Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

nach in Pyramidalische Spitzen verjüngen sollten, hat man schwere
und unschöne, doch für das Ganze charakteristische achtseitige Kup¬
peln oder vielmehr Kappen gedrückt, wie um ihr weiteres Aufstreben
gewaltsam zu hemmen. Doch sind es gerade diese hohen Thürme,
durch welche das sonst an imposanten Hochbauten nicht eben reiche
München schon in der Ferne eine charakteristische Physiognomie er¬
hält. Fernau-Darcnberger spricht in seinem "Münchner Hundert und
Eins" mit Begeisterung von diesen Thürmen, bei deren Anblick, wie
er sagt, dem Münchner, wenn er nach weiter Wanderschaft zurückkehrt,
doppelt freudig das Herz klopft. Es gibt gewisse nicht grade schone, aber
interessante Physiognomien, die bei besonderer Beleuchtung und Stel¬
lung einen Ausdruck erhöhterem Lebens gewinnen. Aehnlich verhält
es sich mit diesem ehrwürdigen, finsteren Münchner Dom, der sich in
der Dämmerung wie ein gespenstischer Niese mit allen Gliedern mäch¬
tig emporzurccken scheint, während die Thürme bei schönen Sonnen¬
untergängen, wo sie gewöhnlich in einen malerischen blauen Duft
getaucht sind, oder im Vollmondschein, ihre schwere Masse von sich
streifen und kühn und leicht in die Luft emporsteigen. An diese Notre-
dame von München knüpfen sich auch eine Menge historischer Ueber¬
lieferungen und Volkssagen. So befindet sich unter dem zweihundert
Spielleute fassenden Musikchor ein mit einem Fußtritt bezeichneter
Stein. Wenn man sich auf denselben stellt, so erblickt man keins
der von den Säulen und Strebepfeilern verdeckten dreißig Fenster.
Die Sage erzählt nun, daß Satanas, argen und neidischen Sinnes
voll, in die neuerbaute Kirche getreten sei und erfreut über den nach
seiner Meinung fensterlosen und daher mißrathenen Bau in diesem
Stein seine Fußtapfen zurückgelassen habe. Im Schmerz unglücklicher
Liebe stürzte sich auch 1785 von dem einen Fenster der Thürmers-
wohnung das schöne siebzehnjährige Fräulein Fanny von I. herab, deren
Bildniß noch oben zu sehen ist. Dieses Ereigniß hat meines Erinnerns
F. Jacobs in seinem ehemals vielgelesenen Buche: "Nosaliens Nach¬
laß" einer novellistischen Episode zum Grunde gelegt.

Als eine Curiosität ist zu erwähnen, daß die damaligen Maler
und Bildhauer in München mit den Glasern und Scidenstickern den
Rang unmittelbar nach den Webern und vor den Stuhlschreibern,
Procuratorem und anderen der Feder zugethaner Herren hatten.
Jeder Künstler mußte so gut wie der Handwerker sein Meisterstück


