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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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noch meinen Lieben mit Salbung erzählen. Der Teufel ist zu allen
Zeiten los, aber wem er zu solch einer Haft verhilft, dein ist er ein
Halbgott!" In dieser himmlischen Stimmung entschloß ich mich end¬
lich, als eS finster wurde, wieder Ordnung zu machen; ich bettete
also wieder auf: zu unterst die Flohdecke, darüber das Leintuch, zu
oberst den Strohsack. "Ach, überall ist es gut," dachte ich, als ich
mich hinstreckte -- "aber zu Hause ist es doch am besten." Wie
Wär'S, wenn ich in einer Wüste herumime und Nichts als meine
Freiheit hätte? Ist'S nicht weit, weit besser, ich bleib' hübsch zu Haus'
und mähr' mich redlich und lieg' schön folgsam im Trockenen hier,
mit so viel Sorgfalt bewacht, gepflegt, gespeist und getränkt und
vormundschaftlich gefürsorget, als nur der beste Sohn verdienen mag?
Hin, ha, freilich .... schloß ich endlich mit seltsamem Lächeln und
schlief ein .... Sehr früh am nächsten Morgen erwachte ich und
war nicht wenig froh, jenes Lächeln noch auf meinen Lippen anzu¬
treffen; ich wollte es wegwischen, aber es mehrte sich zusehends, denn
ich fand mich in noch rosigerer Laune, als vorigen Abend. Ich konnte
nicht begreifen, wie ich mir meine Lage nur einen Augenblick mochte
zu Herzen nehmen; die ganze Geschichte fing geradezu an, mir höchst
interessant zu werden. Ich konnte nun, freilich jetzt erst, hell sehen.
Von einer Gefahr konnte in meiner Lage nicht die Rede sein, denn
in Wien war ja mein Proceß auf die humanste Weise -- ohne
Proceß vorüber, da ich bereits vom März bis Juli unangefochten
dort gelebt hatte. Daß ich zwischen vier engen Wänden in Prag
saß, erklärte sich ganz einfach aus naheliegenden Gründen. Für'S
Erste war der Stadthauptmann in meiner Angelegenheit der einzige
willkürliche Lenker. Mein Fall war ihm ein neuer; in dieser Unsi¬
cherheit Schiel: ihm keine Maßregel zu strenge; die kürzlichen Auf¬
stände hatten seiner polizeilichen Hand ungewöhnlich freier die Zügel
schießen lassen. Es mochte eine alte, vorjährige Weisung aus Wien
gewesen sein, welche mich auf etwaiger Durchreise anzuhalten befahl,
die er gerade in den unheilvollsten Tagen zu vollstrecken hatte. Mei¬
nerseits mochte aus Ueberraschung versäumt worden sein, davon Ge¬
brauch zu machen, was mir das Gesetzbuch zu Gute gethan hätte.
Aber nachdem eS so weit war, beschloß ich mit aller Aufgeräumtheit
eines völlig beruhigten Herzens, das Abenteuer weiter spielen zu las¬
sen. Meine Reise war einmal vereitelt, Zeit war in meinen litera-


noch meinen Lieben mit Salbung erzählen. Der Teufel ist zu allen
Zeiten los, aber wem er zu solch einer Haft verhilft, dein ist er ein
Halbgott!" In dieser himmlischen Stimmung entschloß ich mich end¬
lich, als eS finster wurde, wieder Ordnung zu machen; ich bettete
also wieder auf: zu unterst die Flohdecke, darüber das Leintuch, zu
oberst den Strohsack. „Ach, überall ist es gut," dachte ich, als ich
mich hinstreckte — „aber zu Hause ist es doch am besten." Wie
Wär'S, wenn ich in einer Wüste herumime und Nichts als meine
Freiheit hätte? Ist'S nicht weit, weit besser, ich bleib' hübsch zu Haus'
und mähr' mich redlich und lieg' schön folgsam im Trockenen hier,
mit so viel Sorgfalt bewacht, gepflegt, gespeist und getränkt und
vormundschaftlich gefürsorget, als nur der beste Sohn verdienen mag?
Hin, ha, freilich .... schloß ich endlich mit seltsamem Lächeln und
schlief ein .... Sehr früh am nächsten Morgen erwachte ich und
war nicht wenig froh, jenes Lächeln noch auf meinen Lippen anzu¬
treffen; ich wollte es wegwischen, aber es mehrte sich zusehends, denn
ich fand mich in noch rosigerer Laune, als vorigen Abend. Ich konnte
nicht begreifen, wie ich mir meine Lage nur einen Augenblick mochte
zu Herzen nehmen; die ganze Geschichte fing geradezu an, mir höchst
interessant zu werden. Ich konnte nun, freilich jetzt erst, hell sehen.
Von einer Gefahr konnte in meiner Lage nicht die Rede sein, denn
in Wien war ja mein Proceß auf die humanste Weise — ohne
Proceß vorüber, da ich bereits vom März bis Juli unangefochten
dort gelebt hatte. Daß ich zwischen vier engen Wänden in Prag
saß, erklärte sich ganz einfach aus naheliegenden Gründen. Für'S
Erste war der Stadthauptmann in meiner Angelegenheit der einzige
willkürliche Lenker. Mein Fall war ihm ein neuer; in dieser Unsi¬
cherheit Schiel: ihm keine Maßregel zu strenge; die kürzlichen Auf¬
stände hatten seiner polizeilichen Hand ungewöhnlich freier die Zügel
schießen lassen. Es mochte eine alte, vorjährige Weisung aus Wien
gewesen sein, welche mich auf etwaiger Durchreise anzuhalten befahl,
die er gerade in den unheilvollsten Tagen zu vollstrecken hatte. Mei¬
nerseits mochte aus Ueberraschung versäumt worden sein, davon Ge¬
brauch zu machen, was mir das Gesetzbuch zu Gute gethan hätte.
Aber nachdem eS so weit war, beschloß ich mit aller Aufgeräumtheit
eines völlig beruhigten Herzens, das Abenteuer weiter spielen zu las¬
sen. Meine Reise war einmal vereitelt, Zeit war in meinen litera-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/180>, abgerufen am 22.07.2024.