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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Hekuba? Jetzt sind aber auch die Russen eine erlaubte Speise gewor¬
den, d. h. nicht die russische Gesinnung deutscher Diplomaten, sondern
die wirklichen Russen; man kann also, wenn man nur nicht etwa
Polen aufwiegelt, ohne Gefahr gegen die russische Leibeigenschaft, die
russische Unwissenheit, den russischen Schmutz und andere Dinge, die
uns Nichts angehen, die muthigsten Gedichte machen. Nächste Oster-
messe bringt auch gesinnungsvolle Lieder gegen Neapel, gegen Mexico,
gegen die Tartarei und China. Wie schön, daß der liebe Gott die
Welt so groß gemacht hat. Wie ist doch gesorgt für den wahrhaften
Patriotismus, für die wahre Fceisinnigkeit und den echten Muth ei¬
nes echten Deutschen! O Heidenthum hinter dem Ofen, nur immer
langsam voran! Wenn Du so langsam voran machst, kommt die
österreichische Landwehr schon nach.

-- Als Karl Heinzen, der'j Verfasser des confiscirten Buches über
die preußische Bureaukratie, nach Belgien floh, warf man die Frage
auf, warum er, wenn sein Gewissen ihn freispreche, sich nicht den
Gerichten gestellt habe, da doch in Köln Oeffentlichkeit und Mündlich¬
keit der Rechtspflege sei. Aber man hört jetzt, daß es im Werke ge¬
wesen, ihn dieser schützenden Macht zu entziehen. An diesem Zweck
war die Anklage nicht etwa blos auf "frechen Tadel der Landesregie¬
rung", sondern auf Beleidigung der seligen Majestät des Königs
Friedrich Wilhelm's des Dritten gestellt worden. Also selbst die Tod¬
ten läßt man nicht ruhen, wenn man durch sie einen lebendigen Schrift¬
steller in die Mausefalle kriegen kann.

-- Deutschland ist jetzt wesentlich theologisch. Die Brockhausische
Zeitung wird man bald "Deutsche Allgemeine Kirchenzeitung" nennen
müssen. Auch in Frankreich und England sind Jesuitismus und Pu-
sevismus wichtige Momente, die regelmäßig debattier werden, doch sie
verschlingen nicht alle andern Interessen; unser öffentliches Leben aber
ist so arm, daß die theologische Berserkerwuth ein bequemes Surrogat
ist, dem man sich gerne hingibt, um die sonstige Leere nicht zu füh¬
len. Es muß im deutschen Blute stecken, dieses Gelüst nach dogma¬
tischen Streitigkeiten und theologischen Processen; man kann es nicht
ganz auf unsern politischen i-we"" ,>>i", schieben. Denn selbst im freien
Nordamerika, in dem politischen Jenseits, in der neuen Welt zieht
der Deutsche keinen neuen Adam an. In Cincinati, erzählt uns ein
Reisender, einer Stadt, die großentheils von Deutschen bewohnt wird,
beschäftigt sich fast die ganze deutsche Journalistik mit religiösen De¬
batten. Der dortige "Wahrheitsfreund" ist fanatisch katholisch und
zieht Jahr aus Jahr ein gegen ein anderes deutsches Localblatt zu
Felde, welches dem wüthendsten Methodismus huldigt und von den
Vankees, wegen seines heulenden Tones, mit dem Spitznamen: Atli-


Hekuba? Jetzt sind aber auch die Russen eine erlaubte Speise gewor¬
den, d. h. nicht die russische Gesinnung deutscher Diplomaten, sondern
die wirklichen Russen; man kann also, wenn man nur nicht etwa
Polen aufwiegelt, ohne Gefahr gegen die russische Leibeigenschaft, die
russische Unwissenheit, den russischen Schmutz und andere Dinge, die
uns Nichts angehen, die muthigsten Gedichte machen. Nächste Oster-
messe bringt auch gesinnungsvolle Lieder gegen Neapel, gegen Mexico,
gegen die Tartarei und China. Wie schön, daß der liebe Gott die
Welt so groß gemacht hat. Wie ist doch gesorgt für den wahrhaften
Patriotismus, für die wahre Fceisinnigkeit und den echten Muth ei¬
nes echten Deutschen! O Heidenthum hinter dem Ofen, nur immer
langsam voran! Wenn Du so langsam voran machst, kommt die
österreichische Landwehr schon nach.

— Als Karl Heinzen, der'j Verfasser des confiscirten Buches über
die preußische Bureaukratie, nach Belgien floh, warf man die Frage
auf, warum er, wenn sein Gewissen ihn freispreche, sich nicht den
Gerichten gestellt habe, da doch in Köln Oeffentlichkeit und Mündlich¬
keit der Rechtspflege sei. Aber man hört jetzt, daß es im Werke ge¬
wesen, ihn dieser schützenden Macht zu entziehen. An diesem Zweck
war die Anklage nicht etwa blos auf „frechen Tadel der Landesregie¬
rung", sondern auf Beleidigung der seligen Majestät des Königs
Friedrich Wilhelm's des Dritten gestellt worden. Also selbst die Tod¬
ten läßt man nicht ruhen, wenn man durch sie einen lebendigen Schrift¬
steller in die Mausefalle kriegen kann.

— Deutschland ist jetzt wesentlich theologisch. Die Brockhausische
Zeitung wird man bald „Deutsche Allgemeine Kirchenzeitung" nennen
müssen. Auch in Frankreich und England sind Jesuitismus und Pu-
sevismus wichtige Momente, die regelmäßig debattier werden, doch sie
verschlingen nicht alle andern Interessen; unser öffentliches Leben aber
ist so arm, daß die theologische Berserkerwuth ein bequemes Surrogat
ist, dem man sich gerne hingibt, um die sonstige Leere nicht zu füh¬
len. Es muß im deutschen Blute stecken, dieses Gelüst nach dogma¬
tischen Streitigkeiten und theologischen Processen; man kann es nicht
ganz auf unsern politischen i-we»» ,>>i«, schieben. Denn selbst im freien
Nordamerika, in dem politischen Jenseits, in der neuen Welt zieht
der Deutsche keinen neuen Adam an. In Cincinati, erzählt uns ein
Reisender, einer Stadt, die großentheils von Deutschen bewohnt wird,
beschäftigt sich fast die ganze deutsche Journalistik mit religiösen De¬
batten. Der dortige „Wahrheitsfreund" ist fanatisch katholisch und
zieht Jahr aus Jahr ein gegen ein anderes deutsches Localblatt zu
Felde, welches dem wüthendsten Methodismus huldigt und von den
Vankees, wegen seines heulenden Tones, mit dem Spitznamen: Atli-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/200>, abgerufen am 22.07.2024.