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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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-- Das Project einer preußischen Kolonie auf der Muskitosttiste
scheint nur aufgenommen, um den Berlinern fette Nahrung für ihren
Witz zu geben. Es wird viel gespöttelt in Berlin über die zukünftige
Niederlassung. So ward ein vollständiger Bericht fabulirt von den
Vorsichts- und Untersuchungsmaßregcln, mit denen die ausgesandte
Commission sich der gefährlichen Küste näherte; von der Gent'armerie,
unter deren Aussicht die Muskito fliegen gestellt werden sollten u. s. w.
Indessen fand die Commission statt der gefürchteten Mücken sehr fried¬
liche Menschen, eine Königin it la Pomare mit einem hoffnungsvollen
Kronprinzen und eine kleine Residenz, die, abgesehen von dem Man¬
gel eines Brandenburger Thores, recht wohnlich sein soll. Die mit¬
genommenen Mückennetze kamen ungebraucht zurück. Die eigentliche
Muskitosstadt ist Berlin. Aber die zahllosen Stachelfliegen, die, statt
aus Sumpf und Sonnenhitze, sich aus Sand und Philosophie erzeu¬
gen, sind durch keine Aussicht zu bändigen; das große Netz, mit dem
man sie fangen will, bekommt täglich ärgere Nisse; und keine Nase
ist ihnen heilig.

-- Huber's "Janus" läßt sich sehr gut an. Man muß ihm
nachrühmen, daß er seine sogenannten wohlmeinenden Tendenzen we¬
nigstens mit offener, rücksichtsloser Plumpheit austrank und der öf¬
fentlichen Meinung nicht, wie derartige Blätter sonst thun, um den
Bart geht, sondern sie geradezu vor den Kopf stößt. "Da weiß man
doch, warum man lacht." Herr Huber beginnt mit einem Hornstoß
gegen das Oberccnsurgericht; er kann freilich nie in den Fall kom¬
men, die Hilfe desselben in Anspruch zu nehmen.

-- Eine gewisse Sorte von Oppositionsmuth, die in Deutschland
häusig ist, erinnert uns stets an den Pantoffelmann, der im Wirths-
Haus gegen die ganze Welt bramarbasirt, vor seiner Frau aber im
eigenen Hause zu Kreuz kriecht. So wissen wir einen Dichter, einen
preußischen, der gar wohl einsieht, wie hübsch es wäre, wenn man
auch ihn zu den Vorkämpfern zahlte, die in voller Eisenrüstnng auf
dem Pegasus reiten, um die Welt von den Drachen zu befreien. Also,
auch er schnallt den Harnisch um. Aber wo findet man einen guten
zahmen Drachen, mit dem man es allenfalls aufnehmen -- darf?
Die Franzosen? Sind immer noch gut, wenigstens als Präservativ
gegen den Verdacht unpatriotischcr Gesinnung; aber satt wird man
nicht davon. Die Landwehrmänner von 1813, die noch Appetit auf
Franzosen haben, sind nicht mehr so zahlreich, finden auch ihren Tisch
besser gedeckt bei Vater Arndt, Jahr, Körner -c. Aber den Papst zu
bekämpfen, das ist was Neues -- und zeigt von Muth, namentlich
wenn man Protestant ist in einer streng protestantischen freien Stadt.
Selbst der Bundestag kümmert sich nicht darum; denn was ist ihm


— Das Project einer preußischen Kolonie auf der Muskitosttiste
scheint nur aufgenommen, um den Berlinern fette Nahrung für ihren
Witz zu geben. Es wird viel gespöttelt in Berlin über die zukünftige
Niederlassung. So ward ein vollständiger Bericht fabulirt von den
Vorsichts- und Untersuchungsmaßregcln, mit denen die ausgesandte
Commission sich der gefährlichen Küste näherte; von der Gent'armerie,
unter deren Aussicht die Muskito fliegen gestellt werden sollten u. s. w.
Indessen fand die Commission statt der gefürchteten Mücken sehr fried¬
liche Menschen, eine Königin it la Pomare mit einem hoffnungsvollen
Kronprinzen und eine kleine Residenz, die, abgesehen von dem Man¬
gel eines Brandenburger Thores, recht wohnlich sein soll. Die mit¬
genommenen Mückennetze kamen ungebraucht zurück. Die eigentliche
Muskitosstadt ist Berlin. Aber die zahllosen Stachelfliegen, die, statt
aus Sumpf und Sonnenhitze, sich aus Sand und Philosophie erzeu¬
gen, sind durch keine Aussicht zu bändigen; das große Netz, mit dem
man sie fangen will, bekommt täglich ärgere Nisse; und keine Nase
ist ihnen heilig.

