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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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vorliegenden Fragen zu versichern, die man, wie er hinzufügte, auch
in allen seinen "Schriften" finden würde oder könnte. Wahrscheinlich
wollte er die in der Literatur vergebens gehoffte Anerkennung seiner
"Schriften" wenigstens in dieser Versammlung genießen, aber man
war unhöflich genug, ihn "zur Sache" zu verweisen. Ein einziger
Handwerker, ein gebückter Mann von ungefähr sechzig Jahren, erhob
sich einmal mitten unter dem lautesten Sturm der Meinungen und
las mit zitternder Stimme seine Erfahrungsansicht über die Weise,
wie am ersten der arbeitenden Klasse geholfen würde: aber Dank dem
Hochmuth unserer gebildeten Geistesaristokratie wurde er bald von den
gebildeten Rednern verdrängt. Unter den vielen Amendements, die zu
den einzelnen Paragraphen in Rede standen, beschäftigten nur drei
oder vier ernstlich die Gemüther, über die meisten entschied sogleich die
Gesammtstimmung. Und doch, wiewohl von den einunddreißig Para¬
graphen des Statuts an diesem Abend nur eilf zur Debatte kamen,
währte die Sitzung von sechs bis nahe eilf Uhr, also beinahe fünf
volle Stunden. Nach diesen Andeutungen über das Wesen der Ver¬
sammlung wird es genügen, den Inhalt der Paragraphen und von
der Versammlung verworfenen Amendements zu geben, so weit er
charakteristisch und für ein Urtheil über die Zukunft des Localvereins
wesentlich ist.

Die drei ersten Paragraphen des Statuts geben in möglichst wei¬
ten und umfassenden Grenzen Zweck und Mittel des Vereins an und
wurden, nur mit einem formellen Amendement begleitet, angenommen.
Der Verein stellt sich darin die Ausgabe, durch moralischen Einfluß
und demgemäß "zu treffende Einrichtungen" für die Verbesserung des
sittlichen und ökonomischen Anstands der arbeitenden Klassen, unter
thätiger Mitwirkung derselben zu wirken; er zielt mehr dahin, das
Entstehen der Noth gründlich zu verhindern, als vorhandenes Elend
vorübergehend zu beschwichtigen. Der Antrag Einiger, die beabsichtig¬
ten Mittel und Einrichtungen namhaft zu machen, wurde deshalb
verworfen, weil man den Grund der Noth nicht überall kenne, sondern
erst unde rsuchen müsse, und weil je nach Verschiedenheit der Lage auch
verschiedene Mittel zulässig erscheinen dürften. In der That kann man
die weite Ausdehnung der Bestimmung, die jede freie Bewegung zu¬
läßt, nur loben. Denn wenn die Befürchtung gewisser Hemmnisse
gegründet war, so würde man durch irgend eine Determination den
Behörden Veranlassung zu dem bereits beabsichtigten Einschreiten ge¬
geben haben. Die Besorgnis) eines solchen Anstoßes hat indeß, wie
man sehen wird, leider auch Einfluß auf die Hauptmomente des gan¬
zen Vereins geübt. Die beiden folgenden Paragraphen des Entwurfs
stellen die Bedingungen der Mitgliedschaft fest, und zwar soll Jeder
durch Vorausbezahlung eines Thalers als Jahresbeitrag die Rechte
des Mitgliedes erwerben können, spätere Beitrage können halbjährlich


vorliegenden Fragen zu versichern, die man, wie er hinzufügte, auch
in allen seinen „Schriften" finden würde oder könnte. Wahrscheinlich
wollte er die in der Literatur vergebens gehoffte Anerkennung seiner
„Schriften" wenigstens in dieser Versammlung genießen, aber man
war unhöflich genug, ihn „zur Sache" zu verweisen. Ein einziger
Handwerker, ein gebückter Mann von ungefähr sechzig Jahren, erhob
sich einmal mitten unter dem lautesten Sturm der Meinungen und
las mit zitternder Stimme seine Erfahrungsansicht über die Weise,
wie am ersten der arbeitenden Klasse geholfen würde: aber Dank dem
Hochmuth unserer gebildeten Geistesaristokratie wurde er bald von den
gebildeten Rednern verdrängt. Unter den vielen Amendements, die zu
den einzelnen Paragraphen in Rede standen, beschäftigten nur drei
oder vier ernstlich die Gemüther, über die meisten entschied sogleich die
Gesammtstimmung. Und doch, wiewohl von den einunddreißig Para¬
graphen des Statuts an diesem Abend nur eilf zur Debatte kamen,
währte die Sitzung von sechs bis nahe eilf Uhr, also beinahe fünf
volle Stunden. Nach diesen Andeutungen über das Wesen der Ver¬
sammlung wird es genügen, den Inhalt der Paragraphen und von
der Versammlung verworfenen Amendements zu geben, so weit er
charakteristisch und für ein Urtheil über die Zukunft des Localvereins
wesentlich ist.

