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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Bildern darstellen, welche in dem prächtigen Victoriensaal zu Schlei߬
heim aufgestellt wurden. Den Heldentod der oberländer Bauern,
welche sich für ihn bei München und Sendling I7V5 opferten, un¬
terließ er freilich zu verewigen, und erst einem Privatmanne, dem
Maler Lindenschmitt, war es in neuerer Zeit vorbehalten, in einem
schönen Freskobilve, welches die Kirche zu Obcrsendling schmückt, diese
tragische Scene dem Gedächtniß einer spätern Generation vorzuführen.
Jene Bauern waren allerdings keine regelmäßigen Soldaten, noch zu
ihrem patriotischen Aufstände autorisire; auch das Glück war nicht
mit ihnen -- lauter Umstände, welche den Werth ihrer Thaten in
der Erinnerung des Volks nicht schwächen konnten, aber um so mehr
eine offizielle Anerkennung hinderten. Bekanntlich hat die Politik
kein so warmes Blut, als dasjenige ist, welches in den Adern eines
großmüthigen, edelherzigen, aller Opfer fähigen Volkes pulsirt. So
zweifelhaft übrigens der Kunstwerth der auf Marimilianö und Maxi¬
milian Emanuels Geheiß ausgeführten geschichtlichen Gemälde auch
erscheinen mag, so beruhen sie doch auf dem richtigen Prinzip, wel¬
ches der neueren Kunst vorzugsweise zu Grunde liegen sollte: daß
die Kunst den Beruf habe, eine Vertreterin der Volks- und Lan¬
desgeschichte zu sein; denn die Geschichte ist in ihren einmal vollen¬
deten Thatsachen das allein Ewige, Unerschütterliche, Unwandelbare,
Unläugbare und Unwiderlegbare, während alles Uebrige, vom Men-
schengeist Erzeugte, mehr oder weniger auf schwankenden Ansichten
beruht und ehe man sich'ö versieht, um den Glauben und das Ver¬
ständniß gekommen ist, welche erforderlich sind, um einem Kunstwerk
einen lebendig fortwirkenden Eindruck für die Dauer zu sichern. ^)
Die Engländer, Franzosen und Belgier malen, dichten und denken



Hierher rechne ich auch allerdings Scenen von so ergreifender histori¬
scher Wahrheit, wie die "Schlesischen Weber" von Hühner in Düsseldorf.
Nach dieser Seite hin liegt ja das eigentliche historische Element, der tragische
Inhalt unsrer Zeit. Dichter und Maler sind vorzugsweise berufen, diese tra¬
gische Nachtseite moderner Existenzen zur Darstellung zu bringen. Freilich
gab es leider Berichterstatter in Deutschland, -- und gewiß "ur in Deutsch¬
land -- denen zufolge die Fabnkhe-rren die Liebe und Barmherzigkeit selbst
und wahre Märtyrer für die gute Sache der Weber waren. Wenn man die¬
sen dienstthuenden Berichterstattern glauben wollte, so fand man sogar bei den
armen Webern Kisten und Kasten voll, d. h. (wahrscheinlicher oder vermuthli¬
cher Weise) voll Lumpen. Welche allgemeinschädliche Versündigungen gegen
die Wahrheit hat sich nicht schon die deutsche Dienstbeflissenhcit zu Schulden
kommen lassen!

Bildern darstellen, welche in dem prächtigen Victoriensaal zu Schlei߬
heim aufgestellt wurden. Den Heldentod der oberländer Bauern,
welche sich für ihn bei München und Sendling I7V5 opferten, un¬
terließ er freilich zu verewigen, und erst einem Privatmanne, dem
Maler Lindenschmitt, war es in neuerer Zeit vorbehalten, in einem
schönen Freskobilve, welches die Kirche zu Obcrsendling schmückt, diese
tragische Scene dem Gedächtniß einer spätern Generation vorzuführen.
Jene Bauern waren allerdings keine regelmäßigen Soldaten, noch zu
ihrem patriotischen Aufstände autorisire; auch das Glück war nicht
mit ihnen — lauter Umstände, welche den Werth ihrer Thaten in
der Erinnerung des Volks nicht schwächen konnten, aber um so mehr
eine offizielle Anerkennung hinderten. Bekanntlich hat die Politik
kein so warmes Blut, als dasjenige ist, welches in den Adern eines
großmüthigen, edelherzigen, aller Opfer fähigen Volkes pulsirt. So
zweifelhaft übrigens der Kunstwerth der auf Marimilianö und Maxi¬
milian Emanuels Geheiß ausgeführten geschichtlichen Gemälde auch
erscheinen mag, so beruhen sie doch auf dem richtigen Prinzip, wel¬
ches der neueren Kunst vorzugsweise zu Grunde liegen sollte: daß
die Kunst den Beruf habe, eine Vertreterin der Volks- und Lan¬
desgeschichte zu sein; denn die Geschichte ist in ihren einmal vollen¬
deten Thatsachen das allein Ewige, Unerschütterliche, Unwandelbare,
Unläugbare und Unwiderlegbare, während alles Uebrige, vom Men-
schengeist Erzeugte, mehr oder weniger auf schwankenden Ansichten
beruht und ehe man sich'ö versieht, um den Glauben und das Ver¬
ständniß gekommen ist, welche erforderlich sind, um einem Kunstwerk
einen lebendig fortwirkenden Eindruck für die Dauer zu sichern. ^)
Die Engländer, Franzosen und Belgier malen, dichten und denken



Hierher rechne ich auch allerdings Scenen von so ergreifender histori¬
scher Wahrheit, wie die „Schlesischen Weber" von Hühner in Düsseldorf.
Nach dieser Seite hin liegt ja das eigentliche historische Element, der tragische
Inhalt unsrer Zeit. Dichter und Maler sind vorzugsweise berufen, diese tra¬
gische Nachtseite moderner Existenzen zur Darstellung zu bringen. Freilich
gab es leider Berichterstatter in Deutschland, — und gewiß »ur in Deutsch¬
land — denen zufolge die Fabnkhe-rren die Liebe und Barmherzigkeit selbst
und wahre Märtyrer für die gute Sache der Weber waren. Wenn man die¬
sen dienstthuenden Berichterstattern glauben wollte, so fand man sogar bei den
armen Webern Kisten und Kasten voll, d. h. (wahrscheinlicher oder vermuthli¬
cher Weise) voll Lumpen. Welche allgemeinschädliche Versündigungen gegen
die Wahrheit hat sich nicht schon die deutsche Dienstbeflissenhcit zu Schulden
kommen lassen!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/217>, abgerufen am 29.06.2024.