war thöricht genug, daß die Menschenmenge sich dort zusammendrängte, wo der Zorn des Him¬ mels sie am ersten erreichen konnte. Aber ländlich, sittlich; wir gin- gen hin und hörten den Pfarrer reden. Er schilderte, was alle Welt schon wußte, die allgemeine Noth im Lande, aber er verstieg sich, um den Leuten die Hölle heiß zu machen, bis zur Viehseuche und Hun¬ gersnoth. Der Pfarrer sah darin die Strafe des Himmels um ihrer Sünden willen, verkündigte die Ankunft des jüngsten Tages, sprach von den ägyptischen Plagen, von der Noth der Kinder Israels in der Wüste und deutete mit ziemlich dürren Worten aus den neuen Nebukadnezar hin, der gegen Kirche und Reich zu Felde ziehe und mit seinem gotteslästerlichen Heidenthum den Zorn des Höchsten über die römisch-deutschen Lande bringe. Wir standen in der Vorhalle unter einem Trupp von Schnurrbärten, die bei diesen Worten eine unruhige Bewegung machten. Es waren preußische Werber, die in Bauernkitteln in der Umgegend ihr Gewerbe treiben. „Ein hübscher Feldprediger für uns!" flüsterte ein Schwarzbart dem andern zu. ,/O, ich kenne Euch wohl", rief der Pfarrer mit drohender Stimme herunter, „die Ihr es wagt, Euer räuberisches Handwerk seit'se hier an heiliger Stätte auszuüben. Ihr Seelenfänger, Ihr Knechte des Vaals, geht Acht: auf Euch wird sich der gerechte Zorn Gottes wäl¬ zen!" Mit ausgestrecktem Arme hing der Mann Gottes da oben im 33»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/261>, abgerufen am 22.07.2024.