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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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wollte auch er mir auf ti"Säcke los, um sie auSzumausen. "Ich
habe Alles auf der Stadthauptmannschaft gelassen, man wird's her¬
bringen/-- "Ja, ich muß dennoch" -- "Müssen Sie? Nun so mau-
sen Sie," sagte ich lachend. Er mausete und wurde dunkelroth vor
Aerger, denn er fand Nichts. Darauf ergriff er einen Bund Schlüssel
und sagte, ich möchte folgen. Ich erwartete nichts Anderes, als auf
ein Zimmer zu kommen, wo ich allein sein konnte und Raum fand,
um gemächlich auf und nieder gehn zu können. Wir schritten einen
langen Gang dahin. Links waren viele Thüren, darüber die Zahl
der Gefangenen aufgeschrieben stand, welche in den unglückseligen
Gemächern Platz finden sollten, als: Für zwölf Personen; für vier¬
zehn Personen; sür acht bis zehn Personen u. s. w. Diese Ueber¬
schriften machten mich stutzen. Man wird doch nicht so verrückt, so
besessen sein, dachte ich, und mich in ein solches Zimmer sperren?
Indem ich dieses dachte, ging hie und da eine Thüre auf, und ich
sah Männer in Leinwand und Ketten darin, theils auf- und abge¬
hend, theils in Gruppen stehend und sitzend. Mir fing an, die
Teufelei doch zu dick zu kommen; die Geduld ging mir aus. "Wo¬
hin geht's denn eigentlich?" rief ich unwillig.--"Nun da sind wir
schon," antwortete der Gefangenwärter, indem er an einer Thüre
stille hielt, worüber geschrieben stand: "Für vier Personen." Holla,
da hätten wir die Bescherung! Er sperrte auf. . . ich war eben
der Vierte. Drei Gauner waren da; zwei davon in Leinwand
und Ketten, der Dritte in einem blauen Rock, weiten Unterhosen,
die in nette Stiefelröhren gestopft waren, preußisches Studentenkäpp-
chen auf dem Kopfe, langes Haar, Kinn- und Schnurbärtchen, ohne
Eisen. Letzterer saß eben auf der Pritsche wie ein Türk mit über-
schlagenen Beinen, als ich eintrat; die andern zwei standen am Fen¬
ster beisammen; aber kaum ersahen sie mich, so stürzten sie wie drei
Falken über mich her und wollten wissen, hören, rathen. "Erlauben
Sie," sprach das Studcntenkäppchen, -- "waren Sie nicht mit einer
gewissen, gewissen Wolsingerischen Brüderschaft in Verbindung? Wie?
Nicht? Oder, sind Sie nicht ein gewisser Doktor Schmidt? Oder
warten Sie . . . waren Sie niemals in Frankfurt an der Oder?"
-- "Warum sind Sie hier?" fiel ein Anderer in Ketten ein -- "wie
Ma Teufel kommen Sie dazu, daß man Sie in so schwere Haft
bürgt? Jedenfalls ungerecht! Sie haben vielleicht einmal aus Un-


wollte auch er mir auf ti»Säcke los, um sie auSzumausen. „Ich
habe Alles auf der Stadthauptmannschaft gelassen, man wird's her¬
bringen/— „Ja, ich muß dennoch" — „Müssen Sie? Nun so mau-
sen Sie," sagte ich lachend. Er mausete und wurde dunkelroth vor
Aerger, denn er fand Nichts. Darauf ergriff er einen Bund Schlüssel
und sagte, ich möchte folgen. Ich erwartete nichts Anderes, als auf
ein Zimmer zu kommen, wo ich allein sein konnte und Raum fand,
um gemächlich auf und nieder gehn zu können. Wir schritten einen
langen Gang dahin. Links waren viele Thüren, darüber die Zahl
der Gefangenen aufgeschrieben stand, welche in den unglückseligen
Gemächern Platz finden sollten, als: Für zwölf Personen; für vier¬
zehn Personen; sür acht bis zehn Personen u. s. w. Diese Ueber¬
schriften machten mich stutzen. Man wird doch nicht so verrückt, so
besessen sein, dachte ich, und mich in ein solches Zimmer sperren?
Indem ich dieses dachte, ging hie und da eine Thüre auf, und ich
sah Männer in Leinwand und Ketten darin, theils auf- und abge¬
hend, theils in Gruppen stehend und sitzend. Mir fing an, die
Teufelei doch zu dick zu kommen; die Geduld ging mir aus. „Wo¬
hin geht's denn eigentlich?" rief ich unwillig.—„Nun da sind wir
schon," antwortete der Gefangenwärter, indem er an einer Thüre
stille hielt, worüber geschrieben stand: „Für vier Personen." Holla,
da hätten wir die Bescherung! Er sperrte auf. . . ich war eben
der Vierte. Drei Gauner waren da; zwei davon in Leinwand
und Ketten, der Dritte in einem blauen Rock, weiten Unterhosen,
die in nette Stiefelröhren gestopft waren, preußisches Studentenkäpp-
chen auf dem Kopfe, langes Haar, Kinn- und Schnurbärtchen, ohne
Eisen. Letzterer saß eben auf der Pritsche wie ein Türk mit über-
schlagenen Beinen, als ich eintrat; die andern zwei standen am Fen¬
ster beisammen; aber kaum ersahen sie mich, so stürzten sie wie drei
Falken über mich her und wollten wissen, hören, rathen. „Erlauben
Sie," sprach das Studcntenkäppchen, — „waren Sie nicht mit einer
gewissen, gewissen Wolsingerischen Brüderschaft in Verbindung? Wie?
Nicht? Oder, sind Sie nicht ein gewisser Doktor Schmidt? Oder
warten Sie . . . waren Sie niemals in Frankfurt an der Oder?"
— „Warum sind Sie hier?" fiel ein Anderer in Ketten ein — „wie
Ma Teufel kommen Sie dazu, daß man Sie in so schwere Haft
bürgt? Jedenfalls ungerecht! Sie haben vielleicht einmal aus Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/183>, abgerufen am 22.07.2024.