nach in Pyramidalische Spitzen verjüngen sollten, hat man schwere
und unschöne, doch für das Ganze charakteristische achtseitige Kup¬
peln oder vielmehr Kappen gedrückt, wie um ihr weiteres Aufstreben
gewaltsam zu hemmen. Doch sind es gerade diese hohen Thürme,
durch welche das sonst an imposanten Hochbauten nicht eben reiche
München schon in der Ferne eine charakteristische Physiognomie er¬
hält. Fernau-Darcnberger spricht in seinem „Münchner Hundert und
Eins" mit Begeisterung von diesen Thürmen, bei deren Anblick, wie
er sagt, dem Münchner, wenn er nach weiter Wanderschaft zurückkehrt,
doppelt freudig das Herz klopft. Es gibt gewisse nicht grade schone, aber
interessante Physiognomien, die bei besonderer Beleuchtung und Stel¬
lung einen Ausdruck erhöhterem Lebens gewinnen. Aehnlich verhält
es sich mit diesem ehrwürdigen, finsteren Münchner Dom, der sich in
der Dämmerung wie ein gespenstischer Niese mit allen Gliedern mäch¬
tig emporzurccken scheint, während die Thürme bei schönen Sonnen¬
untergängen, wo sie gewöhnlich in einen malerischen blauen Duft
getaucht sind, oder im Vollmondschein, ihre schwere Masse von sich
streifen und kühn und leicht in die Luft emporsteigen. An diese Notre-
dame von München knüpfen sich auch eine Menge historischer Ueber¬
lieferungen und Volkssagen. So befindet sich unter dem zweihundert
Spielleute fassenden Musikchor ein mit einem Fußtritt bezeichneter
Stein. Wenn man sich auf denselben stellt, so erblickt man keins
der von den Säulen und Strebepfeilern verdeckten dreißig Fenster.
Die Sage erzählt nun, daß Satanas, argen und neidischen Sinnes
voll, in die neuerbaute Kirche getreten sei und erfreut über den nach
seiner Meinung fensterlosen und daher mißrathenen Bau in diesem
Stein seine Fußtapfen zurückgelassen habe. Im Schmerz unglücklicher
Liebe stürzte sich auch 1785 von dem einen Fenster der Thürmers-
wohnung das schöne siebzehnjährige Fräulein Fanny von I. herab, deren
Bildniß noch oben zu sehen ist. Dieses Ereigniß hat meines Erinnerns
F. Jacobs in seinem ehemals vielgelesenen Buche: „Nosaliens Nach¬
laß" einer novellistischen Episode zum Grunde gelegt.

Als eine Curiosität ist zu erwähnen, daß die damaligen Maler
und Bildhauer in München mit den Glasern und Scidenstickern den
Rang unmittelbar nach den Webern und vor den Stuhlschreibern,
Procuratorem und anderen der Feder zugethaner Herren hatten.
Jeder Künstler mußte so gut wie der Handwerker sein Meisterstück


