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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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gator, beehrt zu werden pflegt. Endlich ist noch "der Lichtfreund'
da, ein rationalistisches Blatt, das klügste und am besten redigirte von
allen, welches eben weiter Nichts thut, als daß es sich über die Po¬
lemik zwischen Methodisten und Katholiken lustig macht.
'

-- Der alte ehrliche Voß schildert bekanntlich in der "Louise,"
wie die Mitglieder verschiedener Consissionen vor der HimmclSthür sich
von einander feindlich absondern; aber auch wie sie dann, vom Lob-
gesang der Engel ergriffen, sich zur Einigkeit bekehren und Petrus
ihnen die Thüre öffnet. Da erkennt man den wohlwollend sanguini¬
schen Geist des vorigen Jahrhunderts, welches mit dem Worte: Tole¬
ranz! den ewigen Frieden.hergestellt zu haben glaubte. Als ob es sich
wirklich nur um Gott und den Glauben an ihn handelte. Ware
Boß satyrischer gewesen, so hätte er die glaubensfeindlichen Deutschen
noch im Himmel ihre Polemik fortsetzen lassen, und Gott Vater selbst
wäre nicht im Stande gewesen, ihren Streit zu schlichten. Denn das
ist ja das schmähliche, daß es sich in der religiösen Polemik eigent¬
lich nicht um Himmel oder Hölle, Gott oder Teufel handelt. Dazu
sind auch die Jesuiten zu aufgeklärt. Die Flammen kirchlicher Kriege
brennen nicht von Naphta und Weihrauch; gerade sie nähren sich von
den allerirdischsten, materiellstcnStossen. UmMachtund Einfluß, um Pfrün¬
den und Einkünfte, um höchst leibliche Dinge streiten die Frommen aller
Lander und Confessionen.

- - Die Vcrketzerungswuth hat sich jetzt aus dem vorzugsweise
"christlich-germanischen" Staat auf das glückliche Schwaben geworfen.
Professor Bischer in Tübingen, der geistvolle Herausgeber der Jahr¬
bücher der Gegenwart, ist wegen einer Inauguralrede von mehreren
Kanzeln Stuttgarts herab der Irreligiosität in einer Weife beschuldigt
worden, daß man darin einen Wink für die Polizei sehen muß. Die
Prediger versichern, sie wollten blos das Christenthum retten, welches
in Gefahr sei, wenn Vischer's Lehren an der Universität laut werden
dürften. Der Fall ist nicht einmal mit den ähnlichen Fallen im Nor¬
den zu vergleichen. Bischer ist kein theologischer Professor; er lehrt
Aesthetik. Also, wenn dreihundert Studenten über Shakspeare, über
Sophokles oder Göthe nicht christlich ästhetische Ansichten anhören, so
'se das Christenthum in Gefahr!! Und Ihr Prediger, deren Schwert
doch das Wort Gottes ist, traut Eueren eigenen Waffen nicht? Ihr
könnt den Ansichten Vischer's durch Euere Ansichten entgegenwirken
Habt Ihr auf der Kanzel nicht einen eben so großen, wo nicht gro-'
ßerm Wirkungskreis, wie ein junger Professor ordinarius auf dem
Katheder? Müßt Ihr an die Gewalt appelliren, um "das Christenthum


gator, beehrt zu werden pflegt. Endlich ist noch „der Lichtfreund'
da, ein rationalistisches Blatt, das klügste und am besten redigirte von
allen, welches eben weiter Nichts thut, als daß es sich über die Po¬
lemik zwischen Methodisten und Katholiken lustig macht.
'

— Der alte ehrliche Voß schildert bekanntlich in der „Louise,"
wie die Mitglieder verschiedener Consissionen vor der HimmclSthür sich
von einander feindlich absondern; aber auch wie sie dann, vom Lob-
gesang der Engel ergriffen, sich zur Einigkeit bekehren und Petrus
ihnen die Thüre öffnet. Da erkennt man den wohlwollend sanguini¬
schen Geist des vorigen Jahrhunderts, welches mit dem Worte: Tole¬
ranz! den ewigen Frieden.hergestellt zu haben glaubte. Als ob es sich
wirklich nur um Gott und den Glauben an ihn handelte. Ware
Boß satyrischer gewesen, so hätte er die glaubensfeindlichen Deutschen
noch im Himmel ihre Polemik fortsetzen lassen, und Gott Vater selbst
wäre nicht im Stande gewesen, ihren Streit zu schlichten. Denn das
ist ja das schmähliche, daß es sich in der religiösen Polemik eigent¬
lich nicht um Himmel oder Hölle, Gott oder Teufel handelt. Dazu
sind auch die Jesuiten zu aufgeklärt. Die Flammen kirchlicher Kriege
brennen nicht von Naphta und Weihrauch; gerade sie nähren sich von
den allerirdischsten, materiellstcnStossen. UmMachtund Einfluß, um Pfrün¬
den und Einkünfte, um höchst leibliche Dinge streiten die Frommen aller
Lander und Confessionen.

- - Die Vcrketzerungswuth hat sich jetzt aus dem vorzugsweise
„christlich-germanischen" Staat auf das glückliche Schwaben geworfen.
Professor Bischer in Tübingen, der geistvolle Herausgeber der Jahr¬
bücher der Gegenwart, ist wegen einer Inauguralrede von mehreren
Kanzeln Stuttgarts herab der Irreligiosität in einer Weife beschuldigt
worden, daß man darin einen Wink für die Polizei sehen muß. Die
Prediger versichern, sie wollten blos das Christenthum retten, welches
in Gefahr sei, wenn Vischer's Lehren an der Universität laut werden
dürften. Der Fall ist nicht einmal mit den ähnlichen Fallen im Nor¬
den zu vergleichen. Bischer ist kein theologischer Professor; er lehrt
Aesthetik. Also, wenn dreihundert Studenten über Shakspeare, über
Sophokles oder Göthe nicht christlich ästhetische Ansichten anhören, so
'se das Christenthum in Gefahr!! Und Ihr Prediger, deren Schwert
doch das Wort Gottes ist, traut Eueren eigenen Waffen nicht? Ihr
könnt den Ansichten Vischer's durch Euere Ansichten entgegenwirken
Habt Ihr auf der Kanzel nicht einen eben so großen, wo nicht gro-'
ßerm Wirkungskreis, wie ein junger Professor ordinarius auf dem
Katheder? Müßt Ihr an die Gewalt appelliren, um „das Christenthum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/201>, abgerufen am 22.07.2024.