Die drei ersten Paragraphen des Statuts geben in möglichst wei¬
ten und umfassenden Grenzen Zweck und Mittel des Vereins an und
wurden, nur mit einem formellen Amendement begleitet, angenommen.
Der Verein stellt sich darin die Ausgabe, durch moralischen Einfluß
und demgemäß „zu treffende Einrichtungen" für die Verbesserung des
sittlichen und ökonomischen Anstands der arbeitenden Klassen, unter
thätiger Mitwirkung derselben zu wirken; er zielt mehr dahin, das
Entstehen der Noth gründlich zu verhindern, als vorhandenes Elend
vorübergehend zu beschwichtigen. Der Antrag Einiger, die beabsichtig¬
ten Mittel und Einrichtungen namhaft zu machen, wurde deshalb
verworfen, weil man den Grund der Noth nicht überall kenne, sondern
erst unde rsuchen müsse, und weil je nach Verschiedenheit der Lage auch
verschiedene Mittel zulässig erscheinen dürften. In der That kann man
die weite Ausdehnung der Bestimmung, die jede freie Bewegung zu¬
läßt, nur loben. Denn wenn die Befürchtung gewisser Hemmnisse
gegründet war, so würde man durch irgend eine Determination den
Behörden Veranlassung zu dem bereits beabsichtigten Einschreiten ge¬
geben haben. Die Besorgnis) eines solchen Anstoßes hat indeß, wie
man sehen wird, leider auch Einfluß auf die Hauptmomente des gan¬
zen Vereins geübt. Die beiden folgenden Paragraphen des Entwurfs
stellen die Bedingungen der Mitgliedschaft fest, und zwar soll Jeder
durch Vorausbezahlung eines Thalers als Jahresbeitrag die Rechte
des Mitgliedes erwerben können, spätere Beitrage können halbjährlich


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[0190] vorliegenden Fragen zu versichern, die man, wie er hinzufügte, auch in allen seinen „Schriften" finden würde oder könnte. Wahrscheinlich wollte er die in der Literatur vergebens gehoffte Anerkennung seiner „Schriften" wenigstens in dieser Versammlung genießen, aber man war unhöflich genug, ihn „zur Sache" zu verweisen. Ein einziger Handwerker, ein gebückter Mann von ungefähr sechzig Jahren, erhob sich einmal mitten unter dem lautesten Sturm der Meinungen und las mit zitternder Stimme seine Erfahrungsansicht über die Weise, wie am ersten der arbeitenden Klasse geholfen würde: aber Dank dem Hochmuth unserer gebildeten Geistesaristokratie wurde er bald von den gebildeten Rednern verdrängt. Unter den vielen Amendements, die zu den einzelnen Paragraphen in Rede standen, beschäftigten nur drei oder vier ernstlich die Gemüther, über die meisten entschied sogleich die Gesammtstimmung. Und doch, wiewohl von den einunddreißig Para¬ graphen des Statuts an diesem Abend nur eilf zur Debatte kamen, währte die Sitzung von sechs bis nahe eilf Uhr, also beinahe fünf volle Stunden. Nach diesen Andeutungen über das Wesen der Ver¬ sammlung wird es genügen, den Inhalt der Paragraphen und von der Versammlung verworfenen Amendements zu geben, so weit er charakteristisch und für ein Urtheil über die Zukunft des Localvereins wesentlich ist. Die drei ersten Paragraphen des Statuts geben in möglichst wei¬ ten und umfassenden Grenzen Zweck und Mittel des Vereins an und wurden, nur mit einem formellen Amendement begleitet, angenommen. Der Verein stellt sich darin die Ausgabe, durch moralischen Einfluß und demgemäß „zu treffende Einrichtungen" für die Verbesserung des sittlichen und ökonomischen Anstands der arbeitenden Klassen, unter thätiger Mitwirkung derselben zu wirken; er zielt mehr dahin, das Entstehen der Noth gründlich zu verhindern, als vorhandenes Elend vorübergehend zu beschwichtigen. Der Antrag Einiger, die beabsichtig¬ ten Mittel und Einrichtungen namhaft zu machen, wurde deshalb verworfen, weil man den Grund der Noth nicht überall kenne, sondern erst unde rsuchen müsse, und weil je nach Verschiedenheit der Lage auch verschiedene Mittel zulässig erscheinen dürften. In der That kann man die weite Ausdehnung der Bestimmung, die jede freie Bewegung zu¬ läßt, nur loben. Denn wenn die Befürchtung gewisser Hemmnisse gegründet war, so würde man durch irgend eine Determination den Behörden Veranlassung zu dem bereits beabsichtigten Einschreiten ge¬ geben haben. Die Besorgnis) eines solchen Anstoßes hat indeß, wie man sehen wird, leider auch Einfluß auf die Hauptmomente des gan¬ zen Vereins geübt. Die beiden folgenden Paragraphen des Entwurfs stellen die Bedingungen der Mitgliedschaft fest, und zwar soll Jeder durch Vorausbezahlung eines Thalers als Jahresbeitrag die Rechte des Mitgliedes erwerben können, spätere Beitrage können halbjährlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/190>, abgerufen am 22.07.2024.