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269626"/>
            <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548"> nach in Pyramidalische Spitzen verjüngen sollten, hat man schwere<lb/>
und unschöne, doch für das Ganze charakteristische achtseitige Kup¬<lb/>
peln oder vielmehr Kappen gedrückt, wie um ihr weiteres Aufstreben<lb/>
gewaltsam zu hemmen. Doch sind es gerade diese hohen Thürme,<lb/>
durch welche das sonst an imposanten Hochbauten nicht eben reiche<lb/>
München schon in der Ferne eine charakteristische Physiognomie er¬<lb/>
hält. Fernau-Darcnberger spricht in seinem &#x201E;Münchner Hundert und<lb/>
Eins" mit Begeisterung von diesen Thürmen, bei deren Anblick, wie<lb/>
er sagt, dem Münchner, wenn er nach weiter Wanderschaft zurückkehrt,<lb/>
doppelt freudig das Herz klopft. Es gibt gewisse nicht grade schone, aber<lb/>
interessante Physiognomien, die bei besonderer Beleuchtung und Stel¬<lb/>
lung einen Ausdruck erhöhterem Lebens gewinnen. Aehnlich verhält<lb/>
es sich mit diesem ehrwürdigen, finsteren Münchner Dom, der sich in<lb/>
der Dämmerung wie ein gespenstischer Niese mit allen Gliedern mäch¬<lb/>
tig emporzurccken scheint, während die Thürme bei schönen Sonnen¬<lb/>
untergängen, wo sie gewöhnlich in einen malerischen blauen Duft<lb/>
getaucht sind, oder im Vollmondschein, ihre schwere Masse von sich<lb/>
streifen und kühn und leicht in die Luft emporsteigen. An diese Notre-<lb/>
dame von München knüpfen sich auch eine Menge historischer Ueber¬<lb/>
lieferungen und Volkssagen. So befindet sich unter dem zweihundert<lb/>
Spielleute fassenden Musikchor ein mit einem Fußtritt bezeichneter<lb/>
Stein. Wenn man sich auf denselben stellt, so erblickt man keins<lb/>
der von den Säulen und Strebepfeilern verdeckten dreißig Fenster.<lb/>
Die Sage erzählt nun, daß Satanas, argen und neidischen Sinnes<lb/>
voll, in die neuerbaute Kirche getreten sei und erfreut über den nach<lb/>
seiner Meinung fensterlosen und daher mißrathenen Bau in diesem<lb/>
Stein seine Fußtapfen zurückgelassen habe. Im Schmerz unglücklicher<lb/>
Liebe stürzte sich auch 1785 von dem einen Fenster der Thürmers-<lb/>
wohnung das schöne siebzehnjährige Fräulein Fanny von I. herab, deren<lb/>
Bildniß noch oben zu sehen ist. Dieses Ereigniß hat meines Erinnerns<lb/>
F. Jacobs in seinem ehemals vielgelesenen Buche: &#x201E;Nosaliens Nach¬<lb/>
laß" einer novellistischen Episode zum Grunde gelegt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_550" next="#ID_551"> Als eine Curiosität ist zu erwähnen, daß die damaligen Maler<lb/>
und Bildhauer in München mit den Glasern und Scidenstickern den<lb/>
Rang unmittelbar nach den Webern und vor den Stuhlschreibern,<lb/>
Procuratorem und anderen der Feder zugethaner Herren hatten.<lb/>
Jeder Künstler mußte so gut wie der Handwerker sein Meisterstück</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] nach in Pyramidalische Spitzen verjüngen sollten, hat man schwere und unschöne, doch für das Ganze charakteristische achtseitige Kup¬ peln oder vielmehr Kappen gedrückt, wie um ihr weiteres Aufstreben gewaltsam zu hemmen. Doch sind es gerade diese hohen Thürme, durch welche das sonst an imposanten Hochbauten nicht eben reiche München schon in der Ferne eine charakteristische Physiognomie er¬ hält. Fernau-Darcnberger spricht in seinem „Münchner Hundert und Eins" mit Begeisterung von diesen Thürmen, bei deren Anblick, wie er sagt, dem Münchner, wenn er nach weiter Wanderschaft zurückkehrt, doppelt freudig das Herz klopft. Es gibt gewisse nicht grade schone, aber interessante Physiognomien, die bei besonderer Beleuchtung und Stel¬ lung einen Ausdruck erhöhterem Lebens gewinnen. Aehnlich verhält es sich mit diesem ehrwürdigen, finsteren Münchner Dom, der sich in der Dämmerung wie ein gespenstischer Niese mit allen Gliedern mäch¬ tig emporzurccken scheint, während die Thürme bei schönen Sonnen¬ untergängen, wo sie gewöhnlich in einen malerischen blauen Duft getaucht sind, oder im Vollmondschein, ihre schwere Masse von sich streifen und kühn und leicht in die Luft emporsteigen. An diese Notre- dame von München knüpfen sich auch eine Menge historischer Ueber¬ lieferungen und Volkssagen. So befindet sich unter dem zweihundert Spielleute fassenden Musikchor ein mit einem Fußtritt bezeichneter Stein. Wenn man sich auf denselben stellt, so erblickt man keins der von den Säulen und Strebepfeilern verdeckten dreißig Fenster. Die Sage erzählt nun, daß Satanas, argen und neidischen Sinnes voll, in die neuerbaute Kirche getreten sei und erfreut über den nach seiner Meinung fensterlosen und daher mißrathenen Bau in diesem Stein seine Fußtapfen zurückgelassen habe. Im Schmerz unglücklicher Liebe stürzte sich auch 1785 von dem einen Fenster der Thürmers- wohnung das schöne siebzehnjährige Fräulein Fanny von I. herab, deren Bildniß noch oben zu sehen ist. Dieses Ereigniß hat meines Erinnerns F. Jacobs in seinem ehemals vielgelesenen Buche: „Nosaliens Nach¬ laß" einer novellistischen Episode zum Grunde gelegt. Als eine Curiosität ist zu erwähnen, daß die damaligen Maler und Bildhauer in München mit den Glasern und Scidenstickern den Rang unmittelbar nach den Webern und vor den Stuhlschreibern, Procuratorem und anderen der Feder zugethaner Herren hatten. Jeder Künstler mußte so gut wie der Handwerker sein Meisterstück

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/209>, abgerufen am 23.07.2024.