— Huber's „Janus" läßt sich sehr gut an. Man muß ihm
nachrühmen, daß er seine sogenannten wohlmeinenden Tendenzen we¬
nigstens mit offener, rücksichtsloser Plumpheit austrank und der öf¬
fentlichen Meinung nicht, wie derartige Blätter sonst thun, um den
Bart geht, sondern sie geradezu vor den Kopf stößt. „Da weiß man
doch, warum man lacht." Herr Huber beginnt mit einem Hornstoß
gegen das Oberccnsurgericht; er kann freilich nie in den Fall kom¬
men, die Hilfe desselben in Anspruch zu nehmen.

— Eine gewisse Sorte von Oppositionsmuth, die in Deutschland
häusig ist, erinnert uns stets an den Pantoffelmann, der im Wirths-
Haus gegen die ganze Welt bramarbasirt, vor seiner Frau aber im
eigenen Hause zu Kreuz kriecht. So wissen wir einen Dichter, einen
preußischen, der gar wohl einsieht, wie hübsch es wäre, wenn man
auch ihn zu den Vorkämpfern zahlte, die in voller Eisenrüstnng auf
dem Pegasus reiten, um die Welt von den Drachen zu befreien. Also,
auch er schnallt den Harnisch um. Aber wo findet man einen guten
zahmen Drachen, mit dem man es allenfalls aufnehmen — darf?
Die Franzosen? Sind immer noch gut, wenigstens als Präservativ
gegen den Verdacht unpatriotischcr Gesinnung; aber satt wird man
nicht davon. Die Landwehrmänner von 1813, die noch Appetit auf
Franzosen haben, sind nicht mehr so zahlreich, finden auch ihren Tisch
besser gedeckt bei Vater Arndt, Jahr, Körner -c. Aber den Papst zu
bekämpfen, das ist was Neues — und zeigt von Muth, namentlich
wenn man Protestant ist in einer streng protestantischen freien Stadt.
Selbst der Bundestag kümmert sich nicht darum; denn was ist ihm


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[0199] — Das Project einer preußischen Kolonie auf der Muskitosttiste scheint nur aufgenommen, um den Berlinern fette Nahrung für ihren Witz zu geben. Es wird viel gespöttelt in Berlin über die zukünftige Niederlassung. So ward ein vollständiger Bericht fabulirt von den Vorsichts- und Untersuchungsmaßregcln, mit denen die ausgesandte Commission sich der gefährlichen Küste näherte; von der Gent'armerie, unter deren Aussicht die Muskito fliegen gestellt werden sollten u. s. w. Indessen fand die Commission statt der gefürchteten Mücken sehr fried¬ liche Menschen, eine Königin it la Pomare mit einem hoffnungsvollen Kronprinzen und eine kleine Residenz, die, abgesehen von dem Man¬ gel eines Brandenburger Thores, recht wohnlich sein soll. Die mit¬ genommenen Mückennetze kamen ungebraucht zurück. Die eigentliche Muskitosstadt ist Berlin. Aber die zahllosen Stachelfliegen, die, statt aus Sumpf und Sonnenhitze, sich aus Sand und Philosophie erzeu¬ gen, sind durch keine Aussicht zu bändigen; das große Netz, mit dem man sie fangen will, bekommt täglich ärgere Nisse; und keine Nase ist ihnen heilig. — Huber's „Janus" läßt sich sehr gut an. Man muß ihm nachrühmen, daß er seine sogenannten wohlmeinenden Tendenzen we¬ nigstens mit offener, rücksichtsloser Plumpheit austrank und der öf¬ fentlichen Meinung nicht, wie derartige Blätter sonst thun, um den Bart geht, sondern sie geradezu vor den Kopf stößt. „Da weiß man doch, warum man lacht." Herr Huber beginnt mit einem Hornstoß gegen das Oberccnsurgericht; er kann freilich nie in den Fall kom¬ men, die Hilfe desselben in Anspruch zu nehmen. — Eine gewisse Sorte von Oppositionsmuth, die in Deutschland häusig ist, erinnert uns stets an den Pantoffelmann, der im Wirths- Haus gegen die ganze Welt bramarbasirt, vor seiner Frau aber im eigenen Hause zu Kreuz kriecht. So wissen wir einen Dichter, einen preußischen, der gar wohl einsieht, wie hübsch es wäre, wenn man auch ihn zu den Vorkämpfern zahlte, die in voller Eisenrüstnng auf dem Pegasus reiten, um die Welt von den Drachen zu befreien. Also, auch er schnallt den Harnisch um. Aber wo findet man einen guten zahmen Drachen, mit dem man es allenfalls aufnehmen — darf? Die Franzosen? Sind immer noch gut, wenigstens als Präservativ gegen den Verdacht unpatriotischcr Gesinnung; aber satt wird man nicht davon. Die Landwehrmänner von 1813, die noch Appetit auf Franzosen haben, sind nicht mehr so zahlreich, finden auch ihren Tisch besser gedeckt bei Vater Arndt, Jahr, Körner -c. Aber den Papst zu bekämpfen, das ist was Neues — und zeigt von Muth, namentlich wenn man Protestant ist in einer streng protestantischen freien Stadt. Selbst der Bundestag kümmert sich nicht darum; denn was ist ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/199>, abgerufen am 22.07.2024.