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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wollen -- die Kost ist etwas schmal und leidet keinen weiten Ma¬
gen." -- "Ich leide seit einigen Tagen an Verstopfung," sagte ich,
"und darf also deshalb schon nicht ans große Brocken langen." --
"Nun, Sie werden Ihr Essen doch der Gcfangenwärtcrin nicht schen¬
ken? Was Sie nicht essen, essen wir!" -- "Ganz natürlich," erwie-.
derte ich. -- "Dreimal Brod und zu Mittag Gemüse ist unsere Kost,"
sagte das Studentcnkäppchen, versank dann in Gedanken und seufzte.
"Es ist doch sonderbar," fuhr er nach einer Weile fort, "daß ich noch
immer nicht frei bin; meine Sache ist ja schon so gut als entschie¬
den, daß ich jeden Augenblick hiiianSkommcn soll!" -- Der Schelm
machte sich gute Hoffnungen; zwei Tage später hörte ich, daß er auf
vier Jahre in'S Arbeitshaus geschickt worden sei. Er war einer der
berüchtigtsten Gauner, welche in Teplih und Karlsbad lange Zeit ihr
beutereicheS Unwesen getrieben hatten. Ich hatte eben noch Zeit, die
Meubel meines neuen QnartiereS zu mustern, welche einfach in
einem Trinkeimer und in . . . sonst Nichts bestanden, als die Thüre
wieder geöffnet und ich hinausgerufen wurde. Der Gefängnißwärter
des zweiten Stockwerkes übergab mich dem des ersten Stockwerkes --
der die Aufsicht über die Schuldenarreste führt. Hier wurde ich in
ein großes Zimmer gebracht, dessen einziges Fenster bis auf eine ge¬
ringe Breite zu oberst vermauert und vergittert ist. In diesem Zim-
mer bestand meine Gesellschaft aus einem jungen, feurigen, belesenen
Kaufmanne, der in einen unglückseligen Proceß mit dem Kamerale
verwickelt war, weil man ihn eines großen Paschgeschäfteö anklagte;
man hatte ihn bereits vierzehn Monate in strenger Haft gehalten,
ohne ihm mit Entschiedenheit beikommen zu können.

Ich müßte Dir förmliche Memoiren mittheilen, wenn ich Dich
mit den Angelegenheiten dieses jungen Mannes unterhalten wollte;
im Allgemeinen bemerke ich Dir nur, daß dieser Proceß den jungen
Mann fast bis zu gänzlichem Bankerott brachte, seinen Referenten
aber zum Rath befördern half. ES ging nicht ganz sauber dabei
her. Ist das überhaupt eine Art, mit dem Unterthan zu rechten,
daß man ihn vierzehn Monate lang unter die eisenbelasteten, lausi¬
gen Arrestanten sperrt, um ihn erst zu untersuchen? Während dieser
"rise mußte er sein Geschäft zu Grunde gehen lassen, mußte aber
seine Steuern fortzahlen, mußte Weib und Kind erhalten. Ich habe
volle acht Tage Gelegenheit gehabt, den Man" sich erklären zu hören;


wollen — die Kost ist etwas schmal und leidet keinen weiten Ma¬
gen." — „Ich leide seit einigen Tagen an Verstopfung," sagte ich,
„und darf also deshalb schon nicht ans große Brocken langen." —
„Nun, Sie werden Ihr Essen doch der Gcfangenwärtcrin nicht schen¬
ken? Was Sie nicht essen, essen wir!" — „Ganz natürlich," erwie-.
derte ich. — „Dreimal Brod und zu Mittag Gemüse ist unsere Kost,"
sagte das Studentcnkäppchen, versank dann in Gedanken und seufzte.
„Es ist doch sonderbar," fuhr er nach einer Weile fort, „daß ich noch
immer nicht frei bin; meine Sache ist ja schon so gut als entschie¬
den, daß ich jeden Augenblick hiiianSkommcn soll!" — Der Schelm
machte sich gute Hoffnungen; zwei Tage später hörte ich, daß er auf
vier Jahre in'S Arbeitshaus geschickt worden sei. Er war einer der
berüchtigtsten Gauner, welche in Teplih und Karlsbad lange Zeit ihr
beutereicheS Unwesen getrieben hatten. Ich hatte eben noch Zeit, die
Meubel meines neuen QnartiereS zu mustern, welche einfach in
einem Trinkeimer und in . . . sonst Nichts bestanden, als die Thüre
wieder geöffnet und ich hinausgerufen wurde. Der Gefängnißwärter
des zweiten Stockwerkes übergab mich dem des ersten Stockwerkes —
der die Aufsicht über die Schuldenarreste führt. Hier wurde ich in
ein großes Zimmer gebracht, dessen einziges Fenster bis auf eine ge¬
ringe Breite zu oberst vermauert und vergittert ist. In diesem Zim-
mer bestand meine Gesellschaft aus einem jungen, feurigen, belesenen
Kaufmanne, der in einen unglückseligen Proceß mit dem Kamerale
verwickelt war, weil man ihn eines großen Paschgeschäfteö anklagte;
man hatte ihn bereits vierzehn Monate in strenger Haft gehalten,
ohne ihm mit Entschiedenheit beikommen zu können.

Ich müßte Dir förmliche Memoiren mittheilen, wenn ich Dich
mit den Angelegenheiten dieses jungen Mannes unterhalten wollte;
im Allgemeinen bemerke ich Dir nur, daß dieser Proceß den jungen
Mann fast bis zu gänzlichem Bankerott brachte, seinen Referenten
aber zum Rath befördern half. ES ging nicht ganz sauber dabei
her. Ist das überhaupt eine Art, mit dem Unterthan zu rechten,
daß man ihn vierzehn Monate lang unter die eisenbelasteten, lausi¬
gen Arrestanten sperrt, um ihn erst zu untersuchen? Während dieser
»rise mußte er sein Geschäft zu Grunde gehen lassen, mußte aber
seine Steuern fortzahlen, mußte Weib und Kind erhalten. Ich habe
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/185>, abgerufen am 22.07.2024.